Zum Tod von Françoise Cactus: Eine deutsch-französische Liebe
Françoise Cactus wird Berlin fehlen. Die Sängerin, Künstlerin und zuletzt auch Radiomoderatorin brachte ihren eigenen Witz und Klang in die Kultur.
„Ich glaube, das ist es: Ich kann nicht ohne Musik leben“. Das ließ Françoise Cactus die Heldin ihres Buches „Abenteuer einer Provinzblume“ sagen. In dem 1999 erschienenen Teenager-Roman ging es um die dünne, unfassbar coole, aus dem „hässlichsten Dorf des ganzen Burgunds“ stammende Mitzi, die nach Berlin zieht, um Musikerin zu werden. Und um dort alle um den Finger zu wickeln.
Genauso wie Françoise eben. Was hätte man je gegen sie haben können? Groß, geistreich, witzig, schick bebrillt und in der Lage, die tadellosen Beine unter ein Minischlagzeug zu knoten, um beim Trommeln die ulkigsten Texte zu singen – mit dem charmantesten Akzent.
Mit ihrer ersten Band in Berlin, den „Lolitas“, spielte sie in den 80ern und 90ern Garagenpunk – und coverte 1989 den Hit „D’yer maker“ der Dicke-Eier-Rockband Led Zeppelin. Françoises rotzige Version machte aus der gestöhnten Liebeskummerhymne feministischen Punk, und fügte dem Song dabei noch mühelos den fehlenden Humor hinzu. Den brachte sie übrigens auch in die taz-Redaktion, in der sie lange Jahre im Layout arbeitete, um ihr Rock'n'Roll-Leben zu finanzieren.
Gehäkelter Hippieshit
Überhaupt sprach, sang, schrieb und handarbeitete bei der interdisziplinären Künstlerin Françoise der Schalk immer mit. Egal, ob sie mit ihrer zauberhaften Lo-Fi Band „Stereo Total“ behauptete: „Das ist total out / Das ist Hippieshit / Aber ich sag es laut / Ich liebe Liebe zu dritt!“. Oder ob sie für eine Ausstellung eine lebensgroße Puppe mit kirschroten Brustwarzen häkelte und damit, laut der Anfang des Jahrtausends noch leichter auf die Palme zu bringenden Boulevardpresse, „Kinderschützer schockierte“ – „Wollita“ habe sogar den „B.Z. Kulturpreis“ gefordert, behauptete Wolfgang Müller, mit dem Françoise den „Skandal“ um die Figur, die „vom Wollknäuel zum Superstar“ wollte, zusammengestrickt hatte.
Dann dieser Akzent, pardon, Accent!! Mon dieu, niemand, egal ob französisch oder nicht, beherrschte ihn so überzeugend wie die 1964 geborene Musikerin. Obwohl sie bereits Mitte der 80er (nach einem Studium in Paris) nach Berlin kam, der Liebe wegen: „Berlin war hässlich, aber unwiderstehlich“ schrieb sie im Roman.
Erweiterter Punk-Begriff
Es folgt eine tiefe, deutsch-französische Freundschaft – und die Stadt hatte so etwas wie Stereo Total noch nie gesehen und gehört. Wenn sie gemeinsam mit ihrem langjährigen musikalischen und Lebenspartner Brezel Göring auf der Bühne stand, beziehungsweise neben ihm am Schlagzeug saß, während er entzückende elektronische Ausrufezeichen aus seinen Synthies und klitzekleinen Casios feuerte, und sie dazu auf Englisch, Französisch und Deutsch gleichermaßen umwerfend sang, dann erweiterte das den Punk-Begriff um etwas, was er (vor allem in Deutschland) dringend brauchte: Nonchalance.
Denn dass Françoise Cactus ein Punk war, das steht außer Frage. Im besten aller möglichen Sinne: nur begrenzt interessiert an Vermarktungsmechanismen, loyal und offen gegenüber anderen Künstler*innen, kreativ und unangepasst. „Ich bin eine Dachkatze / und keine Sofakatze!“, rief sie 2019 auf “Ah! Quel Cinema!“, einer weiteren retrofuturistischen Stereo-Total-Platte.
Gegen den Krebs kämpfte sie lange, jammerte nicht viel, produzierte auch krank noch Musiksendungen für den RBB, legte dort Lieder über Autos, Dinosaurier und Farben auf. Der Krebs ging – und kam wieder. „Wie soll ich, wie soll ich, wie soll ich mich nach dir sehnen / Wenn du stets, wenn du stets, wenn du stets bei mir bist?“, sang sie 1997 in Stereo Totals „Schön von hinten“. Nun ist sie nicht mehr da. Und wir sehnen uns.
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