„Wir sind der Dreh-Angelpunkt“

Die Kantine ist zu, viele Angestellte sind im Homeoffice, die Werkstätten komplett auf Kurzarbeit gesetzt in der Volksbühne. Aber die Video- und Tonabteilung ist wichtiger geworden

Klaus Dobbrick an der Arbeit am Mischpult in der Volksbühne Foto: Julian Röder

Von Tom Mustroph

Corona hat die Verhältnisse im Theaterbetrieb geändert. Es wird gestreamt und gedreht, was das Zeug hält. Teils aus Verzweiflung, teils damit Fördergelder nicht verfallen, teils aus Spielfreude im neuen digitalen Möglichkeitsraum.

Resultat ist stets eine höhere Gewichtung der Video- und Tonabteilung. Wer lange Zeit eher als Dienstleister wahrgenommen wurde, ist plötzlich mitgestaltender Künstler auf Augenhöhe. „Vieles, was jetzt stattfindet, findet ja nicht mehr im Theaterraum statt, sondern im Medium Video, dem Medium, in dem wir arbeiten“, sagt Klaus Dobbrick, Leiter der Video- und Tonabteilung der Berliner Volksbühne. „Wir sind jetzt der Dreh- und Angelpunkt. Ohne uns geht nichts, keine Aufzeichnung einer Gesprächsrunde, kein Livestream einer Inszenierung oder eines Konzerts“, sagt er durchaus mit Stolz im geisterhaft leeren Haus am Rosa Luxemburg Platz.

Die Kantine ist zu, viele Angestellte im Homeoffice, die Werkstätten sind komplett auf Kurzarbeit gesetzt. Auf der großen Bühne immerhin wird geprobt. Alexander Eisenach inszeniert „Anthropos, Tyrann (Ödipus)“ – als Theaterfilm, mit Kameras im Bühnenbild und Schau­spie­le­r*innen, die auf die Kameras hinspielen und nicht auf den großen, leeren Zuschauerraum. Vier bis sechs Leute aus Dobbricks Abteilung sind bei den Proben ständig dabei, weil eben das aufgezeichnete Bild und der aufgezeichnete Ton so elementar sind.

Dobbricks Abteilung traf der verstärkte Arbeitsaufwand nicht unvorbereitet. „Wir haben ja schon früher, zu Frank Castorfs Zeiten, viel mit Video gearbeitet. Bei einer Vorstellung von „Die Brüder Karamasow“ bespielsweise waren mindesten zwölf Kollegen meiner Abteilung beteiligt, zunächst mittags beim Aufbau, dann in der Vorstellung mit mehreren Kameras, Tonangeln, im Videoschnitt, am Mischpult, und schlussendlich beim Abbau“, erzählt er. Die Abteilung war schon damals groß, vor allem dank eines Pools freier Mit­ar­bei­te­r*in­nen. Jetzt hat sie mehr als ein Dutzend feste Stellen. „Nicht alle Vollzeit“, schränkt Dobbrick ein. Für die digitale Herausforderung ist die Volksbühne aber gut aufgestellt, personell wie technisch.

„2019 bekamen wir eine neue Ton- und Videoanlage. Wir können jetzt Video- und Tonsignale in hoher Qualität durch das ganze Haus schicken, hochauflösend produzieren und wiedergeben“, erklärt Dob­brick. Gedreht und gestreamt werden kann also von so ziemlich jedem Raum aus. Zusätzliche Technik wurde für die vielen Gastspiele in der ersten Saison von Übergangsintendant Klaus Dörr angeschafft.

Eine Herausforderung ist die verstärkte digitale Produktionsweise dennoch. „Wir sind ja keine Filmfachleute. Wir mussten vieles neu lernen. Theater ist auch live. Wenn da an einem Abend technisch etwas schief läuft, macht man es am nächsten Abend besser. Wenn du einen Film produzierst, muss es aber sofort stimmen“, erzählt er.

Der Arbeitsablauf hat sich verändert. Was früher eine Theaterprobe sein mochte mit überschaubarem Aufwand für Ton- und Video, wird jetzt zum regelrechten Drehtag

Der Arbeitsablauf hat sich verändert. Was früher eine Theaterprobe sein mochte mit überschaubarem Aufwand für Ton- und Video, wird jetzt zum regelrechten Drehtag. „Umso wichtiger sind für uns Drehpläne, Vorlaufzeiten und ausreichend Zeit für Vorbereitung und Dreh – alles Details, die im „normalen“ Theaterablauf bisher so kaum eine Rolle spielten“, weist Dobbrick auf planerische Akzentverschiebungen hin. Auch nicht je­de*r Re­gis­seu­r*in weiß gleich gut mit dem neuen Medium umzugehen. Dobbrick erzählt kurz von Drehs, bei denen es an klarer Kommunikation über Ästhetiken und zu erreichende Wirkungen mangelte. Aber gut, die aktuelle Saison war herausfordernd für alle.

Dobbrick freut sich einerseits darauf, die aktuell erworbenen Kompetenzen und Möglichkeiten auch in der Zukunft, in der Intendanz von Rückkehrer René Pollesch, zu nutzen. Vor allem aber freut er sich darauf, wenn Theater wieder Liveevent wird und seine Abteilung dann nicht mehr ganz so zentral ist. Das Arbeiten auf Augenhöhe möchte er aber nicht missen. Bereits unter Frank Cas­torf waren die Video- und Ton­tech­ni­ke­r*in­nen künstlerische Part­ne­r*innen. In der kurzen Zeit unter Chris Dercon wurden sie wieder Dienstleister, paradoxerweise trotz Der­cons Plan, die Volksbühne in interdisziplinäres Medienkunsthaus umzuwandeln. In der Zwischenphase Dörr sorgten nur die Bedingungen im Lockdown für neuerliche Wertschätzung.

Aus der Macherperspektive empfiehlt Dobbrick übrigens den Theaterfilm „Mourning becomes Electra“ von Pinar Karabulut. „Sie hat die Inszenierung filmisch gut aufgelöst“, lobt er. Streampremiere am 13. März auf der Website der Volksbühne.

Premiere im Livestream „Anthropos, Tyrann (Ödipus)“ am 19. Februar