London-Roman von Wyndham Lewis: Klatsch und Niedertracht

In „Die Affen Gottes“ porträtierte Wyndham Lewis satirisch die britische Upperclass der 1920er Jahre. Nun ist der schillernde Roman endlich übersetzt.

Wyndham Lewis mit Hut und glimmender Zigarette

Bildender Künstler und Schriftsteller: Wyndham Lewis (1882-1957) Foto: Hulton/Getty

Da der Roman generell ein unwahres Bild zeichnet, ist er […] in seiner elaborierten Form das große Klatsch-und-Tratsch-Buch der herrschenden Ordnung“, lässt Wyndham Lewis in „Die Affen Gottes“ den Gönner Horace Zagreus seinem Adlatus Dan Boleyn bei einer nachmittäglichen Tea-Time mitteilen. Wie ein Impresario führt Zagreus bei solchen gesellschaftlichen Anlässen das große Wort. Auch in Herrenclubs, vornehmen Restaurants und bei einem Maskenball auf einem Landgut.

„Wo immer es objektive Wahrheit gibt, gedeiht Satire“, hat Wyndham Lewis (1882–1957) einmal postuliert. Sein epischer Roman „Die Affen Gottes“, angesiedelt im Jahr 1926, trägt satirische Züge, verzerrt das Leben der Happy Few zur Fratze. Mittendrin der Ire Dan Boleyn, ein Außenseiter, der in der Londoner Upperclass von einer unangenehmen Situation zur nächsten taumelt. Er spricht nicht den richtigen Akzent und hat nicht die passenden Manieren, mit denen er reüssieren kann, trotzdem tut er, was ihm abverlangt wird. Auch wenn seine Gesichtsfarbe dabei „rot wie ein Pfingstochse“ anläuft. Oder wenn er für einen Künstler gehalten wird und man auf ihn einredet, „wie ein Kriegsschiff, das seine Geschütze abfeuert“.

Wyndham Lewis, der den Roman 1930 veröffentlichte, wurde schon vor dem Ersten Weltkrieg als bildender Künstler bekannt, seine abstrakt geometrischen Zeichnungen beeinflussten über London hinaus die Avantgarden in Russland und Frankreich. Zeitweilig lebte Lewis selbst in Paris, das insuläre Großbritannien war ihm ein Graus. Er war ein Meister der Inszenierung, was er auch in dem zusammen mit anderen gegründeten Künstler-Magazin Blast mit Manifesten unter Beweis stellte.

Shell-Shocked im Ersten Weltkrieg

Zudem war er shell shocked, traumatisiert, wie viele Künstler seiner Generation nahm er am Ersten Weltkrieg teil: Als Artillerieoffizier befehligte er eine Haubitzen-Batterie, die in der Schlacht von Ypern an vorderster Front gegen die Deutschen zum Einsatz kam. Nach 1918 konnte Lewis nicht mehr an seine Vorkriegserfolge als Maler anknüpfen, er fühlte sich von Förderern im Stich gelassen und verlegte sich aufs Schreiben.

Wyndham Lewis: „Die Affen Gottes“. Aus dem Englischen von Jochen Beyse und Rita Seuß. Diaphanes Verlag, Zürich 2020, 771 Seiten, 40 Euro

In „Die Affen Gottes“ trennen immerhin Tuschezeichnungen von ihm die einzelnen Kapitel. Die Auseinandersetzung über künstlerisches Ethos ist Teil des Plots. Der schöpferische Akt sei „Trance oder Traum“, behauptete Lewis in einem Essay, Kunstwerke gehören weder ausschließlich zur materiellen noch zur transzendenten Welt.

Diese Zwischen­ebene wird immer wieder in „Die Affen Gottes“ eingeschoben, wenn über den Sinn von Kunstwerken und Romanen diskutiert wird. „Die Affen Gottes“ ist auch ein Meta-Roman, oft wird Zeitung gelesen und manchmal Radio gehört, es gibt unzählige literarische Anspielungen und Verweise. Dank eines ausführlichen Glossars können alle an diesem Spiel mit Zitaten teilhaben.

Hauptstadt des Empire

„Die Affen Gottes“ ist auch ein London-Roman, der die Hauptstadt des Empire als streng klassengetrennte, mehrfach geteilte Metropole porträtiert. Auf der einen Seite die vornehmen Viertel Mayfair und Chelsea im Westen – Hauptorte der Handlung –, auf der anderen Seite das Eastend, Zufluchtsort von Juden aus Osteuropa, Heimat von Bewohnern aus dem Empire. Die Betuchten kennen diese Welt nicht aus eigener Anschauung, aber sie ist ständig Gegenstand ihrer Unterhaltungen, das East­end wird zum „Anderen“, zum „Osten“, als wäre es gar kein Stadtviertel, sondern ein Stetl.

Der Viktorianismus spuckt bei Wyndham Lewis noch Gift und Galle wie ein langsam verendender Drache

Der Kammerton in den Herrschaftshäusern ist schrill, etwa wenn die alte Zugehfrau Mrs Lochore ihrem Herrn Mr Ratner „in unterwürfiger Empörung“ das Tennisspielen ausreden möchte, weil er erkältet ist. Sie denkt, er solle die Klappe halten, sagt es aber nicht. In vielen Momenten des Romans wird das bessere London selbst zur Ideologie, die jede Geste, jedes Wort bedingt.

„Die Affen Gottes“ zeichnet eine Elite frei von materiellen Sorgen, aber voller Komplexe. Das fängt im Prolog an, der die Morgentoilette der Adligen Lady Fregonde Follett als endloses Ritual beschreibt und ihren Unmut, als ihre Zofe nicht die passende Oberbekleidung zum Schottenkaro des Rocks heraussucht. Und das zieht sich bis zum Schlusskapitel, das den Generalstreik in Großbritannien von 1926 beiläufig erwähnt: Aufdringliche streikbrechende Autofahrer gehen Passanten, da keine öffentlichen Verkehrsmittel fahren, auch gewaltsam an, um sie in ihren Privatwagen mitzunehmen.

Mit Streichhölzern bewerfen

Oft wissen die feinen Herrn nicht, wohin mit sich und ihren Aggressionen. Wie ein Running Gag beschreibt Lewis immer und immer wieder, wie Alteingesessene Neuankömmlinge in Clubs und auf Partys mit Streichhölzern bewerfen. Starre Klassengegensätze und strenge Moralvorstellungen des Viktorianismus mögen in der gesellschaftlichen Realität der 1920er Jahre bereits durchlässiger geworden sein, bei Wyndham ­Lewis spuckt der Viktorianismus noch Gift und Galle wie ein langsam verendender Drache.

Zentrum des Romans bildet ein Maskenball, „Lord Osmunds Fastnachtsparty“, dessen Verlauf en détail auf fast 300 Seiten geschildert wird. Angeregt wurde Lewis dazu bei einem Besuch eines Künstlerfests im München der 1920er, seinerzeit Tummelplatz von Liberalität und Schmelztiegel verschiedener Klassen.

Lewis nimmt das Setting des Karnevals als Selbstinszenierung einer Upperclass, deren „Verkleidung ihre soziale Klasse und ihren Charakter nicht erahnen ließ“. Ausnahme ist „Schwarzhemd“, ein sendungsbewusster Faschist, der beim Maskenball auftaucht und wie ein unangenehmer Sirenenton schrillt: Seine krude, antisemitische Weltanschauung wird seitenweise ausgegossen.

Auch andere Prot­ago­nis­t:In­nen verharren in steinzeitlichem Antisemitismus. Für diese Darstellungen wurde Lewis hart kritisiert. Erst nach einem Besuch in Nazideutschland, 1937, änderte er seine Haltung und machte sich öffentlich dafür stark, dass jüdische Flüchtlinge aus Deutschland in Großbritannien aufgenommen werden konnten.

Im Schlechten wie im Guten: „Die Affen Gottes“ ist ein Zeugnis der modernistischen Literatur. Deren Handlungsmerkmal, die obsessive Beschäftigung mit Sprache, als Abwendung vom Alltag und von den Fesseln der Geschichte, springt den Leser aus vielen Kapiteln an. ­„Schreiben wird zum ultimativen narzisstischen Akt, immer bedrängt von sozialen Schuldgefühlen und der eigenen Sinnlosigkeit“, wie der marxistische Literaturwissenschaftler Terry Eagleton einmal als Handlungsmerkmal des modernistischen Romans festgestellt hat.

„Das Beste ist, wenn man das schlimmste über die Leute weiß“, steht auf dem Buchrücken, als Warnhinweis. Die ganze Affenbande brüllt zwar in Wyndham Lewis’ Roman „Die Affen Gottes“, nur, es bereitet ihr keinen Spaß: Vor lauter Niedertracht wird sie selbst ganz ballaballa von den ständigen Intrigen, wirkt verunsichert, versteinert sogar. Wer immer die Parole „Klatsch als Waffe“ ausgegeben hat, vergaß zu erwähnen, dass dies zu drastischen Nebenwirkungen führt, auch bei denen, die die Waffen führen.

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