Neuer Roman von T. C. Boyle: Er will einen Cheeseburger

Haben Affen Humor? Das ergründet T. C. Boyle, der kalifornische König der klugen Unterhaltung, in seinem neuen Roman „Sprich mit mir“.

Autor T.C. Boyle

Scheint Fan von Jane Goodall zu sein: T.C. Boyle Foto: Britta Pedersen/dpa

Man schämt sich direkt für seine Gattung, wenn man an die Zeit zurückdenkt, auf die sich T. C. Boyle zu Beginn seines neuen Romans „Sprich mit mir“ bezieht. Eine Zeit, in der man Schimpansen Hemd und Krawatte anzog, ihnen eine Fluppe in den Mund steckte und eine Sonnenbrille aufsetzte, um sie für den Lacher zwischendurch in der Talkshow „Ronny’s Pop Show“ vorzuführen.

Auch Sam, der Schimpanse aus Boyles Roman, wird durch eine TV-Sendung bekannt. Das Besondere an ihm ist: Sam lernt in einem Forschungsprogramm der University of California die Gebärdensprache, sein Mentor ist der Psychologe Guy Schermerhorn. Er führt in der Gameshow „Sag die Wahrheit“ vor, wie Sam mit Zeichensprache Essenswünsche äußern kann: „Er sagt, er will einen Cheeseburger.“ Das Publikum grölt.

Es sind die frühen Achtziger, in denen Boyle die Handlung ansiedelt, Guy hat den Schimpansen auf einer Ranch in Santa Maria einquartiert und sucht eine neue Betreuerin für ihn. Er findet die Pädagogikstudentin Aimee Villard, die von Beginn an eine fast symbiotische Beziehung zu dem Affen aufbaut. Zudem beginnt sie ein Verhältnis mit dem Professor.

Guy will in der Verhaltensforschung Großes erreichen, er träumt aber auch von einem Auftritt in der Talkshow von Johnny Carson. Ruhm ist sein vorderstes Motiv. Doch als neue, viel beachtete Studien auftauchen, die nahelegen, der Spracherwerb sei etwas rein Menschliches und sein Forschungsprojekt sei nichts als „Wahn und Wunschdenken“, stoppt der Geldgeber des Projekts, Moncrief, das Programm. Sam steckt er mit anderen Forschungstieren in Käfige auf einer Farm in Iowa, er soll nun für Tierversuche eingesetzt werden. Doch Aimee reist ihm – gegen Guys Willen – hinterher. Und will ihn retten.

T. C. Boyle: „Sprich mit mir“. Aus dem Engl. von Dirk Gunsteren. Hanser Verlag, München 2021, 352 Seiten, 25 Euro

T. C. Boyle, kalifornischer König der klugen Unterhaltung und Vielschreiber, kehrt zu einem Thema zurück, das er in seinem allerersten Erzählband schon in satirischer Form bearbeitet hat: In der Story „Tod durch Ertrinken“ (1979) geht es um einen Schimpansen, der Darwin und Nietzsche in seine eigene Kunstsprache übersetzt und mit einer Frau namens Jane Good anbandelt. Schon damals klang an, dass Boyle von der Verhaltensforscherin Jane Goodall fasziniert ist.

An die Verbindung von Goodall zu „David Grey­beard“ (wie sie einen ihrer Schimpansen nannte) erinnert nun die Beziehung der Pflegerin Aimee zu Sam. Der menschliche Umgang mit Tieren beschäftigt Boyle, der „überwiegend Vegetarier“ ist, wie er auf Twitter schreibt, immer mal wieder, so auch in „Wenn das Schlachten vorbei ist“ (2012).

Betäubungspistolen und Elektroschocker

Wie insbesondere For­sche­r:in­nen dem evolutionären Vorfahren des Menschen begegnen, ist großes Thema dieses Romans. Sam wird für Forschungszwecke brutal seiner Mutter entrissen („Es war verstörend gewesen, eigentlich widerwärtig, aber Guy war so versessen darauf gewesen, einen Schimpansen zu bekommen, dass er sich diesem Gefühl verschlossen hatte“), die Tiere werden mit Betäubungspistolen und Elektroschockern traktiert, Projektleiter Moncrief will ohnehin nur möglichst viel Nutzen (= Geld) aus den Tieren ziehen.

Andererseits geht es Boyle darum, sich dem Bewusstsein von Affen anzunähern. Dies gelingt vor allem dadurch, dass er verschiedene Erzählperspektiven wählt, überwiegend erzählt er aus der Sicht von Aimee, Guy und Sam selbst. In den Passagen, die aus Sicht des Schimpansen geschrieben sind, wirft Boyle alle Fragen auf, die die Wahrnehmung der Primaten betreffen: Wie ist ihr Erinnerungsvermögen? Wie ihre Raum- und Zeitwahrnehmung? Empfinden sie Freude und Scham? Haben sie Humor? Können sie lieben und hassen? Empfinden sie Eifersucht?

Erzählerisch funktioniert das gut, die dominanten Gedanken im Affenhirn sind in Versalien geschrieben und es kommen immer mal Anmerkungen, welche Worte Sam gebärden kann und welche nicht: „Er kannte das Wort GLÜCKLICH. Es war ein gutes Wort, vielleicht nicht so konkret und unmittelbar wie PIZZA oder COLA, aber gut, sehr gut, und manchmal gebärdete er es spontan […]“. Boyles feiner Sinn für Humor zeigt sich an so mancher Stelle.

Die Handlung konzentriert sich vor allem auf Aimee, die Sam zunächst im Käfig weiter pflegt und ihn gegen Ende, nicht sonderlich überraschend, befreit. Sie flieht mit ihm auf einen Campingplatz in Arizona, Guy folgt ihr, um sie zur Rückkehr zu bewegen, auch Moncrief ist ihr auf den Fersen. Der Roman wird zu einem Roadmovie.

Den Plot zieht Boyle etwas in die Länge, die Figuren sind eindeutig gezeichnet, Ambivalenzen gibt es eher wenige. Man fühlt sich dennoch gut unterhalten, ohne dass dies das ernste Anliegen des Romans unterminieren würde.

Schließlich hat Boyle recht, wenn er Guy in einem inneren Monolog fragen lässt: „Was hatte sich eigentlich in den zweihundert Jahren verändert, seit Claude Bernard lebende Hunde auf dem Opera­tions­tisch aufgeschnitten hatte, um die Wirkungsweise der inneren Organe zu demonstrieren, außer dass solche Experimente heutzutage hinter verschlossenen Türen stattfanden?“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.