Terroranschlag auf den Breitscheidplatz: Der Staatssekretär war´s

Wieso versickerten Infos zum Fall Amri im Verfassungsschutz von Mecklenburg-Vorpommern? Im Bundestag musste sich jetzt Ex-Minister Caffier erklären.

Lorenz Caffier sitzt mit Maske am Tisch

Lorenz Caffier sitzt als Zeuge im Bundestags-Untersuchungsausschuss zum Anschlag am Breitscheidplatz Foto: Christoph Soeder/dpa

BERLIN taz | Lorenz Caffier stellt sich vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss so vor, als hätte er keine herausragende Rolle: 66 Jahre alt, verheiratet, vier Kinder, Abgeordneter des Landtages Mecklenburg-Vorpommern, keine Kenntnis zu den Vorgängen in seinem Haus, dem Landesinnenministerium also, das er 14 Jahre lang und bis vor wenigen Wochen geleitet hatte.

Dabei geht es am Donnerstagabend im Bundestag darum, ob die Vorgänge in Lorenz Caffiers Ministerium zuletzt so außer Kontrolle geraten sind, dass fundamentale Aufgaben nicht mehr wahrgenommen werden konnten – die Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung beispielsweise. Lorenz Caffier hat weniger für Pathos übrig und sagt vor dem Ausschuss in nüchternen Worten: Er könne die Vorgänge „nicht abschließend juristisch bewerten“, halte sie aber für einen „klaren Fehler“.

Der Untersuchungsausschuss im Bundestag klärt die Vorgänge rund um das terroristische Attentat auf den Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016. Damals fuhr der Attentäter Anis Amri mit einem gestohlenen LKW in einen Weihnachtsmarkt und tötete elf Menschen, dutzende wurden schwer verletzt. Später stellte sich heraus, dass der Attentäter Nachrichtendiensten und Polizeibehörden bereits bekannt gewesen war.

Der Ausschuss im Bundestag arbeitet die Vorgänge auf, zeichnet Behördenversagen nach. Und fand so auch heraus, dass relevante Informationen über Anis Amri, die den Ermittlungsbehörden nach dem Attentat hätten helfen können, im Verfassungsschutz von Mecklenburg-Vorpommern liegen blieben.

Infos über Unterstützernetzwerk

In Kürze lässt sich der Skandal in etwa so darstellen: Eine Quelle hatte Wochen nach dem Attentat, im Februar 2017, seinem V-Mann-Führer vom Landesamt für Verfassungsschutz in Schwerin erzählt, eine Familie aus Neukölln habe Anis Amri unterstützt, mit Geld und einem Fluchtwagen. Damals sind das wichtige Hinweise, die Aufschluss über ein Unterstützernetzwerk geben könnten und sogar über das Motiv des Attentäters. Träfen sie zu, hätten sie den damaligen Kenntnisstand verändert, nachdem Anis Amri als islamistisch motivierter Einzeltäter galt. Darauf hatten sich Sicherheitsbehörden schnell festgelegt.

Doch es dauert, bis sie in Schwerin entscheiden, die neuen Informationen schriftlich festzuhalten und im Verfassungsschutzverbund zu teilen.

Zwei Jahre später wendet sich einer der damaligen Quellen-Führer an den Staatssekretär des Innenministeriums, Thomas Lenz, und erzählt ihm von den Informationen zu Anis Amri. Er sagt ihm auch, dass ihm untersagt worden sei, andere Behörden davon in Kenntnis zu setzen.

Und er erzählt von einem weiteren Skandal: Im Landesamt für Verfassungsschutz lagern illegale Waffen, die der Verfassungsschutzmitarbeiter auf dem Schwarzmarkt gekauft hat. Angeblich, um einen Waffenhändlerring für Islamisten aufzudecken, doch selbst mit dieser Begründung ist es juristisch heikel, wenn eine Behörde Kriegswaffen illegal besorgt. Davon setzt der Verfassungsschutzmitarbeiter nicht nur Staatssekretär Lenz in Kenntnis, sondern verschickt kurz darauf auch Briefe an die Bundesanwaltschaft und das Bundesamt für Verfassungsschutz.

Kronzeuge im Ausschuss

So kommt es, dass er Kronzeuge vor dem Untersuchungsausschuss wird, wo er vor einigen Wochen aussagte. Auch ein Referatsleiter, der Verfassungsschutzchef und der Staatssekretär Thomas Lenz werden geladen und lassen einen irritierten Ausschuss zurück, in dem man inzwischen über eine „vordemokratischen Haltung“ des Innenministeriums in Mecklenburg-Vorpommern spricht.

Die Abgeordneten wollen deshalb von Caffier wissen, was er tat, als er im Herbst 2019 von den Vorgängen erfuhr. Er sagt: „Ich habe es nicht für möglich gehalten.“ Und: Er sei „verärgert“ gewesen. Er habe seinen Staatssekretär angewiesen, die Informationen unverzüglich weiter zu leiten und die internen Vorgänge aufzuklären.

Ob das dann geschieht, kann Caffier nicht so recht erklären. Ein Gespräch mit dem Verfassungsschutzchef sucht er erst Wochen später, mit dem V-Mann-Führer spricht er nie selbst. Bis heute hat er sich mit den illegalen Waffen nie genauer beschäftigt. Caffier antwortet dem Ausschuss in kurzen Sätzen, erklärt wenig. Nur eines hören die Abgeordneten immer wieder: Der Verfassungsschutzchef hat einen Fehler gemacht. Verantwortlich für die Aufarbeitung sei aber nicht er, der Innenminister gewesen, sondern sein Staatssekretär Lenz.

Den Abgeordneten im Bundestag fällt auf, dass ausgerechnet ein CDU-Innenminister, der für das Politikfeld „Sicherheit“ brennt, behauptet, wenig über die konkrete Arbeit seiner Behörden im Kampf gegen Islamismus zu wissen.

Späte Konsequenzen

Als Lorenz Caffier im Herbst 2019 von den Skandalen in seinem Ministerium erfährt, beschließt er, keine personellen Konsequenzen zu ziehen. Sein Verfassungsschutzchef bleibt im Amt. Inzwischen ist Caffier selbst von seinem Amt zurückgetreten, Anlass war ein anderer Extremismus-Skandal in seinem Land. Er hatte eine Waffe von einem Händler und Schießtrainer gekauft, der Mitglied bei der rechtsextremen Preppergruppe Nordkreuz gewesen war. Sein Ministerium war seit drei Jahren vor allem dadurch aufgefallen, wenig zur Aufklärung mutmaßlicher rechtsterroristischer Bestrebungen der Gruppe beigetragen zu haben. Caffier erklärte schließlich, er habe keine Informationen über den Waffenhändler gehabt.

Sein Nachfolger Torsten Renz hat den Verfassungsschutzchef vor zwei Wochen in den Ruhestand versetzt und eine externe Verfassungsschutzkommission eingesetzt, die aufklären soll. An Staatssekretär Lenz hält auch er fest. Die Linken-Abgeordnete Martina Renner fragt Caffier im Bundestag: Man höre ja über Herrn Lenz, dass ihm egal sei, wer unter ihm Innenminister ist. „Ist Ihnen das auch untergekommen?“ Caffier antwortet, Lenz genieße hohe Anerkennung bei ihm.

Am Ende der Sitzung wünscht er allen eine gute Arbeitswoche und geht.

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