Türkische Angriffe im Nordirak: Fakten schaffen mit Waffen
Die Türkei greift angebliche PKK-Stellungen im Nordirak an. Dahinter steht offenbar die Angst vor einem Politikwechsel in den USA.
Nachdem türkische Sonderkommandos in Kämpfe mit PKK-Militanten verwickelt und dabei drei Soldaten getötet wurden, griff die türkische Luftwaffe ein. Laut der Zeitung Hürriyet bombardierten insgesamt 40 Kampfflugzeuge Ziele im Nordirak. Ob dabei Zivilisten getötet wurden, ist bislang noch nicht bekannt.
Der aktuelle Angriff wird von der türkischen Regierung als Akt der Selbstverteidigung bezeichnet und soll angeblich bevorstehende Terrorangriffe der PKK in der Türkei vereiteln. Schon im letzten Jahr gab es zwei größere Angriffe der Türkei auf angebliche oder tatsächliche PKK-Stellungen im Nordirak, was die irakische Regierung in Bagdad und die kurdische Autonomieregierung im Nordirak zu heftigen Protesten veranlasste. Bislang ist aber weder aus Bagdad noch von der Autonomieregierung etwas zu hören.
Das könnte damit zusammenhängen, dass die türkische Regierung ihren aktuellen Einmarsch politisch besser abgesichert hat. Sowohl der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu als auch Verteidigungsminister Hulusi Akar waren mehrfach im Irak, um dort über ein gemeinsames Vorgehen gegen die PKK zu sprechen.
Erdoğans Angst vor Joe Bidens Personal
Sollte die jetzige Operation mit dem Einverständnis der irakischen Zentralregierung und der kurdischen Autonomieregierung erfolgen, ist davon auszugehen, dass die türkische Armee ihre Angriffe in den nächsten Tagen ausweiten wird.
In Ankara ist seit langem die Rede davon, dass die PKK aus ihren Stellungen im Sindjar-Gebiet vertrieben werden müsse. Dort hatte der IS vor Jahren die jezidische Minderheit brutal angegriffen und war dann mit Hilfe der PKK zurückgeschlagen worden. Seitdem soll die PKK aus dem Gebiet nahe der syrischen Grenze den Nachschub für die syrischen Kurden organisieren.
Dass die türkische Armee die Offensive jetzt begonnen hat, obwohl die Witterungsbedingungen noch sehr schlecht sind, könnte aber außenpolitische Gründe haben, die über den Nordirak hinausgehen.
Seit der neue US-Präsident Joe Biden im Amt ist, rechnet die türkische Regierung damit, dass die USA sich wieder stärker in Syrien engagieren und dabei auch ihre Unterstützung für die syrisch-kurdische YPG-Miliz, die der vorherige US-Präsident Trump fallen gelassen hatte, wieder intensivieren.
Deal: Keine S-400 in der Türkei, keine US-Hilfe für die YPG
Dieses Horrorszenario für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist durch die bisherigen Personalentscheidungen Bidens aus Sicht Ankaras konkretisiert worden. Der neue US-Außenminister Antony Blinken hat die Politik Erdoğans in der Vergangenheit mehrfach öffentlich kritisiert, und auch der neue Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan ist als Erdoğan-Kritiker bekannt.
Vor allem aber eine Personalie hat in Ankara die Alarmglocken klingeln lassen. Als Sonderbeauftragter für den Nahen Osten wurde Brett McGurk berufen, derselbe, der bis zu seinem Bruch mit Trump jahrelang als US-Koordinator im Kampf gegen den IS vor Ort war und als Architekt der Zusammenarbeit zwischen den USA und der Kurdenmiliz YPG gilt. Für Erdoğan und seinen Nationalen Sicherheitsrat ist er deshalb schlicht ein Sympathisant der PKK, weil die syrische Kurdenmiliz YPG nichts anderes als ein Ableger der PKK sei.
Bevor die USA also erneut die YPG-PKK Miliz stärken können, will man jetzt auf dem Schlachtfeld noch Fakten schaffen. Auch diplomatisch ging Ankara in den letzten Tagen in die Offensive. Erdoğan hat seinen Verteidigungsminister Hulusi Akar vorgeschickt, um Biden einen Deal vorzuschlagen.
„Unser größtes Problem mit den USA ist deren Unterstützung der YPG“ sagte Akar vor zwei Tagen in einem Interview. Das größte Problem der USA mit der Türkei ist dagegen deren Kauf der modernen russischen Raketenabwehr S-400. Akar schlägt deshalb vor, die Türkei könne die S-400 außer Betrieb nehmen, wenn die USA ihre Unterstützung für die Kurden beenden.
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