piwik no script img

Teilenlernen

Was bringen Sharing-Angebote für die umwelt- und menschen-freundliche Mobilität in Berlin? Beim Carsharing ist das noch ungeklärt: Die Anbieter klagen über unfaire Rahmen­bedingungen,die Politik fürchtet noch mehr Individualverkehr in der Stadt. Ein neues Gesetz soll das Angebot regulieren

Klein, aber unfein: falsch geparktes Leihauto behindert Fußgänger Foto: Jürgen Ritter/imago

Von Claudius Prößer

Dynamisch, nachhaltig und vor allem sehr entspannt ist sie, die Welt des Carsharings. Jedenfalls, wenn man den Bildwelten auf den Websites der großen Anbieter Glauben schenkt. Hier hat gerade ein fröhliches Paar den geteilten Flitzer am ganz leeren Straßenrand in einem Altbauquartier geparkt, dort wirbt ein Mitbewerber mit Wellness-Slogans wie „Frühlingsgefühle auf der Stadtautobahn“, ein anderer, der auf Elektroautos setzt, mit „Dein Leben ohne Benzin“.

Die Wirklichkeit sieht nicht ganz so rosig aus, weder für die NutzerInnen noch für die Unternehmen. Erstere stehen – zumindest in den Autos der Anbieter, die im Minutentakt abrechnen – unter Zeitdruck, wenn sie im Stau versauern oder keinen Parkplatz finden, Letztere unter Konkurrenzdruck. Vor allem aber sehen sich viele Anbieter nicht ausreichend vom Senat unterstützt, obwohl sie doch, wie sie finden, eine zukunftsfähige Form der Mobilität verkaufen. Genau daran hat die Politik aber ihre Zweifel.

„Free Floating“ nennt sich das Carsharing-Prinzip, das ohne feste Orte für Abholung und Rückgabe auskommt: Geparkt werden die Fahrzeuge einfach am Straßenrand. Rund 6.000 gibt es davon zurzeit, sie gehören den vier Unternehmen Share Now, WeShare, Miles und Sixt. Ein Fuhrpark, fast zehnmal so groß wie der der klassischen stationsbasierten Anbieter: Firmen wie Cambio und Greenwheels sind deutlich länger auf dem Markt, dümpeln aber bei rund 700 Fahrzeugen vor sich hin. Zum Vergleich: Insgesamt sind in Berlin derzeit über 1,2 Millionen Pkws zugelassen.

Beim Free-Floating ist der Berliner Markt dynamisch, wie man so sagt. Den Anfang machte 2011 DriveNow, ein Tochterunternehmen von BMW, 2012 folgte car2go von Konkurrent Daimler. Beide Anbieter, die selbstverständlich auch die jeweiligen Fahrzeuge promoten sollten, kamen zusammen auf rund 2.500 Pkws in Berlin – bis sie tatsächlich zusammenkamen: Vor zwei Jahren gingen sie im Joint Venture Share Now auf. Auf dessen Website steht zwar, in der Stadt stünden „2.300+ Autos“ bereit, auf taz-Anfrage hieß es jedoch, die Flotte – vom Smartfortwo bis zum Mercedes-Benz GLA („Kompakt-SUV mit Allradantrieb“) – sei nur 1.800 Fahrzeuge stark.

Elektrisch betriebene Modelle werden von Share Now derzeit in Berlin nicht vorgehalten, im Gegensatz etwa zu München oder Hamburg. Sprecherin Kathrin Amthor begründet das so: „Um eine teilelektrische Flotte zu etablieren, braucht es vorteilhafte Rahmenbedingungen wie die konsequente Anwendung des Elektromobilitätsgesetzes, das kostenfreies Parken von EV [E-Autos, d. Red.] ermöglicht.“ Das vermisse man in Berlin ebenso wie optimale Lademöglichkeiten: „Wir brauchen eine öffentliche, dezentrale Ladeinfrastruktur mit einer hohen Anzahl an verfügbaren Ladepunkten, die untereinander vernetzt und für alle Fahrzeuge kompatibel sind.“

Das will Jan Thomsen, Sprecher der Senatsverkehrsverwaltung, so nicht stehen lassen: „Freefloating-Firmen nutzen regelmäßig die durch das Land Berlin finanzierte öffentliche Ladestruktur.“ Dazu gehörten auch Parkplätze, die während des Ladevorgangs kostenlos seien. „Die Unternehmen profitieren insofern vom Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur, der in Berlin übrigens mit aktuell rund 1.400 Ladepunkten im Bundesvergleich am weitesten fortgeschritten ist“, so Thomsen. Zudem habe die Verwaltung die Erfordernisse der Carsharing-Anbieter abgefragt und berücksichtigt, wenn es um Konzepte für die öffentliche Lade­infrastruktur ging.

1.400 Ladepunkte

Ob 1.400 Ladepunkte viel oder wenig sind, darüber lässt sich streiten. In absoluten Zahlen liegt Berlin damit tatsächlich deutschlandweit vorn, dicht gefolgt allerdings von Hamburg mit nur halb so vielen EinwohnerInnen. Die auch noch häufiger elektrisch unterwegs sind: Laut Kraftfahrt-Bundesamt waren im vergangenen Oktober 1,26 Prozent aller in Hamburg zugelassenen Pkws batteriebetriebene E-Autos und Plug-in-Hybride, in Berlin nur 1,08 Prozent. Richtig ist trotzdem: Berlin gehört beim Ausbau der Ladeinfrastruktur zur Spitzengruppe.

Ein weiterer großer Anbieter im Free-Floating-Geschäft, das 2018 von VW gegründete Unternehmen WeShare, fühlt sich mit seiner rein elektrischen Flotte von 1.500 E-Golfs und ID.3 offensichtlich wohl in Berlin. Den Preis von 19 Cent pro Leihminute konnte es allerdings nicht lange halten, vor wenigen Monaten wurde auf 29 Cent erhöht. ShareNow liegt dagegen noch bei 19 Cent für die kleinsten Modelle. Grundsätzlich sind die Preisstrukturen aufgrund unterschiedlicher Tarifklassen und Abonnement-Angebote nicht ganz einfach zu vergleichen. Beim kleinsten und jüngsten Anbieter in Berlin, Sixt share (Slogan: „Carsharing in Geil“), kann man sogar schon ab 9 Cent pro Minute fahren – wenn Tageszeit und Auslastung gerade günstig sind.

Die meisten Fahrzeuge bietet derzeit das 2017 als Start-up in Berlin gegründete Unternehmen Miles an: „Über 2.000“ seien es zurzeit in Berlin, sagt Geschäftsführer Oliver Mackprang zur taz, eine Ausweitung sei angedacht. Die Flotte besteht lediglich aus Verbrennern – ob eine Elektrifizierung betriebswirtschaftlich Sinn mache, werde noch geprüft, so Mackprang. Miles unterscheidet sich in mehrlei Hinsicht von den Mitbewerbern: Es ist keine Ausgründung eines Automobilkonzerns und es rechnet bei den KundInnen nach gefahrenen Kilometern ab, nicht pro Minute. Das kann mal etwas billiger, mal etwas teurer sein – in jedem Fall ist es entspannter.

Mackprang hat in der jüngsten Vergangenheit mehr als einmal öffentlich Kritik an der Verkehrsverwaltung erhoben, und er wiederholt das gegenüber der taz: Berlin sei in Sachen Carsharing „leider nicht so fortschrittlich wie andere Städte in Deutschland“. Als Beispiele nennt er Hamburg, München und Düsseldorf, aber: „Es gibt auch viele Kleinstädte, die innovativer und zielgerichteter an eine Mobilitätswende herangehen. Unsere Gesprächs-, Kommunikations- und Dialogversuche laufen meist ins Leere, auch als Branche und im Verbund mit anderen Mobilitätsdienstleistern.“

Hauptärgernis für die Sharer: Ihre Fahrzeuge werden in Zonen der Parkraumbewirtschaftung nicht privilegiert. Stellen KundInnen sie dort ab, werden die ganz normalen Gebühren fällig und müssen von den Anbietern entrichtet werden. Ausnahmeregeln wie die immer noch sehr billige Parkvignette für AnwohnerInnen gibt es fürs Carsharing nicht – gleichzeitig werden die bewirtschafteten Zonen immer mehr.

Auch WeShare-Sprecher Michael Fischer hat damit ein großes Problem: „Im Vergleich zum Besitzer eines privaten Pkw werden Nutzer von Carsharingsystemen indirekt benachteiligt. Jedes Fahrzeug muss pro Jahr mehr als das Hundertfache an Parkgebühren eines Anwohnerfahrzeugs mit Anwohnervignette entrichten.“ In anderen deutschen Großstädten werde Carsharing beim Thema Parkgebühren gesondert gefördert, es würden exklusive Parkflächen geschaffen und E-Autos teils gänzlich von den Gebühren befreit. Sein Fazit: „Carsharing wird aus unserer Sicht nicht aktiv in die Nachhaltigkeitsplanungen der Stadt einbezogen.“

Der Sprecher der Verkehrssenatorin hält dem entgegen, dass eine höhere Bepreisung von Parkraum auch für AnwohnerInnen in Arbeit sei. Als Nebeneffekt werde dadurch das Carsharing attraktiver, so Thomsen. Nicht zu vergessen sei, dass die Privilegierung von AnwohnerInnen bloß für die Zone gelte, in der sie wohnen. Das Parken für Carsharing-Anbieter billiger zu machen bringe jedenfalls „die verkehrspolitischen Ziele nicht voran“, meint Thomsen. Es wäre „ein falscher Anreiz, weil er zu mehr Autoverkehr statt zu seiner Vermeidung beiträgt“. Denn Ziel sei es, den Parksuchverkehr in Kiezen erheblich zu mindern.

Auf Anhieb nachzuvollziehen ist die Argumentation nicht unbedingt: Warum sollten mehr Carsharing-Autos in den Kiezen herumkurven als heute, wenn sich für sie Parkgebühren verringerten? Auch jetzt schon steht es den NutzerInnen frei, das geliehene Fahrzeug dort abzustellen, bezahlt werden die Gebühren vom Anbieter, der sie in die Sharingtarife einpreist. Tatsächlich ist genau das die Logik der Verkehrsverwaltung: Privilegierung bei den Parkgebühren führt – wahrscheinlich – zu günstigeren Sharingtarifen, und das führt am Ende zu noch mehr Autoverkehr.

Im Grunde steckt hinter alledem eine Frage, die Anbieter und Politik mittlerweile sehr unterschiedlich beantworten: Reduziert Carsharing das Auto-Aufkommen in einer Stadt? Die Unternehmen sind davon überzeugt. „Ein Share-Now-Fahrzeug wird im Schnitt über sechsmal mehr bewegt als ein privates Fahrzeug“, sagt Sprecherin Kathrin Amthor. Damit mache die Share-Now-Flotte in Berlin „eine Parkfläche von über 12.000 Quadratmetern“ frei. Und: „Insgesamt fahren Carsharing-Nutzer weniger Autokilometer in der Stadt, was Staus, Lärm und Luftverschmutzung reduziert.“ Bei der Konkurrenz argumentiert man genauso.

In der Senatsverkehrsverwaltung hat man da Zweifel: Ja, Carsharing biete theoretisch die Chance, dass die Zahl privater Autos abnehme, sagt Sprecher Thomsen. Das aber sei „nach den vorliegenden Untersuchungen und Erkenntnissen keineswegs gesichert“. Im Gegenteil erzeuge Carsharing in seiner momentanen Form eher „unerwünschte verkehrliche Effekte“, ziehe ÖPNV-NutzerInnen ins Auto und sorge für zusätzliche Belastungen der Innenstadt. Während das Sharing-Angebot außerhalb des S-Bahn-Rings dünn sei – bisher gehören nur Steglitz, Wedding, Pankow und Lichtenberg dazu –, erhöhten die Fahrzeuge in manchen zentralen Bereichen den Parkraum-Suchdruck. „Hier erzeugt Carsharing offenbar insgesamt mehr statt weniger Verkehr.“

Auch Jan Thomsen verweist auf Studien: solche, die lediglich den stationsbasierten Anbietern mit festen Stellplätzen und Reservierungsmöglichkeit einen Nachhaltigkeitseffekt bescheinigen. Diese fungierten häufig als Ergänzung und nicht als Konkurrenz zum ÖPNV. Dass beim Thema Carsharing die Ergebnisse unterschiedlicher Studien stark variieren, räumt Thomsen ein.

Eine weitere Sorge treibt die Free-Floater um: „In Berlin droht eine gesetzliche Regulierung für Carsharing und damit eine weitere Verschärfung der Rahmenbedingungen“, so Michael Fischer von WeShare.

Tatsächlich arbeitet die Verkehrsverwaltung an einem Gesetz, das die Bereitstellung von Mietfahrzeugen auf öffentlichem Straßenland erstmals regulieren soll – durch Mengenbegrenzungen, aber auch durch Gebühren. „Das heutige Angebot orientiert sich an den betriebswirtschaftlichen Erwägungen der Verleiher“, sagt Sprecher Thomsen, der Politik fehlten „Möglichkeiten, auf eine stadtverträgliche und verkehrspolitisch sinnvolle Ausgestaltung der Angebote Einfluss zu nehmen“. Das sei aber notwendig: nicht nur was die räumliche Verteilung angehe, sondern auch bei der Art des Antriebs.

Wie teuer die geplante „Sondernutzungserlaubnispflicht“ für die Anbieter werde, stehe noch nicht fest, sagt Thomsen. Klar sei: Die Gebühren sollten „nicht verdrängend oder übermäßig belastend“ wirken, sondern lediglich eine Steuerungswirkung entfalten. Wie das konkret aussehen werde, wolle man „auch im Dialog mit den Anbietern“ erarbeiten. Gut möglich, dass dies nicht exakt die Art von Dialog ist, die sich die Sharing-Branche wünscht.

Bei Initiativen für nachhaltige Mobilität kommt das schon besser an. Ragnhild Sørensen, Sprecherin von Changing Cities e. V., hält Carsharing grundsätzlich für unverzichtbar, wenn es darum gehe, die Zahl der Autos massiv zu verringern – wobei sie stationsbasierte Dienste für energieeffizienter hält. Die Anbieter müssten ihre Daten künftig über eine „gemeinsame Mobilitätsplattform und -datenbank“ mit der Verkehrsverwaltung teilen. Nur so lasse sich ihr Angebot „aktiv, mengenregulierend und auslastungseffizient“ steuern. „Damit das funktioniert, sind Konzessionen erforderlich“, meint Sørensen.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen