Sexualkundeunterricht in Bayern: Körper unter Kontrolle

An bayerischen Schulen sollen Aktionstage gegen Abtreibungen stattfinden. Vorangetrieben wurde das von rechten Kreisen.

Kundgebung der Demo für alle Stuttgart

Kampf um die Sexual­aufklärung: „Demo für alle“ in Stuttgart 2018 Foto: Arnulf Hettrich/imago

Auf den ersten Blick scheint es, als schlage Bayern den direkten Weg in die 1950er Jahre ein. An bayerischen Schulen, so eine Richtlinie der Staatskanzlei und des Kultusministeriums, sollen „Aktionstage für das Leben“ stattfinden. Die „Würde des ungeborenen Lebens“ soll herausgestellt, „Verantwortung gegenüber dem ungeborenen Kind“ geweckt und der „Wille zum Schutz des ungeborenen Lebens“ bei den Schüler:innen gestärkt werden. Echt jetzt?

Ja. Die Richtlinie für Familien- und Sexualerziehung, in der das steht, gibt es schon seit 2016. Hochgekocht ist sie nun, weil ein bayerischer AfDler sie aus der Schublade holte, was wiederum den SPDler Florian von Brunn aufschreckte. Der twitterte: „Söder und sein Kultusminister wollen Schulen verpflichten, einen jährlichen Anti-Abtreibungstag abzuhalten. Ist das im Jahr 2021 wirklich der Ernst dieser Staatsregierung?!“

Nun muss man der Fairness halber die Genese dieser Richtlinie betrachten, die nicht von der aktuellen Regierung kommt, was von Brunn zunächst nicht auf dem Schirm hatte. Verabschiedet wurde sie 2016, als das Bündnis „Demo für alle“ vor allem in Süddeutschland massiv gegen Sexualaufklärung an Schulen mobil machte. Das Ziel: „Übergriffigen Sex-Unterricht“ stoppen und „Gender-Ideologie“ abschaffen. Im Gespräch mit der taz machte Hedwig von Beverfoerde, ultrakonservativer Kopf der „Demo für alle“, klar, wofür sie kämpft: Sexualität sei geschaffen für die „Fortpflanzung in ihrer naturhaften Anlage“. Die Ehe für alle ein „Etikettenschwindel“. Und Abtreibung die „Tötung eines Menschen“.

Die „Demo für alle“ pflegt gute Kontakte sowohl zur AfD – deren Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch sagte 2015, dass sie die Demos mitorganisiert – als auch zur internationalen „Lebensschutzgemeinde“. Gesponsert wurde sie etwa von einer spanischen Kampagnenorganisation, die ihrerseits für die internationale Rechte lobbyiert und, wie deren Chef sagt, „Krieg“ gegen „radikale Feministen“ und die „Abtreibungsindustrie“ führt.

Viel Lärm um nichts?

Zurück nach Bayern. 2016 also verabschieden der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer und sein Kultusminister, der Theologe Ludwig Spaen­le (beide CSU), besagte Richtlinie, an der sich nun vier Jahre später die Gemüter erhitzen. „Die jetzige Richtlinie ist alles andere als zufriedenstellend, aber wohl sogar die entschärfte Variante“, sagt der Geschäftsführer des bayerischen Landesverbands der Deutschen Gesellschaft für Familienplanung und Sexualberatung, Thoralf Fricke. Die selbstbestimmungsfeindliche Gruppe um Beverfoerde „wollte viel mehr, da gab es viele Hinterzimmergespräche. Wir und andere progressive Gruppen haben das damals massiv kritisiert.“

Seit der Verabschiedung der Richtlinie, sagt Fricke, beobachte er, dass sowohl christlich-fundamentalistische Gruppen wie auch VertreterInnen der „Lebensschutzgemeinde“ „verstärkt versuchen, in die Schulen zu gehen“. Auf taz-Anfrage dazu antwortete die Staatskanzlei bis zum Redaktionsschluss zwar nicht. Generalstabsmäßig vorangetrieben aber hat sie die Aktionstage offenbar auch nicht: Auch der AfD-Abgeordnete wollte wissen, an wie vielen Schulen die Aktionstage denn stattgefunden haben. Sinngemäße Antwort des Kultusministeriums: Keine Ahnung.

Eine erste Recherche des SPD­lers von Brunn führt zu einer Schule, die den Aktionstag 2020 plante, aber wohl wieder absagte. Und zu einer anderen, an der der Aktionstag 2019 stattfand. Eineinhalb Schulen, viel Lärm um nichts?

Das könnte man so sehen – wenn nicht die Richtlinie selbst der eigentliche Skandal wäre. Entstanden ist sie durch den Einfluss der Rechten und der „Lebensschutzgemeinde“. Und getragen wird sie von der deutschen Gesetzeslage, die – doch, doch – eine Austragungspflicht für Schwangere vorsieht, von der nur unter bestimmten Umständen abzusehen ist. Schwangerschaftsabbrüche stehen im Strafgesetzbuch gleich hinter Mord und Totschlag. Und der „Schutz des ungeborenen Lebens“ ist ein zentrales Anliegen nicht nur der AfD, sondern auch der Union. Das ist der Boden, auf dem antifeministische Politik gedeiht. Das ist das Pro­blem, wenn reproduktive Rechte nicht juristisch verankert sind. Und das zeigt, wie konservative und extreme Rechte versuchen, weibliche Körper unter Kon­trol­le zu bringen.

Bayern beschreitet nicht, wie es auf den ersten Blick aussieht, den Weg in die 1950er Jahre. Sondern diese Richtlinie zeigt, wo Deutschland in Sachen körperliche Selbstbestimmung im Jahr 2021 steht.

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