Wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands: Die Globalisierung hilft

Experten erwarten eine wirtschaftliche Erholung in Deutschland ab dem Frühjahr. Doch Staatshilfen werden wohl noch lange nötig sein.

BMW Neuwagen, auf Frachtwagons, im Hafen von Cuxhaven,

Weiterhin starke Exportwirtschaft: Neuwagen werden von Cuxhaven aus verschifft Foto: Jochen Tack/imago

BERLIN taz | Dank einer starken Exportwirtschaft kommt Deutschland wohl glimpflicher aus der Krise als andere Staaten. Ökonomen erwarten im neuen Jahr steigende Wachstumsraten.

So rechnet das Münchner Ifo-Institut mit einem Plus von 4,2 Prozent, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bei einer Verlängerung des Lockdowns bis Ende Januar noch mit einem Zuwachs um 3,5 Prozent. Vor einigen Wochen war das Institut allerdings noch deutlich zuversichtlicher. Die Chancen für einen Neustart der deutschen Wirtschaft seien sehr gut, sofern die zweite Coronawelle in den Griff bekommen wird, so DIW-Chef Marcel Fratzscher. „Das bedeutet noch nicht, dass wir bald das Niveau vor der Pandemie erreichen“, betont er jedoch.

Für die vergleichsweise schnelle Erholung sorgt vor allem die Exportwirtschaft. Zwar sind die Ausfuhren im vergangenen Jahr um 12 Prozent, etwa 160 Milliarden Euro, zurückgegangen. Doch kauften Abnehmer im Ausland damit immer noch deutsche Waren im Wert von 1,2 Billionen Euro. Jeder zweite Euro wird im Exportgeschäft erwirtschaftet.

Die brachliegenden Branchen wie der Tourismus und die Gastronomie tragen dagegen nur zu einem kleinen Teil zur Gesamtsituation bei. „Dort werden etwa 2 Prozent der Wirtschaftsleistung erwirtschaftet“, erläutert Fratzscher.

Die Arbeitslosen­quote steigt seit Beginn der Krise auf 5,9 Prozent

Über alle Branchen hinweg ist die Stimmung geteilt. 26 von 43 Branchen rechnen nach einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) mit einer höheren Wirtschaftstätigkeit. „Die Industrie ist das Zugpferd aus der Konjunktur“, stellt IW-Chef Michael Hüther fest. Voraussetzungen dafür seien offene Grenzen und funktionierende Lieferketten.

Während des ersten Lockdowns wurde die internationale Arbeitsteilung noch infrage gestellt. Die Abhängigkeit von im Ausland hergestellten Produkten erschien vielen zu hoch. Doch laut Fratzscher hat sich die Globalisierung im Verlauf des Jahres als Segen erwiesen. „Es kam zwar zu einzelnen Lieferengpässen, aber die Lieferbeziehungen blieben insgesamt stabil“, sagt er, „die Globalisierung hat sich als Stärke erwiesen.“ So sind es vor allem asiatische Staaten, die der deutschen Industrie auf die Beine helfen.

Andere Branchen seien nicht zu vernachlässigen. Die Dienstleistungssparten seien für die Beschäftigung von hoher Bedeutung. „Hier werden nicht die Topgehälter bezahlt und es gibt viele Minijobber“, sagt der DIW-Chef. Wann die betroffenen Arbeitnehmer mit einer Normalisierung rechnen können, vermag er nicht zu sagen. Zuerst müsse das Infektionsgeschehen unter Kontrolle sein.

Damit wird die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr wohl nur geringfügig sinken. Das DIW erwartet im Jahresdurchschnitt knapp 2,7 Millionen Arbeitslose, eine Quote von 5,9 Prozent. Vor Beginn der Krise lag sie bei 5 Prozent. Doch viele Entwicklungen können alle Prognosen schnell über den Haufen werfen.

So droht in diesem Jahr eine Welle von Insolvenzen. Viele kleine Firmen haben vermutlich ihre Reserven aufgebraucht und müssen aufgeben. Wie viele es sind und wie viele Jobs dabei verlorengehen, ist eine der großen Unbekannten auf der Rechnung.

Der Geldhahn wird offen bleiben

Die Zahl der Pleiten ist 2020 zwar sogar etwas zurückgegangen. Doch führen Experten dies vor allem auf eine zeitweilig geänderte Gesetzeslage zurück. Sie erlaubt es den betroffenen zahlungsunfähigen Unternehmen, mit der Anmeldung einer Insolvenz bis zum Jahresende abzuwarten.

Auch deshalb rechnet Fratzscher mit weiter notwendigen öffentlichen Hilfen für Firmen und Selbstständige. „Wir werden uns sehr viel länger auf staatliche Unterstützung einrichten müssen“, erläutert der DIW-Chef. Es sei eine Illusion, dass der Staat bei einer Erholung im zweiten Quartal den Geldhahn wieder schnell zudrehen könne.

So geht das Institut auch im kommenden Jahr von einer hohen Neuverschuldung und einem kräftigen Defizit in der Staatskasse aus. Es wird demnach bei rund 146 Milliarden Euro liegen, nach 186 Milliarden Euro im Jahr 2020.

„Ich glaube nicht, dass der Bund die Schuldenbremse in den nächsten beiden Jahren einhalten kann“, sagt Fratzscher. Dies sei auch richtig so. Über die Refinanzierung macht er sich keine Sorgen. Denn momentan verdient der Bund mit der Ausgabe von Staatsanleihen sogar viel Geld. „Der Staat hat 2020 sieben Milliarden Euro an Zinsen bekommen für seine neuen Schulden“, rechnet er vor.

Der DIW-Chef spricht sich für hohe staatliche Zukunftsinvestitionen aus. „Das ist das am besten ausgegebene Geld, denn es schützt Arbeitsplätze und hilft Unternehmen, die Pandemie zu überleben.“ Neue Investitionen in den Klimaschutz, den sozialen Bereich und in die Digitalisierung könnten verschlafen werden, warnt er.

Hierfür fordert Fratzscher eine Entschuldung von Städten und Gemeinen sowie eine Reform des Länderfinanzausgleichs. „Die reichen Länder im Süden müssen sich stärker an den gemeinschaftlichen Aufgaben aller Kommunen beteiligen, um die Zunahme des Nord-Süd-Gefälles in Deutschland zumindest zu stoppen“, verlangt der Forscher. Nur so könne der Staat gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland schaffen.

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