: Parteienpolitik unterm Brennglas
Bei ihrer Regierungserklärung verteidigt Kanzlerin Merkel die neuen Coronamaßnahmen – die Grünen applaudieren, die AfD poltert
Dietmar Bartsch, Die Linke
Aus Berlin Stefan Reinecke
Angela Merkel merkt man am Donnerstagmorgen im Bundestag die Anstrengungen der siebenstündigen Corona-Sitzung mit den MinisterpräsidentInnen kaum an. Man habe mit dem Lockdown light das Schlimmste verhindert, aber es reiche noch nicht, so die Botschaft. Die Kanzlerin warnt, sich in falscher Sicherheit zu wiegen, lobt die Bevölkerung für ihre Disziplin und verteidigt nicht ungeschickt das Konzept der Regierung: Weil Wirtschaft und Schulen offen bleiben, muss eben alles andere eingeschränkt werden, auch Geschäfte, für die ähnliche Beschränkungen gelten wie im Frühjahr. „Diese Branchen tragen die Last für die ganze Gesellschaft“, so Merkel.
Es gibt seit Langem ein Alternativkonzept, das AfD und FDP favorisieren. Man solle lieber die Risikogruppen schützen und isolieren, und dafür eben Kinos, Sportvereine und Kneipen wieder öffnen. FDP-Fraktionschef Christian Lindner verweist darauf, dass zwei Drittel der Coronatoten in Hessen in Pflegeeinrichtungen gestorben sind. Mit besonderen Einkaufszeiten für die Gefährdeten, Taxigutscheinen und mehr Tests in Pflegeeinrichtungen könnte man sich den verschärften Lockdown somit sparen. Merkel verweist indes auf eine Zahl, die dieses Konzept mit Fragezeichen versieht. Zu den Risikogruppen zählen 27 Millionen BürgerInnen. Die aus dem öffentlichen Leben herauszuhalten, sei „ethisch nicht vertretbar“. Point taken.
Die AfD arbeitet mal nicht mit dem ganz großen Vorschlaghammer. Fraktionschefin Alice Weidel bescheinigt der Regierung „obrigkeitsstaatliche Bevormundung“ und hält die Kontaktbeschränkungen auf zwei Haushalte für „ungehörig“. Das ist für AfD-Verhältnisse sachlich. Weidel fordert zudem einen „unaufgeregten Dialog“. Das klingt angesichts des AfD-Trommelfeuers gegen die vermeintliche Coronadiktatur so, wie der Ruf des Brandstifters nach der Feuerwehr. Für AfD-Chef Tino Chrupalla ist nicht Corona für die Depression im Land verantwortlich, sondern Angela Merkel. Doch auch diese Polemik klingt etwas matt. Der AfD fehlt es an agitatorischem Schwung – vielleicht eine Nachwirkung der vehementen Rüffel von allen Seiten, nachdem sie Querdenker-Aktivisten in den Bundestag geschleust hatte.
Für SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sind die Maßnahmen „angemessen, nachvollziehbar und lebensnah“ – das knüpft direkt an den Dreiklang an, mit dem Merkel den November-Lockdown begründet hatte: „geeignet, erforderlich und verhältnismäßig“. SPD und Union ziehen als zentrale Autoren der Verschärfungen für den Dezember natürlich an einem Strang. Dass die SPD sich rhetorisch zur Echokammer der Kanzlerin macht, wirkt ungeschickt. Mit dieser Rolle hat die SPD keine so guten Erfahrungen gemacht.
Dies ist das zweite Mal, dass Merkel im Parlament die neuen Maßnahmen verteidigt. Die Macht haben – auch nach dem Infektionsschutzgesetz, das die Rolle des Parlaments aufwerten sollte – de facto die MinisterpräsidentInnen und Merkel, laut Weidel „eine Kungelrunde“.
Auch Linksfraktionschef Dietmar Bartschkritisiert dies scharf: „Bei Grundrechtseinschränkungen muss der Bundestag entscheiden, egal wie sehr Sie das nervt“, sagte er in Richtung Kanzlerin. Bartsch skizzierte, präzise und zugespitzt, die Mängelliste der Regierung, die im Sommer in Pflegeheimen und Schulen zu wenig getan habe und statt Luftfilter für Schulen zu kaufen, mit Milliarden Konzerne gerettet habe. „Jedes Theater hat sich besser auf den Coronawinter vorbereitet als die Bundesregierung.“ Bartsch Rede zeigt, dass es auch in Krisenzeiten möglich ist, harte Kritik zu üben, ohne populistische Muster zu bedienen. Die Linksfraktion spielt damit derzeit die Rolle des Oppositionsführers. Die Grünen applaudieren hingegen als einzige Oppositionsfraktion der Regierungserklärung der Kanzlerin. Sie haben als einzige Oppositionsfraktion dem Infektionsschutzgesetz der Groko zugestimmt. Und auch die Fraktionschefs von Union und Grünen funken in der Debatte auf ähnlichen Frequenzen. CDU-Mann Ralph Brinkhaus warnt, dass auch der verschärfte Dezember-Lockdown „nicht reicht“, und fordert konsequentere Maßnahmen. Anstatt die Pandemie langfristig zu bekämpfen, würde die Bund-Länder-Runde nur „scheibchenweise“ vorgehen. Der grüne Fraktionschef Toni Hofreiter blies ins gleiche Horn: Für Hotspots mit mehr als 200 Infizierten in sieben Tage pro 100.000 Einwohnern müssten bundesweit scharfe Einschränkungen gelten. Die schwarz-grünen Annäherungen – sie sind übersehbar.
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