Musiklabel für iranischen Underground: Alles außer Heimat

Das Hamburger Plattenlabel 30M Records vertreibt experimentelle Musik aus dem Iran. Mit „Raaz“ ist gerade das erstes Album erschienen.

Musiker mit traditioneller Kleidung bei Tonaufnahme

Traditionelle Musiker aus Belutschistan bei den Aufnahmen für das Album „Raaz“ Foto: Hooshyar Khayam/30M Records

Die Weltmusik-Szene ist ihm unsympathisch, mit Ethno-Pop kann er nichts anfangen und mit Folk angereicherten Jazzrock will er schon mal gar nicht: Für einen auf iranische Gegenwartsmusik spezialisierten Labelchef klingt Matthias Koch bemerkenswert entschieden. Herausbringen möchte er eine Musik, die auf dem internationalen Markt bisher nicht stattfand: einen urbanen, jungen Sound aus Teheran, der statt bloßem Zitieren tatsächlich arbeitet mit dem reichen Fundus traditioneller iranischer Musik. „Tradition mit Moderne“, sagt Koch, „ohne dass es cheesy wird.“

Dafür hat der Hamburger das Label 30M Records gegründet, benannt nach einer persischen Sage über 30 Vögel, die auf der Suche nach ihrem König Simorgh zu sich selbst finden. Das erste Album, „Raaz“, ist gerade erst erschienen, war allerdings eine Premiere mit langer Vorgeschichte. Matthias Koch arbeitet seit über 20 Jahren im Musikgeschäft, bei Labels wie PIAS, Naïve oder Epitaph Records. Beim Reeperbahn-Festival hat er die Klassik-Pop-Sparte entwickelt.

Auf einer Iranreise hat er im vergangenen Jahr die ersten Künstler für sein Label entdeckt: Hooshyar Khayam ist klassisch ausgebildeter Musiker, komponiert und spielt Klavier. Bamdad Afshar hingegen kommt aus der Electro-Szene, sampelt, programmiert und lässt seine Stücke auch mal von Roboterhänden einspielen. Für „Raaz“ haben sie gemeinsam die traditionelle Musik Belutschistans erkundet, der südöstlichen Provinz des Landes.

Das Projekt hat auch im Iran Seltenheitswert: Die Musik der Region wird zwar musikwissenschaftlich beforscht, aber so gut wie nie in zeitgenössischen Produktionen aufgegriffen. Vor Ort ist sie rituell eingebunden ins Alltagsleben der Menschen. Für Khayam und Afshar war es eine Herausforderung, die Musiker:innen zum Einspielen zu überreden: Die meisten hatten nie a cappella gesungen oder ihre Instrumente solo gespielt. Was auf der Platte „Raaz“ nun zueinanderfindet, sind die ungewohnte Tonalität und Rhythmik der Folklore mit dem minimalistischen Avantgarde-Sound der Hauptstadt: eine sonderbar sphärische und intuitiv wirkende Verbindung, die sich in Genrevokabeln nur schwer fassen lässt.

Überwachte Konzerte

In der teheranischen Subkultur ist traditionelle Musik selten geworden. Zwar hätten viele seiner Bekannten Instrumente wie die Daf-Trommel oder die Langhalslaute Setar gelernt, sagt Koch, aber das kulturelle Leben sei doch sehr westlich geprägt. Dank Internet hört auch Teheran das gleiche wie der Rest der Welt – wegen der Zensur allerdings unter gänzlich anderen Bedingungen: Offizielle Konzerte finden unter Beobachtung statt, Texte und emotionaler Ausdruck werden streng überwacht. Daneben wächst eine lebendige Szene am Rand der Legalität: Koch spricht von auch nach hiesigen Maßstäben experimentellen Electro-Konzerten in stillgelegten Schwimmbädern, „in Dezibelbereichen, die hier längst nicht mehr gehen“.

30M Records bewegt sich irgendwo dazwischen. „Raaz“ hatten etwa Khayam und Afshar bereits im Iran aufgenommen und durch die Zensur bekommen. In Hamburg erscheint die Platte nun mit zwei Stücken, die zu Hause unmöglich gewesen wären – weil eine Frau singt. Das Video der Single „Chār“, in dem die Tänzerin Shekiba Bahramian auftritt, erscheint wiederum international, in einem Schnitt, der im Iran noch durchgeht.

Auch von außen stehen die iranischen Künstler:innen unter Druck: weil das internationale Embargo gegen Geld- und Warenverkehr keine Ausnahme für Kunst macht. Seit einer Weile in der Post sind die Vinylpressungen für die Künstler. Ob und wann sie ankommen, sagt Koch, „wird sich zeigen“.

Das Geschäft von 30M Records ist eine politische Gratwanderung, wobei Koch sich gar nicht leicht verorten lässt. Ob er am Ende als „Blockadebrecher gegen den US-Imperialismus“, oder als „Gefährder islamischer Werte“ gesehen werde? Wahrscheinlich beides.

In diesen Konflikten positionieren will sich das Label selbst nicht. Nicht weil es Koch egal wäre, „aber einmal laut sein und nicht weitermachen können?“, fragt er: „Ich glaube nicht, dass man so hilft, die Künstler von dort international bekannter zu machen.“

Schwierig ist das Geschäft auch, weil eine Musikindustrie im Iran praktisch nicht vorhanden ist: Wegen Zensur und Embargo, aber auch, weil es im Iran weder Kulturförderung noch verlässliches Copyright gibt. Wer es trotzdem versucht, landet oft bei dubiosen Anbietern, die iranische Musik für horrende Summen aus dem Ausland auf Spotify listen.

Koch bezweifelt, dass die Abzocke überhaupt etwas bringt. Man komme so weder an Vertrieb noch Promotion. „Man bezahlt nur sehr viel Geld dafür, dass die Musik irgendwie so da ist.“

Dass es bei 30M Records anders läuft, zeigt bereits die erste Veröffentlichung. Statt nur Streams gibt es aufwendiges Artwork, hochwertiges Vinyl und professionelle Pressearbeit. Und einen Plan auch auf lange Sicht: Für Koch ist das Label nicht irgendein Projekt, sondern schon jetzt sein Hauptjob – wenigstens zeitmäßig. Die Einnahmen müssen freilich noch kommen.

Koch übernimmt ausschließlich die internationale Distribution und erwirbt keine Rechte für den Iran. Wie riskant das wirtschaftlich ist, weiß er: Normalerweise macht der Heimatmarkt die größten Umsätze, „und es ist eigentlich ziemlich dämlich, den nicht zu machen“. Nur geht das eben nicht: Die Rechtslage, ihre Auslegung und die lokale Szene sind von außen extrem undurchsichtig.

Koch klingt trotzdem zuversichtlich. Als zweite Veröffentlichung ist die Compilation „This is Teheran?“ in Planung, auf der Künstler:innen Identitätsfragen zwischen Stadt und Umland, Heimat und Exil in vielversprechender Widersprüchlichkeit verhandeln. Und danach geht es weiter: Fünf Platten pro Jahr würden ihn freuen, aber festnageln lässt sich Koch darauf nicht. Dafür gilt es viel zu viel abzuwägen in einem Land, in dem eine kaputte Soundkarte ein paar Wochen Leerlauf zur Folge haben kann. Von internationaler Politik und Corona ganz zu schweigen.

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