piwik no script img

Website von Abtreibungsgegner_innenVermeintlich harmlos

Abtreibungsgegner versuchen ungewollt Schwangere online hinters Licht zu führen. Vor Gericht steht derjenige, der dies öffentlich machte.

Protest für die Abschaffung des Paragrafen 218 im April 1989 Foto: Obertreis/dpa

Berlin taz | In hellem, freundlichen Grün ist die Webseite von vitaL gehalten, sie soll wohl zugewandt wirken. Auf einem Foto schaut eine junge Frau nachdenklich-besorgt, die Schrift: Ungewollt schwanger. Auf den ersten Blick sieht die Seite harmlos aus. Das ist wohl kein Zufall – und ein Umstand, der nun, zumindest indirekt, die Gerichte beschäftigt.

Die Rechercheplattform „Allgäu rechtsaußen“ veröffentlichte Ende vergangenen Jahres einen Mitschnitt von der Mitgliederversammlung des Regionalverbandes der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA) in Memmingen.

In der ohne Genehmigung angefertigten und veröffentlichten Aufnahme war auch die Vorsitzende des Memminger Regionalverbandes und Schriftführerin im Bundesvorstand von ALfA, Maria Schmölzing, zu hören. Sie erklärte den Mitgliedern und geladenen Gästen, die Seite VitaL werde von ALfA betrieben, um ungewollt Schwangere zu erreichen, die von Seiten abgeschreckt würden, die deutlich erkennbar von Lebensschützer_innen betrieben werden.

Denn genau solche radikalen Abtreibungsgegner_innen sind es, die sich in ALfA zusammengeschlossen haben. 1977 gegründetet ist ALfA eine der ältesten „Lebensrechts“-Gruppen in Deutschland, zudem mit nach Eigenangaben 11.000 Mitgliedern die derzeit aktivste und einflussreichste Organisation der deutschsprachigen „Lebensschutz“-Bewegung.

Mehrere Gerichtsverfahren

In der Tonaufnahme benennt Maria Schmölzing die Intention, Schwangere in die Irre zu führen, die nur einen Beratungsschein haben wollten. An diese käme man nicht heran, wenn klar wäre, dass die Seite von „Lebensschützern“ betrieben würde. Einen Beratungsschein braucht eine ungewollt Schwangere in Deutschland für einen straffreien Abbruch in den ersten 12 Wochen Schwangerschaftswochen.

Dass der Mitschnitt öffentlich wurde, gefiel Schmölzing nicht: Sie zeigte den Verantwortlichen für die Webseite „Allgäu rechtsaußen“ wegen „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“ an, es handelt sich um den Journalisten Sebastian Lipp. In erster Instanz sprach das Amtsgericht Kaufbeuren Lipp Mitte September schuldig, verurteilte ihn aber nur zu einer geringen Anzahl von Tagessätzen. Lipp hat Berufung gegen das Urteil eingelegt, die Verhandlung wird voraussichtlich im Januar des nächsten Jahres stattfinden.

Gleichzeitig beantragte die lokale ALfA-Vorsitzende Schmölzing eine einstweilige Verfügung gegen die Veröffentlichung der Aufnahme und die wörtliche Transkription der entsprechenden Passage. Dem gab das Gericht statt, die Aufnahme und das Transkript mussten durch eine paraphrasierte Beschreibung des Inhalts ersetz werden. Ob diese Regelung bestand hat und der Klage auf Unterlassung der Veröffentlichung stattgegeben wird, entscheidet nun am Mittwoch das Landgericht Kempten.

Der Anwalt des Beklagten, Alexander Hoffmann, zeigte sich der taz gegenüber allerdings pessimistisch: Es sei zwar möglich, aber unwahrscheinlich, dass ein Zivilgericht etwas andere entscheide als ein Strafgericht. Um so einen Prozess zu gewinnen, dafür sei man vielleicht auch „im falschen Landstrich“, fuhr er in Bezug auf die konservative bayrische Region fort. Hier hatten Ende der 1980er Jahre die „Hexenprozesse von Memmingen“ stattgefunden gegen den vor kurzem verstorbenen Arzt Horst Theissen und mehrere Frauen, an denen er damals illegale Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen hatte.

„Eine unglaubliche Sauerei!“

Der Anwalt betont, es sei richtig und wichtig die Veröffentlichung im Original versucht zu haben und diese auch zu verteidigen: „Wenn ein solcher Verein unter falschem Namen auftritt, um ungewollt Schwangere von einer Abtreibung abzuhalten, ist das doch eine unglaubliche Sauerei!“, sagt Hoffmann und fährt fort: „Da besteht ganz klar ein Interesse der Öffentlichkeit am tatsächlichen Wortlaut. Wenn man das nur paraphrasieren dürfte, klänge das viel harmloser und würde so der Drastik der Situation nicht gerecht.“

Der Journalist Lipp hofft den Prozess zu gewinnen und damit auch mehr Aufmerksamkeit für die problematischen Praktiken der Abtreibungsgegner_innen zu generieren: „Wir werden auf jeden Fall versuchen, das Original wieder zugänglich zu machen. Es kann nicht sein, dass schwangere Personen derart hinters Licht geführt werden. Die Aufnahme von Schmölzing ist auch deswegen wichtig, damit die Herablassung, die die ALfA schwangeren Hilfesuchenden eigentlich entgegenbringt, hörbar wird: das stolze Feixen über diesen Trick ist in der Paraphrase nicht wiederzugeben.“ Darüber hinaus werde man den lokalen „Lebensschutz“-Aktivist_innen weiter „auf die Finger gucken“, so Lipp weiter.

„Im Weltbild der ALfA gibt es keine Frauen, die sich wirklich freiwillig für eine Abtreibung entscheiden“ sagt Eike Sanders, Mitarbeiterin des Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin (apabiz e.V.) der taz. Die Abtreibungsgegner_innen gingen immer „davon aus, dass es aus dem Weg zu räumende äußere Faktoren gibt: Finanzielle Sorgen, zum Abbruch drängende Männer oder Eltern, Angst vor irgendwas. Erfolgreiche Hilfe für Ratsuchende heißt also immer, dass die Schwangere das Kind zur Welt bringt.“

Wer genauer hinschaut, findet auch auf der Website von VitaL Hinweise auf diese radikalen Positionen, die die „Lebensschutz“-Bewegung in der Gesellschaft verbreiten will. Klickt man auf „Entwicklung des Kindes“, findet man Texte, in denen vom „Baby“ und dem „kleinen Geschöpf“ geschrieben wird, das immer „aktiver und beweglicher“ werde. Die Rede ist allerdings von einem 12 Wochen alten Fötus. Auf dem dazugehörigen Bild: ein schlafendes Baby.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Man sollte dafür sorgen, dass der Journalist der den Mitschnitt veröffentlichte bei einer Verurteilung keinen finanziellen Schaden hat. Sprich: Strafen wie Anwaltskosten sollten durch eine Spendenaktion finanziert werden.

    Ansonsten sollte Herr Lipp eine eventuelle Verurteilung wie eine Auszeichnung tragen. Einige der wichtigsten Sachverhalte, gesellschaftlichen und demokratischen Fortschritte sind von Menschen vertreten und durchgesetzt worden, die von Gerichten verurteilt wurden, oder sogar dafür ins Gefängnis gehen mussten.



    Der Schutz vor unerlaubten Tonaufnahmen ist ja ein wichtiges Recht , das verteidigt werden muss. Wir wünschen uns Gerichte, die dies nicht nach Gusto schleifen.



    Der Schutz von Frauen, der Gesellschaft vor solchen Betrügern und Demagogen wie ALfA anderseits eine Aufgabe die halt nicht allein von der Justiz erledigt werden kann und darf.

    Dank der Tonaufnahme ist zweifelsfrei zu belegen, welcher Niedertracht die Agenda der sogenannten "Lebensschützer" folgt. Selbstverständlich klagen sie gegen die Tonaufnahme. Nicht gegen den Inhalt, der sich mit ihr gerichtsfest belegen lässt. In einer solchen Beweisaufnahme würde die Tonaufnahme unabhängig von ihrer Entstehung Beweismittel.

    Also danken wir Herrn Lipp fürs hinstehen. Denn ich muss die originale Tonaufnahme gar nicht mehr kennen. Ich weiss das es sie gibt, ALfA bestreitet wohlweislich ihren Inhalt nicht.

    Man sollte sich also nicht darüber erregen das die Justiz in Sachen Tonaufnahme kaum anders entscheiden kann. Sondern dafür sorgen das Herr Lipp keinen finanziellen Schaden davon hat. Die Verurteilung auf betreiben von ALfA ist ein Ehrentitel.

  • Widerliches, selbstgerechtes Pack. Menschen in Not reinzulegen ist... hat keinen Namen.

    Dann aber moralisch überlegen tun.