: Im Schnellverfahren gegen die Pandemie
Die Große Koalition will am Mittwoch eine solidere rechtliche Grundlage für die Maßnahmen gegen die Coronapandemie beschließen. Kritik kommt von der Opposition
Von Jasmin Kalarickal und Stefan Reinecke
Am Mittwoch wird der Bundestag das „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ mit Stimmen der Groko verabschieden. Damit sollen, so das Argument, die Coronamaßnahmen auf eine solidere rechtliche Grundlage gestellt werden. Eigentlich hatte Gesundheitsminister Jens Spahn geplant, die Maßnahmen weiter mit Verordnungen zu regeln. Die SPD protestierte dagegen. Schwerwiegende Grundrechtseinschränkungen müssten verfassungsrechtlich sauber geregelt werden.
Der Streit dreht sich nun um zwei Fragen: Erfüllt das Gesetz diese Anforderungen? Und geht es jetzt nicht allzu schnell?
Ziemlich ungewöhnlich ist das Tempo. Am 6. November debattierte der Bundestag erstmals. Am Donnerstag gab es eine ExpertInnenanhörung – mit teilweise vernichtenden Urteilen. Der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers sah „gravierende Zweifel, ob diese Novellierung verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt“. Im Infektionsschutzrecht müssten „standardisierte Maßnahmen eingehend tatbestandlich geregelt werden und dürfen nur aufgezählt werden“. Andrea Kießling ließ gar kein gutes Haar an dem Gesetz. In Paragraf 28a des Infektionsschutzgesetzes ist fixiert, dass die bekannten Maßnahmen bei über 50 Neuinfektionen je 100.000 EinwohnerInnen innerhalb von sieben Tagen greifen sollen. Neben handwerklichen Fehlern hält die Juristin Paragraf 28a für einen Versuch, „einseitig das bisherige Vorgehen während der Corona-Epidemie zu legitimieren“.
Auch der Linke Friedrich Straetmanns kritisiert dieses Kernstück des Gesetzes als mangelhaft. „Der 28a präzisiert die Grundrechtseinschränkungen nicht. Er enthält nur Überschriften und macht keine Abwägungskriterien deutlich.“
Die Regierung arbeitete nach der ExpertInnenanhörung einige Kritikpunkte ein und schickte Samstagabend den Fraktionen eine renovierte Fassung des Gesetzes zu. Auch dieser Text wurde nochmal überarbeitet. Den nun vorliegenden Gesetzentwurf kennen die Bundestagsfraktionen seit Montagvormittag. Die Obleute im Gesundheitsausschuss bekamen den geänderten Gesetzentwurf erst eine Stunde vor der Ausschusssitzung.
Die Opposition wollte angesichts dieser Hektik die Abstimmung über das Gesetz um eine Woche verschieben. Man hätte, so die Kritik, noch nicht mal genug Zeit gehabt, die Ergebnisse der ExpertInnenanhörung auszuwerten“. Doch SPD und Unionsfraktion lehnten ab. Am Mittwoch wird das Gesetz von der Koalition verabschiedet, im Bundesrat durchgewinkt und vom Bundespräsidenten unterzeichnet werden. Diese Eile sei geboten, so das Argument der Regierungsfraktionen, um Corona-Impfzentren einrichten zu können. Auch das ist Teil des umfassenden Gesetzes.
Straetmanns von der Linken hält das für ein vorgeschobenes Argument. „Für die Impfzentren kann man ein singuläres Gesetz machen, falls das überhaupt erforderlich ist“, sagt er der taz. Auch Marco Buschmann, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, kritisierte den Gesetzentwurf als „mit heißer Nadel gestrickt“.
Die SPD sieht das anders. SPD-Rechtsexperte Johannes Fechner lobt das Gesetz als Fortschritt. Maßnahmen gegen die Pandemie müssten nun laut Gesetz „befristet und begründet sein“. Zudem werde es schwieriger, Gottesdienste oder Demonstrationen zu verbieten oder einzuschränken.
FDP und Linksfraktion kritisieren den Gesetzentwurf als zu unbestimmt. Beide bemängeln, dass bei dem Katalog von 15 Maßnahmen, die von Maskenpflicht über Veranstaltungsverbote bis hin zu Reiseverboten reichen, unklar sei, wann welche Maßnahmen greifen sollen.
Die FDP will die Infektionslage in drei Stufen einteilen. Je nach Stufe sollen bestimmte Maßnahmen greifen. Zur Abwägung sollen zudem mehr Kriterien berücksichtigt werden als die Infektionszahlen.
Vor allem aber räume das Gesetz, so Straetmanns, dem Bundestag keineswegs mehr Kompetenzen ein. „Das Parlament muss das Recht haben, auch mal zu einzelnen Maßnahmen Nein zu sagen“, betont der Linke. Diesem Ziel komme man mit diesem Gesetz jedoch nicht näher.
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