Abtreibungsrecht in Polen: Noch restriktiver

Das Verfassungsgericht kippt die Möglichkeit, eine Schwangerschaft im Falle eines unheilbar erkrankten Fötus abzubrechen.

Frauen protestieren am 22. Oktober 2020 gegen die Auferlegung weiterer Beschränkungen des Abtreibungsrechts in Stettin, Polen.

Frauen protestieren gegen die Auferlegung weiterer Beschränkungen des Abtreibungsrechts in Stettin Foto: Agencja Gazeta/reuters

WARSCHAU taz | Der Protest zehntausender Polinnen hat es nicht verhindern können: Am Donnerstag verschärfte das polnische Verfassungsgericht das ohnehin überaus restriktive Abtreibungsrecht in Polen. Vor knapp einem Jahr hatte eine Gruppe von 119 nationalpopulistischen und nationalistischen Abgeordneten den Antrag auf Überprüfung des Familienplanungs-Gesetzes von 1993 auf Verfassungsmäßigkeit gestellt.

Bislang waren in Polen Abtreibungen legal, wenn Gefahr für Leib und Leben der Mutter drohte, der Fötus schwerst geschädigt war, der Säugling unheilbar krank oder kaum überlebensfähig zur Welt kommen würde oder die Schwangerschaft auf eine Vergewaltigung oder Inzucht zurückging. Im letzten Jahr wurden in Polen bei einer Bevölkerungszahl von 38 Millionen Menschen gerade mal 1.100 legale Abtreibungen vorgenommen, die meisten aufgrund der medizinischen Indikation eines schwerstgeschädigten Fötus.

In Zukunft werden Polinnen kein Recht mehr auf eine eigene Entscheidung haben, wenn sie die Diagnose „fehlendes Gehirn“ oder „offenes Rückgrat“ bei ihrem noch im Bauch heranwachsenden Baby bekommen.

Die zumeist männlichen Richter stimmten den ebenfalls zumeist männlichen Antragsstellern zu, dass den betroffenen Frauen eine Zwangsgeburt dieser schwerst behinderten Kinder zuzumuten sei. Das Recht auf Leben stehe über dem „psychischen Komfort“ der Frauen.

Strafen festlegen

Die Mehrheit der Verfassungsrichter – 13 von 15 – stimmte den Antragstellern zu, dass es sich bei dem Familienplanungsgesetz von 1993 um die „Legalisierung eugenischer Praktiken an noch nicht geborenen Kindern“ handle. Mit diesem Gesetz werde „diesen Kindern“, also den Föten, „die Anerkennung des Schutzes der Menschenwürde“ genommen.

Nach diesem Urteil des Verfassungsgerichts muss der Gesetzgeber diesen Passus des Familienplanungsgesetzes neu formulieren und insbesondere die Strafen für die Frauen festlegen, die sich der Zwangsgeburt widersetzen und illegal einen Abbruch vornehmen lassen.

Ob sich in Zukunft Ärzte strafbar machen, wenn sie werdenden Müttern mitteilen, dass ihr Kind schwerstbehindert oder nicht überlebensfähig sein wird, wird ebenfalls Polens Parlament entscheiden müssen. Dort aber haben seit 2015 die Nationalpopulisten von der regierenden Recht und Gerechtigkeit (PiS) und Nationalisten die absolute Stimmenmehrheit.

Der Streit um das sehr restriktive Abtreibungsrecht zieht sich schon seit Jahren hin. Umfragen zufolge wollen die meisten Polen und Polinnen keine Verschärfung des Abtreibungsrechts. Dennoch übten katholische Fundamentalisten immer wieder massiven Druck auf die Abgeordneten aus.

Termin abgesprochen

Der PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski ist vor allem daran interessiert, das Thema zu instrumentalisieren. Viele politische Beobachter in Polen gehen davon aus, dass er mit seiner „gesellschaftlichen Entdeckung“, der Vorsitzenden des polnischen Verfassungsgerichts Julia Przylebska, den Termin für die Verhandlung des Abtreibungsrechts abgesprochen hat.

Denn sein Versagen in der aktuellen politischen Situation sei nur zu deutlich: Die Covid-19-Zahlen wachsen explosionsartig, ohne dass die Regierung eine Strategie für die zweite Corona-Welle entwickelt hätte.

Wichtiger waren für die PiS im Sommer der Kampf gegen sexuelle Minderheiten (LGBT), die Präsidentschaftswahlen, innerparteiliche Querelen und die erneute Frontstellung gegen die EU. Das Kalkül sei, so die Regierungskritiker, dass das Urteil der Verfassungsrichter, die bis auf einen allesamt von der PiS-Mehrheit im Parlament ernannt wurden, großes Aufsehen erregen und damit vom Versagen Kaczynskis und der PiS-Regierung ablenken werde.

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