Sündenböcke und Corona: Regressive Reflexe

Natürlich darf man in der Kassenschlange auf Menschen ohne Maske sauer sein. Pauschale Schuldzuweisungen werden aber der Krise nicht gerecht.

Männer und Frauen sitzen im Bundestag

Hier ist ein Rüffel angebracht: AfD-Abgeordnete ohne Maske Foto: Michael Kappeler / dpa

Zuerst waren es die Chinesen mit ihrer Vorliebe für Gürteltiere, dann SkitouristInnen in Ischgl, dann Jugendliche und ihre Raves und türkische Familien mit ihren Hochzeiten. Die Suche nach Schuldigen an der Coronapandemie sagt viel aus über eine Gesellschaft und ihre Stereotype.

Klar, es gibt Gefühle, die man haben darf: Mitmenschen, die im Supermarkt hinter einem stehen und, die Maske unterm Kinn, ins Handy brüllen – die verdienen eine laute Zurechtweisung. Egal welcher Migrationshintergrund oder -nichthintergrund gegeben ist. Und derzeit ist es keine gute Idee, eine Hochzeit mit 200 Leuten aus 20 Hausständen zu feiern. Genauso wie man es rügen kann, wenn jemand zur privaten Rave-Party lädt.

Ein unverantwortliches Verhalten mit bestimmten Gruppenidentitäten zu verknüpfen und diese zu geißeln gaukelt aber eine pauschale Täterschaft und eine Überschaubarkeit vor, die es so nicht gibt. Ein Sündenbock ist jemand, dem man eine Täterschaft an einem Unheil zuschiebt.

Wie man an Diskussionen in Großbritannien und den USA aber sieht, wird dort die Tatsache, dass mehr Schwarze, Latinos und Asiaten an Corona erkranken und daran sterben, zu Recht auf ungünstige Lebensumstände zurückgeführt. People of Color dort und auch in Deutschland leben im Durchschnitt eher beengt und arbeiten eher in der schlecht bezahlten menschennahen Dienstleistung.

Vielerorts hapert es mit den Kausalitäten. Ungeklärt in Berlin ist etwa die Frage, warum die Infektionsraten in den östlichen Bezirken niedriger liegen als im Westen. Es gibt Meinungen, die das einer durch die DDR-Geschichte bedingten Diszipliniertheit der Ostdeutschen zuschreiben. Der Coronastress bringt offenbar Klischees zum Vorschein, die schon in Vergessenheit geraten waren.

Aber selbst wenn man den Herrn im Supermarkt zu Recht anblafft, sollte man nicht so tief sinken, in pauschale Schuldzuweisungen an arabische Männer mit Masken unterm Kinn zu verfallen. Klischees haben etwas Regressives. Die Pandemie mit ihren Kausalitäten ist komplexer, unheimlicher. Genau das erzeugt ja den Druck.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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