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Juristin Maria Wersig über Parität„Wir lernen in jeder Runde dazu“

Brandenburg und Thüringen haben die Paritätsgesetze gekippt. Die Präsidentin des Juristinnenbunds will Geschlechtergerechtigkeit weiterhin im Wahlrecht.

Demonstrantinnen des Frauenpolitischen Rats Brandenburg zeigen, was sie wollen Foto: dpa
Patricia Hecht
Interview von Patricia Hecht

taz: Frau Wersig, das Brandenburger Paritätsgesetz ist gekippt, das Thüringer ebenso. Im Bundestag wurde das Vorhaben vertagt, eine Kommission für Parität einzusetzen. Ist die gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen in der Politik gescheitert?

Maria Wersig: Nein. Die Entscheidungen sind bedauerlich, aber das Problem, dass Frauen auf dem Weg in die Parlamente strukturell benachteiligt werden, bleibt ja bestehen. In Deutschland gab es noch nie ein paritätisch besetztes Parlament. Es besteht Handlungsbedarf.

Trotzdem: Sind die Wege jetzt erst mal dicht?

Es gibt viele Stimmen in der Staatsrechtslehre, die andere Auffassungen vertreten, als sie in den Entscheidungen deutlich wurden. Das haben die Thüringer Minderheitenvoten gezeigt. Aber es ist natürlich erst mal enttäuschend, dass das Brandenburger Gericht der Meinung war, dass sich der Gleichstellungsauftrag von Artikel 3 nicht im Wahlrecht widerspiegeln darf.

Im Interview: Maria Wersig

42, ist Präsidentin des Deutschen Juristinnenbunds.

Das Paritätsgesetz laufe der demokratischen Willensbildung zuwider, heißt es in der Begründung. Den Parteien selbst stünde aber frei, sich dem Ziel der Gleichberechtigkeit zu verschreiben. Widerspricht sich das nicht sogar?

Das finde ich schon. Wenn es der Auftrag des Grundgesetzes ist, Maßnahmen zu ergreifen, um strukturelle Benachteiligung abzubauen, kann man das Wahlrecht davon nicht ausnehmen. Das Gericht stellt in seinem Urteil nur auf formale Gleichbehandlung ab – aber gar nicht auf die Tatsache, dass Frauen in unserem System nicht dieselben Chancen haben.

Sind das politische Urteile patriarchaler Gerichte?

Über Parität in den Parlamenten hat sich jahrzehntelang niemand Gedanken gemacht. Der Gleichstellungsgrundsatz in Artikel 3 wird deshalb nicht ausreichend stark gewichtet. Bis das der Fall ist, wird es ein langer Weg.

Vor dem Bundesverfassungsgericht sind schon Klagen eingereicht, die die Entscheidung etwa des Thüringer Gerichts kippen wollen. Befürworten Sie das?

Vom Bundesverfassungsgericht gibt es die klare Aussage, dass es nicht nur um formal gleiche Rechte geht, sondern dass es auch einen Auftrag gibt, die Lebenswirklichkeit entsprechend zu gestalten. Trotzdem ist nicht gesagt, dass man in Karlsruhe gewinnt. Die begonnene Diskussion im Verfassungsrecht muss weitergehen. Es wäre deshalb absolut falsch, das Ziel Parität jetzt ad acta zu legen. Wir müssen den Weg weitergehen.

Auf diesem Weg sind auch andere Bundesländer wie Berlin. Was empfehlen Sie denen jetzt?

Sich über die Argumente und konkrete Ausgestaltung der Gesetze intensiv Gedanken zu machen.

Um die Urteile der Landesverfassungsgerichte zu umgehen?

Man muss sie berücksichtigen und versuchen, gute Ausgestaltungen zu finden. Konkrete Vorschläge gibt es noch nicht, aber die müssen die Gesetzgeber der Länder wie Berlin jetzt entwickeln. AfD und NPD werden weiter gegen alle Gesetze klagen. Darauf gilt es, vorbereitet zu sein. Wir lernen in jeder Runde dazu.

Gibt es noch andere Möglichkeiten als die gesetzgeberische?

Die öffentliche Debatte muss weitergeführt werden. Es ist ein Erfolg, dass es die endlich gibt und dass die Probleme auf dem Tisch liegen. Das hat Einfluss, zum Beispiel auf die Bundestagswahl: Da bleibt es allen Parteien überlassen, wie sie in den eigenen Reihen mit Parität umgehen. Auch die Unionsfrauen sagen: Uns reicht es jetzt. All das wird langfristig Folgen haben.

Wenn es im Parlament eine entsprechende Mehrheit gäbe – zum Beispiel in Thüringen nach der nächsten Landtagswahl –, könnte das Land selbst die Verfassung ändern. Muss man darauf hoffen?

Auch das wäre eine Möglichkeit. Der Blick ins Ausland zeigt: Frankreich hat die Verfassung geändert, bevor es sein Paritätsgesetz auf den Weg gebracht hat. Aber ich bin auch überzeugt, dass wir es schaffen können, unsere bestehende Verfassung so anzuwenden, dass die im Grundgesetz festgeschriebene Anforderung an die Umsetzung der Gleichberechtigung entsprechend gewürdigt wird.

Was wäre Ihr Tipp: Wie lange wird es dauern, bis die Gleichstellung der Geschlechter auch im Wahlrecht verankert ist?

Die Kämpfe der Frauenbewegung, auf die wir zurückblicken, führen uns vor Augen, dass wir dicke Bretter bohren. Ich hoffe, dass es Parteien bald zum Nachteil gereichen wird, wenn sie sich an dieser Stelle nicht bewegen. Das müssen sie merken. Dann kommen wir auch zu Veränderungen.

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4 Kommentare

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  • "...Den Parteien selbst stünde aber frei, sich dem Ziel der Gleichberechtigkeit zu verschreiben. Widerspricht sich das nicht sogar?

    Das finde ich schon."

    Genau da liegen die Beiden schief - und zwar leider auf der autoritären Seite des Wahrheit. "Es steht frei,..." heißt eben genau nicht "Das Gesetz schreibt vor..." Die Parteien sollen zur politischen Willensbildung beitragen, ein Gesetz hingegen würgt diese ab, wenn es bestimmte politische Vorgaben als Voraussetzung der Willensbildung festsetzt.

    Konkreter: Eine Partei lässt dem Wahlbevolk immer noch die Wahl, ihre gleichstellungspolitischen Standpunkt oder auch ihre Listenbesetzung mit seiner Stimme zu unterstützen oder nicht. Ist hingegen jede Partei zu einer quotierten Listenbesetzung gezwungen, kann auch der Bürger nicht mehr wählen, ob er das gut findet oder nicht.

  • In einer Demokratie wird die Zusammensetzung der Parlamente nun mal von den Wähler/innen bestimmt und nicht von den Parteien oder Regierungen.

    Es gibt nicht wenig Leute denen das ein gewaltiger Dorn im Auge ist, und die immer wieder versuchen dieses demokratische Prinzip auszuhöhlen.

  • Als Juristin weiß sie, was eine Petitio Principii ist. Das ist allerdings kein Grund, davon reichlich Gebrauch zu machen.

  • Ehemalige Bundesverfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff.

    "Ich halte diese Bevormundung nicht für demokratisch. Wenn Paritätsquoten für Parlamentswahlen vorgesehen werden, tangieren sie etwas für die Demokratie Fundamentales, nämlich die Freiheit der Bürger, nach eigenen Präferenzen zu wählen, und die Freiheit der Parteien, ihre Listen nach eigenen Präferenzen zu besetzen."

    www.zeit.de/2020/4...echtigung-parteien

    Wem das wichtig ist, kann bei der nächsten Wahl bei einer Partei sein Kreuz machen, die es so handhabt, werde ich auch.

    Saudumm ist es aber, das nicht als positiven Punkt für die eigene Partei zu nutzen, sondern es allen anderen aufzwingen zu wollen.