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„Querdenken“-Aktionen in KonstanzWeltrekord gescheitert

Die „Querdenken“-Bewegung wollte am Samstag in Konstanz die größte Menschenkette der Welt bilden und Merkel abwählen. Es klappte beides nicht.

Merken wohl nicht, wie wenige sie sind: händchenhaltende Querdenker Foto: reuters

Konstanz taz | Im Vorfeld schlugen die Wellen hoch: Es bestehe die Gefahr, dass „allfällige Gewaltexzesse in die Schweiz importiert werden“, sagte Mauro Tenua, Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei, im Gespräch mit der Zeitung 20 Minuten. Tenua erwog, die Grenzen dichtzumachen.

Gemeint waren aber nicht etwa Geflüchtete, gegen die sich derlei xenophobe Rhetorik für gewöhnlich richtet. Gemeint waren die Konstanzer Nachbarn. Dort stand ein kontroverses Demo-Wochenende an und Sicherheitsbehörden befürchteten, dass es zu Ausschreitungen kommen könnte.

Insgesamt 29 Kundgebungen, Gegenkundgebungen und Protestmärsche waren für den 3. und 4. Oktober in Konstanz geplant. Für größere Aufregung sorgten dabei die Absichten von Gerhard Mayr, Motorrad-Mechaniker, Extremsportler und einer der führenden Köpfe beim Konstanzer Ableger der bundesweit aktiven „Querdenken“-Bewegung.

Blumenschmuck und rote Pappherzen

Mayr hatte bereits Ende August auf einer „Querdenken“-Demonstration in Berlin angekündigt, dass er auch in Konstanz eine Großveranstaltung plane. Mit bis zu 250.000 Teilnehmenden sollte eine „Friedenskette“ rund um den Bodensee gebildet werden. 127 Kilometer lang – ein Weltrekord. Und auf der Abschlusskundgebung, so der Plan, „werden wir Merkel abwählen“.

Gemessen an den ursprünglichen Ambitionen fiel der Samstag in Konstanz bescheiden aus. Die Teilnehmerzahlen seien teils deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben, heißt es in einer ersten Bewertung der Polizei. Andere Kundgebungen, darunter eine, für die 5.000 Teilnehmer angemeldet waren, „fanden dagegen erst gar nicht statt“. Es habe keinerlei „herausragende Vorkommnisse“ gegeben – abgesehen davon, dass zwei maskenlose Querdenker aus einem Wirtshaus geworfen wurden.

Kurz vor 15 Uhr, als sich die „Querdenken“-Anhänger*innen zur Menschenkette zusammenschlossen, wurden an gut 40 Sammlungspunkten rund um den Bodensee Blumenschmuck und rote Pappherzen verteilt. In Konstanz, wo die Polizei die Beteiligtenzahl auf circa 1.000 schätzt, schaffte es die Kette nicht geschlossen über die Stadtgrenze hinaus. Und auch zwischendurch gab es größere Lücken. „Die schließen wir im Geiste“, kommentiert das eine Involvierte strahlend, die sich durch die Diskrepanz zwischen Erwartung und Wirklichkeit nicht die gute Laune verderben ließ.

„Schon drei Kinder gesichert an der Maske gestorben“

„Die bekanntesten Redner und Musiker diesen Jahres treten bei uns auf“, kündigte der Konstanzer „Querdenken“-Ableger auf seiner Website an – wo allerdings nicht verraten wurde, wer denn spricht und musiziert. Mit einer Trommel unterwegs war etwa der offizielle „Querdenken“-Pressesprecher Stephan Bergmann, ein Gründungsmitglied des rechtsextremen Reichsbürgervereins „Primus inter pares“. Er trällerte fröhlich „No Corona, no cry“.

Auch auf der Bühne im Konstanzer Stadtgarten fehlte die ganz große Prominenz. Dr. Guido Hofmann verlautbarte dort, dass es eine Pandemie nie gegeben habe. Und dass er einer Fünfjährigen sofort ein Attest ausstellen würde, um sie von der staatlichen Maskenpflicht zu befreien. Schließlich seien inzwischen „schon drei Kinder gesichert an der Maske gestorben“ – eine Falschmeldung, die von Behördenseite vehement bestritten wird.

Auf der Abschlusskundgebung von Gerhard Mayr war schließlich keine Rede mehr davon, Merkel abzuwählen oder Weltrekorde aufzustellen. Aber er freut sich schon auf die nächsten Aktionen. Bereits am Sonntag soll es weitergehen. Als Gäste erwartet werden unter anderem der frühere Fernsehpfarrer Jürgen Fliege und der „Querdenken“-Initiator Michael Ballweg.

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20 Kommentare

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  • Rede eines "Neandertalers" und "Gesundheitsgurus" bei einer der Kundgebungen in Konstanz.

    Ist es kulturelle Aneignung oder ist es nur Wahnsinn?

    www.youtube.com/watch?v=J7MvLt13hlE

    • @Jim Hawkins:

      "Ist es kulturelle Aneignung oder ist es nur Wahnsinn?"



      Eindeutig beides! ;)



      Der Typ ist übel, in Österreich wurde seine Firma dauer veklagt, jetzt sitzt er in Berlin :(



      Schlimmer als ihn selber finde ich allerdings noch seine Anhänger, die seinen Schwachsinn geifernd verteidigen und missionarisch verbreiten.



      Er ist übrigens kein Arzt (natürlich nicht) auch kein Ernährungsberater (warum auch), sondern Automechaniker! Ist doch klar, dass der alles über die moderne Medizin weiß.

      • @arthur:

        "Der Typ ist übel"

        Der Typ ist (soweit ich weiß mehrfacher) Millionär.

        Alles von Ihnen Gesagte ist korrekt, aber mit dieser kleinen Zusatzinformation kriegt es vielleicht die eine Dimension, die noch fehlte:

        Er ist übel - und hat mit seinem Vermögen eine Macht, Dinge zu bewegen, gegnüber der solcher Mummenschanz wie auf der Demo fast possierlich wirkt.

      • @arthur:

        Wenn man nach dem Typen googelt, kommen nur Shops.

        Und in seiner Rede geht es ja auch im wesentlichen nur um Produkte, die er verkauft.

        Also so wie bei Aal-Peter oder Bananen-Horst auf einer Marktschreier-Veranstaltung.

        Man bekommt den Eindruck, das Publikum hat sich größte Mühe gegeben, so dämlich wie nur möglich zu wirken.

        Es ist ein Trauerspiel, aber es ist ihm gelungen.

        Man könnte sich sturzbetrunken in einer Kneipe hinsetzen und sich etwas Ähnliches ausdenken.

        Es würde wohl funktionieren.

  • Sich selbst als Querdenker zu bezeichnen ist schon ziemlich eitel.



    Ich finde, das sollte man lieber anderen überlassen.



    Ich fürchte Leute, die solche Veranstaltungen besuchen, fühlen sich sehr wohl, wenn sie von den Organisatoren der Veranstaltung gebauchpinselt werden, wenn durch Teilnahme an derselben das Querdenkerdiplom winkt.



    Doch es hat seinen Preis, sich zu dieser ehabenen Gemeinschaft der Wissenden zählen dürfen:



    Wer aus der Nummer wieder herauszukommen will, muss zugeben, seinen Verstand an den Nagel gehängt zu haben, nur um das Gefühl zu haben, besser zu sein als der unwissende Rest der Bevölkerung.

  • ach, muß das ein erhabenes gefühl sein ...

    hand-in-hand im widerstand.



    und sich bei geschlossenen augen mit weiteren 249.000 gleichdenkenden verbunden fühlen.

  • Bob Marley würde sich im Grab umdrehen. Anscheinend muss man die Messlatte so hoch legen wie Zappa, damit nicht Jahrzehnte später egal wer auf die Idee kommt, einen zu vereinnahmen.

  • „Allfällige Gewaltexzesse in die Schweiz importieren“, anstatt sie nur immer anderswo zu bewirken. Das wär mal was.

    • @Ruhig Blut:

      Schlecht formuliert. „Das wär mal was völlig neues“ ist gemeint.

  • Die Querdenken-Querfrontstrategie besteht genau darin, alle Symbole der früheren Bewegungen, linksliberale und andere, zu vereinnahmen und mit ihrem antisemitischen Inhalt aufzuladen. Dazu gehört wesentlich der Begriff "Frieden", dazu gehören die Regenbogen und Pace-Fahnen und die Schilder die von Freiheit, Einheit und Gerechtigkeit sprechen. Gesungen wurde auch wieder "blühe deutsches vaterland". wie beim Protest gegen das Merkel-Macron-Treffen 2019.



    Vom Krieg gegen die Armenier in Berg-Karabach ist nicht die Rede. Von einer Vermögenssteuer auch nicht. Das ist das Problem.

  • 1G
    15833 (Profil gelöscht)

    Kritik ist richtig und wichtig aber was diese Quer Denker tun, das ist definitiv nicht denken

    • @15833 (Profil gelöscht):

      Die treffende Bezeichung für diese Leute ist "Quarkdenker".

      • @Wagenbär:

        Danke sehr für diesen Begriff! Covidioten finde ich nämlich inhaltlich richtig, aber zu sperrig. Aber Quarkdenker trifft es genau richtig. Weißt Du, wer den Begriff geprägt hat?

  • Eine Rekord-Menschenkette? Weia. An Menschenketten erinnere ich mich z. B. in der Anti-AKW-Bewegung. Wenn die selbst nicht merken, dass das eine völlig andere Dimension ist, dann müssen die der Realität schon sehr weit "entrückt" sein.