Gründe für die Ausbreitung von Corona: Ansteckung beim Mittagsplausch

Partys und Reisen sind offenbar nicht die Hauptgründe für die steigenden Coronazahlen. Was wir sonst noch über die Wege des Virus wissen.

Ein Ballonkünstler zieht in bunten Kleidern über den fast leeren Schlossplatz in Stuttgart

Spaß haben ist nicht gefährlicher als die Mittagspause auf Arbeit: Ballonkünstler in Stuttgart Foto: Tom Weller/dpa

BERLIN taz | Am Anfang der Pandemie in Europa stand so etwas wie ein Beherbergungsverbot, das damals keine gute Idee war: Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz verkündete am 13. März eine Quarantäne über das Paznauntal, in dem auch der Ski- und Partyort Ischgl liegt.

Wie jetzt eine Expert*innenkommission feststellte, reisten die Touristen damals völlig überstürzt ab, aus dem Coronahotspot Ischgl seien rund 78 Prozent nicht namentlich erfasst worden. Es sei zu bezweifeln, dass die Tiroler Behörden auch nur einen Heimatstaat über potenziell Infizierte auf Rückreise informiert hätten, schreibt der Verbraucherschutzverein Österreichs.

Partygäste, die sich und später halb Europa infizierten – das Bild stand zu Beginn der Pandemie und wird auch jetzt häufig bemüht, da die Fallzahlen wieder ansteigen: Das Robert-Koch-Institut meldete am Montag 2.467 Neu­infektionen an einem Tag, fast doppelt so viele wie vor einer Woche. Infizierte stecken im Schnitt 1,37 Menschen an, damit ist ein Anstieg der Infektionszahlen vorprogrammiert.

Die Gründe für den Anstieg sind dabei diffus – und die derzeit viel zitierten Partys nur einer von vielen. Berlin-Neukölln und Berlin-Mitte liegen laut RKI mit 142 und 103 Neuinfektio­nen pro 100.000 Einwohner*innen weit über dem Bundesdurchschnitt, der bei rund 25 Infektionen liegt. Dabei handle es sich um ein „diffuses Geschehen“, schreibt das RKI, „zum Teil getragen von jungen, international Reisenden und Feierenden, die sich unterwegs bzw. auch auf Partys anstecken“.

Beengte Wohnverhältnisse

Wie hoch deren Anteil ist, dazu gibt es keine genauen Zahlen. Allerdings lässt sich mit Sicherheit sagen, dass Partys nicht der Hauptgrund für den Anstieg sind. Das Gesundheitsamt von Frankfurt am Main, die Stadt ist ebenfalls ein neuer Hotspot, nennt auf Anfrage vier Punkte, Feiern ist nur einer davon.

Die anderen sind gemeinsame Fahrten im Pkw und gemeinsame Pausenaktivitäten während der Arbeit – offenbar stecken sich mindestens genauso viele Leute beim Mittagsplausch über verantwortungslose Jugendliche an wie Jugendliche beim Feiern. Hauptursache für Infektionen in Frankfurt: beengte Unterbringung in Gemeinschaftseinrichtungen. Geflüchtete besser unterzubringen wäre also eine effektivere Maßnahme.

Was bisher kein Grund zur Sorge scheint, sind Schulen und Kitas, die schon in einer Erhebung des RKI im September für vergleichsweise wenige Neuinfektionen sorgten. In München, ebenfalls Coronahotspot, sind beispielsweise derzeit von 9.500 Schulklassen und Kitagruppen nur 69 wegen einzelner Coronafälle in Quarantäne.

Welchen Beitrag zum Infektionsschutz Beherbergungsverbote leisten, ist nach Ansicht von Bernd Salzberger, Leiter der Infektiologie am Universitätsklinikum Regensburg, nur schwer zu sagen. „Wir wissen, dass durch Reisen viele Infektionsketten ausgelöst worden sind“, sagt er der taz. Das habe sich bei den Reiserückkehrern im Sommer gezeigt und natürlich zu Beginn der Pandemie mit den Ausbrüchen nach den Skiurlauben. Zumindest in ­Ischgl sind damals aber keinerlei Hygienemaßnahmen eingehalten worden.

Mit dem Frühjahr nicht vergleichbar

Systematische Auswertungen, was innerdeutsche Reisebeschränkungen nutzen, wenn die Menschen sich an die Hygieneregeln halten, gebe es bisher nicht, sagt Salzberger. „Das allgemeine Beherbergungsverbot ist deshalb ein sehr grobes Instrument.“ Es sei eben ein Unterschied, ob in einem Spaßhotel eine Gruppe einen Junggesellenabschied feiern wolle oder eine Familie ihre Herbstferien plant.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Familie im Bayerischen Wald eine Epidemie auslöst“, sagt er. Das alles lasse sich schlecht in allgemeine Regeln umsetzen. „Da haben Politiker gerade eine schwere Rolle.“

Auf eine weitere Zwickmühle hat das ifo-Institut in München am Montag hingewiesen: Die aktuellen Infektionszahlen seien mit denen im Frühjahr „nicht vergleichbar“. Das ifo hat abgeschätzt, wie hoch die Infektionszahlen im April gewesen wären, wäre damals genauso getestet worden wie heute. Nach der Modellrechnung wären damals dann mehr als 16.000 Neuinfektionen am Tag registriert worden, also mehr als 2,5-mal so viele wie damals gemessen.

Mit dieser Zahl müsse der aktuelle Höchststand von 4.500 Neuinfektionen in Relation gesetzt werden, um das aktuelle Geschehen einzuordnen. Nicht mit den damals gemessenen 6.000 Neuinfizierten. Das sieht auch Salzberger so. „Dennoch ist der steigende Anteil positiver Tests besorgniserregend“, sagt der Virologe.

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