Aus Le Monde diplomatique: Söldner aus aller Welt

Im libyschen Bürgerkrieg mischen auf beiden Seiten private Militärfirmen mit. Sie werden von ausländischen Staaten finanziert.

Kämpfer mit Waffe.

Bewaffneter Kämpfer der international anerkannten libyschen Regierung in Tripolis Foto: Foto: Amru Salahuddien/Xinhua/dpa

Libyen ist nicht nur Schauplatz eines Stellvertreterkriegs, in dem Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Russland und andere Staaten General Khalifa Haftar unterstützen und die Türkei und Katar die Regierung der Nationalen Übereinkunft (GNA). Das Land ist auch zum Tummelplatz für Söldner aus der ganzen Welt geworden. Seit dem Abspaltungsversuch der Region Biafra von Nigeria (1967–1970) hat kein afrikanisches Land so viele „Kriegshunde“ angezogen.

Neben den lokalen Milizen stützen sich in Libyen beide Lager zusätzlich auf diese Kräfte, die, anders als man meinen könnte, vollkommen regulär geführt und entlohnt werden. Im Gegensatz zu ihrem Image sind diese Söldner keine Ganoven, die per Anzeige oder in dunklen Bars in London oder Brüssel rekrutiert werden, wie es lange üblich war. Seit den 1960er Jahren hat sich das Waffenhandwerk weiterentwickelt, so dass in vielen Krisenregionen mehr oder weniger bekannte Unternehmen aktiv sind, die sich auf dieses Geschäft spezialisiert haben.

Die erste dieser privaten Militärfirmen, die offiziell in Libyen tätig wurde, war die französische Secopex, die laut Selbstdarstellung „strategische und operationelle Unterstützung“ anbietet. Am 11. Mai 2011 wurde ihr Chef Pierre Marziali, ein ehemaliger Unteroffizier des 3. Fallschirmjäger-Regiments der französischen Marineinfanterie (RPIMa), in Bengasi getötet. Außerdem nahmen die Sicherheitskräfte des Nationalen Übergangsrats (NTC), der damals den Aufstand gegen Gaddafi anführte, noch vier seiner Männer fest. Angeblich wollte Secopex damals Journalisten und NGO-Mitarbeitern seinen Schutz anbieten. Es blieb jedoch der Verdacht, dass sich das Unternehmen direkt in den innerlibyschen Konflikt eingemischt hat.

Verdacht gegen französisches Unternehmen

Der NTC warf den fünf Franzosen vor, sie hätten sie bei „verbotenen Aktivitäten“ ertappt, „die die Sicherheit des freien Libyens gefährdeten“. Möglicherweise hat Secopex für den NTC gearbeitet und war dann mit ihm in Streit geraten. Denn kaum wurde Marzialis Tod bekannt, zogen anonyme Quellen über sein Unternehmen her und erinnerten daran, dass das französische Recht zwar die militärische Beratung und Ausbildung im Ausland erlaube, aber die Entsendung von Söldnern verbiete.

„Secopex hat in der Welt des Militärs einen sehr schlechten Ruf, sie tanzen auf allen Hochzeiten, ohne jede Ethik“, erklärte damals ein französischer Offizier, den die Firma engagieren wollte, um Privatmilizen in Côte d’Ivoire auszubilden.1 „Sie wären bereit, für einen blutrünstigen Staatschef zu arbeiten, oder für dessen Gegner, wenn sie nur bezahlt werden.“

Bis zu seinem Sturz im Oktober 2011 hatte man auch Gaddafis Söldner im Visier. Die kamen meist aus dem Tschad, Mali oder Senegal und gehörten teilweise zur „Islamischen Legion“, die der „Oberste Führer“ nach dem Vorbild der französischen Fremdenlegion geschaffen hatte. Ihnen wurde vorgeworfen, seit Beginn des Aufstands im Februar 2011 als Todesschwadronen in Bengasi zu wüten. Darauf bezogen sich auch die USA bei ihren Anschuldigungen gegen den libyschen Herrscher: „Wir wollen, dass Gaddafi geht und seine Söldner zurückruft“, verkündete US-Außenministerin Hillary Clinton im Februar 2011 bei einer Sitzung des UN-Menschenrechtsrats.

Ab 2014 griffen beide Lager vor allem bei der Suche nach Piloten auf Söldner zurück. Haftars LNA in Bengasi und die GNA in Tripolis mussten das Problem fehlender Luftstreitkräfte zur Unterstützung ihrer Bodentruppen lösen. Als Haftars Helfer der ersten Stunde lieferten die Vereinigten Arabischen Emirate kleine, für den Abwurf von Bomben umgebaute Agrarflugzeuge vom Typ Air Tractor AT-802 und in China produzierte Wing-Loong-2-Kampfdrohnen.

Die Emirate wollten keine eigenen Piloten stellen

Die Emirate gaben auch das Geld und die Ausrüstung, um den kleinen Flugplatz al-Khadim zu einer richtigen Luftwaffenbasis umzubauen. Aber wer sollte die Flugzeuge fliegen? Die Emirate hielten die Libyer für wenig qualifiziert und noch weniger vertrauenswürdig, man rechnete mit Abtrünnigen, die zur GNA überlaufen könnten. Die VAE weigerten sich auch, ihre eigenen Piloten zur Verfügung zu stellen. Denn im Fall einer Gefangennahme hätten sie die direkte Einmischung der kleinen Golfmonarchie in den Konflikt bewiesen.

Die Lösung des Problems lieferte Reflex Responses (R-two), ein Unternehmen, das 2011 in Abu Dhabi von Eric Prince, dem früheren Direktor der US-amerikanischen Sicherheitsfirma Blackwater, gegründet wurde. Für 529 Millionen US-Dollar über einen Zeitraum von fünf Jahren stellte er für die VAE eine 800 Mann starke „Fremdenlegion“ zusammen – darunter Kolumbianer, die in den rechtsextremen Milizen ihres Heimatlands gedient hatten. Im Dienst der Emirate sollte diese Truppe insbesondere die Destabilisierungsversuche Irans abwehren. Reflex Responses versorgte Haftars LNA auch mit Piloten und Bodenpersonal.

Die Regierung der Nationalen Übereinkunft im Westen Libyens verfügt noch über ein paar Flugzeuge, die die Zerstörung von Gaddafis Luftwaffe durch die Bombardements der Nato-Staaten 2011 überstanden haben. Sie holte auch die beiden Mirage F1 zurück, mit denen libysche Piloten zu Beginn des Aufstands nach Malta geflohen waren. Weil die Piloten sich weiterhin weigerten, die Flugzeuge zu steuern, engagierte die Regierung in Tripolis kolumbianische, portugiesische und sogar einen US-amerikanischen Piloten. Die Mechaniker kamen aus der Ukraine, Geor­gien und Ecuador, das gesamte Personal wurde der „Misrata Airforce Academy“ unterstellt.

Türkische Drohnen und russische Jets

Die Regierung in Tripolis konnte auch mit der Unterstützung der Türkei rechnen. Deren Kampfdrohnen Bayraktar TB-2 verschafften ihr im Mai 2020 einen gewissen Luftvorteil, woraufhin Haftars russische Verbündete mehrere Mig-29 nach Libyen sandten, die zwar keine Kennzeichnung trugen, von denen man jedoch weiß, dass sie von der russischen Basis im syrischen Hmeimim gestartet waren. „Der Einsatz dieser Maschinen beweist, dass Russland auch einen Gang höher schalten und beachtliche militärische Kapazitäten in Libyen mobilisieren kann“, sagt ein russischer Experte für Verteidigungsfragen.

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Neben dem Luftraum bieten auch die Kontrolle und der Schutz der Erdölanlagen ein großes Einsatzgebiet für die ausländischen Söldner, die oft auch als „security contractors“ bezeichnet werden. Um die Erdölregion am Golf von Sirte zu besetzen, wo sich die meisten Erdölterminals befinden, bekam Haftar Unterstützung durch sudanesische Truppen, deren Sold von Abu Dhabi bezahlt wird.

Offiziell handelte es sich nur um Sicherheitspersonal, das die Erdöleinrichtungen bewachen sollte. In Wahrheit aber bildeten die Männer von Generalleutnant Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemetti („mein Beschützer“ in sudanesischem Arabisch), von denen einige in Darfur gekämpft haben, den größten Teil der Truppen, die Haftar für seine Offensiven im Westen und Süden einsetzte.

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Neben den Emiraten ist Russland der zweite wichtige Lieferant von ausländischen Söldnern im Dienste von Haftars LNA. Im April 2020 übergab ein von der UNO beauftragtes Expertengremium dem Sicherheitsrat einen vertraulichen Bericht. Darin wiesen die Autoren die Präsenz zahlreicher russischer Sicherheitsfirmen in Libyen nach. Eine davon, Russkie System Besopasnosti (RSB Group), gehört dem früheren Offizier Oleg Kinizyn und ist seit 2016 in Libyen aktiv. Die Firma beteiligt sich an der Minenräumung im Umkreis von Erdölanlagen und in Gebieten, die die Truppen der GNA aufgeben mussten. Zudem ist sie für die Wartung der Flugzeuge der LNA zuständig.

800 bis 1200 Söldner der Wagner-Gruppe

Der UN-Bericht verweist aber vor allem auf die Rolle der Wagner-Gruppe. Deren Söldnerzahl in Libyen sei schwer zu überprüfen, so die Experten, man schätze sie aber auf 800 bis 1200 Mann. Viele der Wagner-Leute waren schon in Syrien im Einsatz und kämpften im Frühjahr 2019 an der Seite sudanesischer und tschadischer Söldner bei der Offensive der LNA zur Eroberung von Tripolis.

Warum hat Haftar, obwohl er über eine große Zahl von Soldaten verfügt, Söldner in den Kampf geschickt und damit riskiert, das Misstrauen vieler Libyer zu schüren, die nicht verstünden, wie ein User aus Misrata auf Facebook schrieb, „dass Christen bezahlt werden, um libysche Bürger zu töten“? Für den Politikwissenschaftler Jalel Harchaoui vom Clingendaele Institut in Den Haag ist das ein Indiz dafür, dass Haftar die nachlassende Motivation seiner Truppen durchaus bewusst ist: „Hunderte Kilometer von zu Hause zu sterben, um Tripolis zu erobern, diese Aussicht ­begeisterte die Soldaten aus Bengasi nicht besonders, zumal die Regierungstruppen starken Widerstand geleistet haben.“

„Durch die Söldner kann Haf­tar sein Gesicht wahren“, meint Har­chaoui. „Denn durch sie riskiert er weniger Konflikte mit den Stämmen, die allzu hohe Verluste in ihren eigenen Reihen nicht hinnehmen würden.“ Tatsächlich waren die ersten Kämpfe verheerend für die Wagner-Gruppe, die an einem Tag 40 Mann verlor. Später gelang es den Söldnern, die Gegenoffensive der GNA-Truppen aufzuhalten, indem sie das verlassene Terrain verminten. Diese Strategie hat Haftar den totalen Zusammenbruch erspart.

Ein türkisches Unternehmen trug zum Sturz Gaddafis bei

In Tripolitanien heißt das türkische Äquivalent der Wagner-Gruppe Sadat International Defence Consultancy. Das Unternehmen wurde 2012 von Adnan Tanrıverdi gegründet, einem ehemaligen General der Spe­zial­ein­heiten der türkischen Armee und Er­do­ğan-Vertrauten. Die Firma arbeitet eng mit dem türkischen Geheimdienst zusammen. Gemeinsam mit Fawzi Boukatif, dem früheren Chef der „Brigade der Märtyrer des 17. Februar“, einer schlagkräftigen Miliz, die zum Sturz Gaddafis beigetragen hat, ist SADAT für die Ausbildung und Betreuung von syrischen Kämpfern zuständig, die die Türkei im Dezember 2019 nach Libyen „importiert“ hat, um die GNA-Truppen zu stärken.

Zu ihnen gehören auch Kämpfer von Hai’at Tahrir asch-Scham, einer Dschihadistengruppe, die in den USA auf der Liste terroristischer Organisa­tio­nen steht. „Die von der Türkei bezahlten syrischen Kämpfer und ihre von Abu Dhabi finanzierten sudanesischen Gegner dienen als Kanonenfutter in einem Konflikt, der sie nicht betrifft“, erklärt ein Experte, der den Libyen-Konflikt seit langem beobachtet.

Seit Juni 2020 kursieren Medienberichte, nach denen auch jemenitische Kämpfer der Al-Islah-Partei (Muslimbrüder) in Libyen aktiv sind, die von der Türkei ausgerüstet werden. Auf der Gegenseite hat Haftar, um die ohnehin schon komplett unübersichtliche Situation zu verkomplizieren, im ersten Halbjahr 2020 Verstärkung von mehreren hundert erfahrenen syrischen Kämpfern erhalten, die ihm das Assad-Regime als Zeichen seiner Solidarität geschickt hat.

Die Schlacht wird auch im Internet geführt

Die Söldner, die im Auftrag der Türkei, Russlands oder der Emirate im Li­byen­konflikt mitmischen, lassen aber nicht nur die Waffen sprechen: Eine Studie der Universität Stanford zeigt, dass die Schlacht auch im Internet geführt wird, wo russische Privatfirmen, darunter Wagner, mit Unterstützung ägyptischer Informatiker ein großes Netz Haftar-freundlicher Facebook- und Webseiten verwalten. Die Studie enthüllt auch, dass Russland sich um die Ausstattung und Modernisierung der früheren offiziellen libyschen TV-Anstalt al-Jamahiriya kümmert – dem einstigen Haussender Gaddafis, dessen Studios nach Kairo verlegt wurden.2

Ein anderer Beweis für die Existenz dieses Online-Söldnertums, in das die türkische Seite noch nicht zu investieren scheint, ist die Verhaftung von Maxim Schugalei durch den Sicherheitsdienst der Regierung in Tripolis im Mai 2019. Schugalei, ein Politikexperte, der für die Moskauer „Stiftung zur Förderung traditioneller Werte“ arbeitet, war offiziell in Libyen, um die humanitäre, kulturelle und politische Situation zu beobachten. Tatsächlich sollen ihn die Behörden in Tripolis aber wegen seiner mutmaßlichen Verbindungen zur Wagner-Gruppe und seiner Verwicklung in den virtuellen Krieg aufseiten Haftars verhaftet haben.

Nach anderen Informationen hatte Schugalei auch vor, sich für Saif al-Islam al-Gaddafi, den Sohn des gestürzten Diktators, einzusetzen, um nach dem möglichen Rückzug Haftars eine langfristige politische Lösung zur Hand zu haben.

Ob auf dem Schlachtfeld oder im Internet, die Libyer selbst scheinen keine Mitsprache mehr zu haben.

1 Francetvinfo, Paris, 17. Mai 2011, www.francetvinfo.fr.

2 „Blurring the lines of media authenticity: Prigozhyn-linked group funding Libyan broadcast media“, Freeman Spongli Institute for International Studies, Stanford University, 20. März 2020.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

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