Politiker Nawalny im Porträt: Der Widersacher

Alexei Nawalny ist einer der talentiertesten Politiker Russlands und wurde mutmaßlich vergiftet. Warum ist er für das System Putin so gefährlich?

Eine Frau hält ein Porträtfoto von Alexei Nawalny in den Händen

Nawalnys Anhänger*in­nen bangen um seine Gesundheit Foto: ITAR- TASS/imag

Er hatte Anzug und Krawatte angezogen. Stand da in einem beheizten Zelt in einem Moskauer Naturschutzgebiet, von seinen Unterstützer*innen umringt, auch von seiner Frau Julia, den beiden Kindern ­Daria und Sachar. Er lächelte in die ­Dezemberkälte hinein und ging im Jubel der Umstehenden unter. Er, der Kandidat. Der Präsidentschaftskandidat. Alexei ­Nawalny.

Vor bald drei Jahren war das. Der damals 41-Jährige, lässig und selbstbewusst wie immer, nahm die Szenerie, wie sie auch der Moskauer Fotograf Jewgeni Feldman während seiner Nominierungskampagne festgehalten hatte, ernst. Dieses Spiel, als würde in seinem Land eine normale Demokratie herrschen, ein normaler Wahlkampf, bei dem er, Nawalny, normale Politik machen und als Gegner des amtierenden Präsidenten Wladimir Putin antreten könnte. Auch wenn er da bereits seit Jahren von allen politischen Ämtern im Land ausgeschlossen war. Der Grund: zwei Vorstrafen nach politisch motivierten Verfahren.

Knapp drei Monate später stimmten die Russ*innen zu knapp 77 Prozent für Putin ab. Und die Propagandisten höhnten. Nawalny, der unbedeutende Blogger, Nawalny, das Kreml-Projekt, Nawalny, der Großkotz.

Sie höhnen – auch jetzt. Völlig unbeeindruckt davon, dass ein Mensch um sein Leben kämpft. Seit vergangener Woche liegt der russische Oppositionelle im Koma. Sein Zustand ist ernst. Auf seinem Heimflug von Tomsk nach Moskau war er an Bord der Maschine zusammengebrochen und wurde nach einer Notlandung in Omsk behandelt. Seine Unterstützer*innen schlugen sogleich Alarm: Nawalny sei absichtlich vergiftet worden.

Diagnose der russischen Ärzte? Stoffwechselstörung

Die Diagnose der russischen Ärzte: Stoffwechselstörung. Tests auf Gifte: negativ.

Seit vergangenem Samstag behandeln ihn – nach einem regelrechten Tauziehen – Ärzte der Charité. Die Berliner Me­di­zi­ner*innen gehen von einer Vergiftung durch eine noch unbekannte Substanz aus der Wirkstoffgruppe der Cholinesterasehemmer aus. Alzheimermedikamente basieren auf solchen Wirkstoffen ebenso wie das in der ehemaligen Sowjetunion entwickelte Nervengift Nowitschok.

Der Kreml wischte die Nachricht fast wie eine Belanglosigkeit beiseite und warnte die Deutschen vor voreiligen Schlüssen. Der Vorsitzende der Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, sah gar eine „Provokation Deutschlands und anderer EU-Staaten“. Das russische Außenministerium stellte sogleich die Frage: „Wer profitiert? Die russische Regierung eindeutig nicht.“

Schon allein die Frage nach dem Nutzen ist menschenverachtend, doch Gewalt ist offenbar längst zum akzeptierten Mittel politischer Auseinandersetzung geworden.

Nawalny ist einer der wenigen im Land, die man mit Fug und Recht Politiker nennen kann. Anders als die meisten russischen Politiker*innen sucht er die Nähe zu den Menschen, um sie von seinen Ideen zu überzeugen. Er, Charismatiker und Organisationstalent, redet so, dass ihn die Menschen verstehen. Vor allem die Jüngeren, vor allem in den Städten. Wie kaum ein anderer Oppositioneller mobilisiert er Anhänger*innen im ganzen Land. Seit 2017, als Vorbereitung auf die Präsidentschaftswahl 2018, hat er ein immer größer werdendes Netzwerk von enthusiastischen Mitarbeiter*innen in vielen Regionen aufgebaut.

Kaum unabhängige Kandidaten bei Wahlen

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Allein das macht ihn in den Augen der Mächtigen gefährlich. Noch mehr aber ist es das sogenannte kluge Wählen, eine Strategie Nawalnys, um der Regierungspartei Einiges Russland die Stimmen zu nehmen. Da zu Wahlen in dem Land kaum je unabhängige Kandidat*innen zugelassen werden, empfiehlt Nawalny, für Kandidat*innen der systemtreuen Opposition – wie zum Beispiel die Kom­mu­nis­t*in­nen – zu stimmen.

Bei der Moskauer Stadtparlamentswahl vor einem Jahr hatte seine Methode Erfolg, die Regierungspartei büßte Dutzende Sitze ein, und selbst der Moskauer Parteichef von Einiges Russland musste seinen Posten nach 18 Jahren im Parlament für einen Kommunisten freiräumen.

Putin soll bereits 2013 „ungehalten“ gewesen sein angesichts von Nawalnys Straßenprotesten und seines Erfolgs bei der Jugend. So schreibt es das russische Investigativportal Projekt, das in einer detaillierten Recherche ausführt, wie stark Nawalny stets unter Beobachtung stand. Seit Jahren werde im Kreml da­rüber gestritten, wie mit dem Störenfried umzugehen sei, heißt es darin. Hinter Gitter bringen?

2013 hatte die Justiz – kaum war Nawalny als Kandidat für die Moskauer Bürgermeisterwahl aufgestellt worden – das versucht. Fünf Jahre bekam der Jurist für die angebliche Unterschlagung von 10.000 Kubikmeter Holz bei einem Staatsunternehmen in Kirow. Noch im Gerichtssaal klickten die Handschellen. Einen Tag darauf war Nawalny – auf Bestreben des Generalstaatsanwalts – wieder frei. Der Druck der Straße hatte den Apparat dazu gezwungen. Die Beliebtheit des Festgesetzten hatten die Mächtigen unterschätzt.

„Partei der Gauner und Diebe“

Je öfter Nawalny in Arrestzellen saß, desto größer wurde die Popularität des Moskauers, der sich selbst fast um seine politische Karriere gebracht hätte – mit der Teilnahme an „Russischen Märschen“ und seinen nationalistischen Parolen wie „Russland den Russen“. Er distanzierte sich später von seinen rassistischen Aussagen und wendete sich ganz seinem Kampf gegen die Korruption im Land zu.

Durch das öffentliche Hinterfragen bestehender Verhältnisse macht sich in Russland jeder verdächtig. „Das macht man nicht“, wird den Menschen von Kindesbeinen an eingebläut. Nawalny machte „das“ immer wieder. Er stellte Fragen, stellte vieles infrage – zuerst in seinem Blog, später mit seinen profes­sio­nell gemachten Filmen auf seinem Youtube-Kanal.

Er prägte den Slogan „Partei der Gauner und Diebe“ und diskreditierte damit die Regierungspartei, er hätte den jetzigen Moskauer Bürgermeister Sergei Sobjanin bei dessen Wahl fast in die zweite Runde gezwungen, er griff Vertreter der Sicherheitskreise genauso an wie den einstigen Regierungschef Dmitri Medwedew. Mit seiner Stiftung deckt er auf, mit welchen Mitteln sich Putins Vertraute ein Vermögen aufhäufen.

Er habe Mumm, sagen Russ*innen, die sich von ihm angesprochen fühlen, weil er das Offensichtliche an die Oberfläche trage – die fragwürdigen Machenschaften der Elite. Trotzdem hat Nawalny im sogenannten liberalen Lager nicht nur Freunde. Seine Rechthaberei, sein Populismus, seine Arroganz gegenüber liberalen Medien führen immer wieder zu Auseinandersetzungen. Und doch bewundern ihn seine Kritiker*innen für sein Talent, so viele für sich einzunehmen. „Lebe, streite mit uns, ärgere uns“, schreiben sie, entsetzt von seinem Zusammenbruch. Er sei noch nie jemand gewesen, der schnell aufgebe, sagen seine Wegbegleiter*innen.

Als Nawalny einst im Gerichtssaal stand, damals in Kirow, und das harsche Urteil über sich vernahm, rang er zuerst um Fassung. Dann griff er nach seinem Telefon und tippte schnell einen Tweet: „Nun gut, Leute! Langweilt euch nicht ohne mich. Und das Wichtigste: Seid nicht untätig!“

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