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Hygienisch bereinigter Spielplan

Spielen unter Pandemiebedingungen – weniger Besucher, kürzere Stücke: Berlins Theater und Konzerthäuser starten in die neue Saison

Eine besondere Strategie im Berliner Ensemble: Das Haus wird mit einem Desinfektionsaerosol eingenebelt Foto: Moritz Haase

Von Tom Mustroph

Berlins Theaterhäuser öffnen wieder. Nach einem besonderen Spielzeitmotto mussten die Dramaturg*innen in diesem Sommer nicht suchen. Spielen unter Pandemiebedingungen drängt sich von allein auf.

Wartemarkierungen, wie im Supermarkt gewohnt, sind bereits vor einigen Häusern angebracht. Schwerer als diese Intervention in den Stadtraum wiegt die auf etwa 20 bis 30 Prozent eingeschränkte Zuschauerkapazität. Im Berliner Ensemble haben statt der gewohnten 700 Personen nur noch 200 Platz, im Neuen Haus 60 statt 180. Im Deutschen Theater sind es 130 bis 160 statt 600, in den Kammerspielen 55 bis 65 statt 230. Die Box bleibt komplett geschlossen, einzelne Produktionen werden aber auf die große Bühne geholt oder sind schon jetzt – wie „Tschick“ – in einer Freiluftvariante auf dem Vorplatz zu sehen.

„Bereits vor der Sommerpause zeigten wir auf dem Vorplatz ‚Die Pest‘ von Albert Camus. Das bot die Möglichkeit, Theater wieder analog vor Publikum zu zeigen und unter Einhaltung der geltenden Abstands- und Hygieneregeln Begegnungen beim gemeinsamen Theatererlebnis zu ermöglichen“, teilte DT-Sprecherin Luisa Männel der taz mit. Aufgrund des großen Zuspruchs gibt es jetzt auch die Sommervariante vor der eigentlichen Spielzeiteröffnung, die dann am 29. August mit „Melissa kriegt alles“, dem neuen Stück von René Pollesch, erfolgt.

Die Platzreduzierung trifft auch die Konzerthäuser. Open-Air ist wegen der erhöhten Kosten keine Option. Die Philharmonie muss von 2.400 Plätzen auf 500 reduzieren, der Kammermusiksaal von 1.200 auf 300. In den großen Saal des Konzerthauses am Gendarmenmarkt werden statt 1.540 Menschen lediglich 350 eingelassen, im Kleinen Saal 118 statt 410, im Werner-Otto-Saal 68 statt 240.

Auch künstlerisch hatte die Pandemie Einfluss auf die Spielpläne der Häuser. „Die größte strukturelle Veränderung ist, dass wir vorerst kein Repertoire spielen, sondern uns voll auf die neuen Premieren konzentrieren“, teilte Sonja Vogel, Sprecherin des Gorki, mit. Den Auftakt macht am 28. August „Berlin Oranienplatz“. Regisseur Hakan Savaş Mican schrieb das Stück anhand der Vorlage von Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ auf aktuelle Kreuzberger Verhältnisse um. Die Produktion sollte bereits in der vergangenen Spielzeit herauskommen, fiel aber Corona zum Opfer.

Pandemiebedingt soll es einen stärkeren Einsatz filmischer Lösungen geben. „Viel radikaler war die Veränderung beim internationalen Dra­ma­ti­ker*innenlabor ‚Out of Sight‘“, konstatiert Vogel. Autor*innen aus Kurdistan, Südafrika, Palästina und Mexiko hatten Texte geschrieben, die in szenischen Lesungen vorgestellt werden sollten. Jetzt sind daraus jeweils halbstündige Präsentationen entstanden, die am 29. August im Gorki als Videoprojektion gezeigt werden.

Gar nicht verändert werden musste hingegen der Audiowalk „50 Aktenkilometer“ von Rimini Protokoll. Die App für den Spaziergang auf den Spuren von Stasi-Bespitzelungen kann man sich im Gorki Kiosk an der Rückseite des Theaters aufs Smartphone laden.

Im Gegensatz zum Gorki nahm das Deutsche Theater auch einzelne Indoor-Repertoire-Stücke in den neuen Spielplan. Es handelt sich aber vorwiegend um Produktionen in kleinerer Besetzung, wie etwa das grandiose Zweipersonen-Kammerspiel „Gift“ mit Dagmar Manzel und Ulrich Matthes. Produktionen mit großer Besetzung oder einer Länge, die Pausen erfordern, stehen im DT nicht auf dem Plan.

So agieren auch die anderen Häuser. Die Stücke im Pandemiespielplan sind zwischen 60 und 90 Minuten lang – Ausnahme Gorki, dort bis maximal zwei Stunden.

Philharmonie und Konzerthaus haben ihre Programme ebenfalls auf Längen reduziert, die keine Pause nötig machen. „Die Konzerte dauern jetzt maximal 60 bis 70 Minuten. Größere Ensemblebesetzungen mussten wegen der Abstandsregeln auf der Bühne reduziert werden“, informierte Konzerthaus-Sprecher Matthias Richter die taz. Zu den generellen Abstandsregeln kommen noch die verschärften Regeln für Musiker*innen mit Blasinstrumenten (in Blasrichtung mindestens 2 Meter, besser 3 Meter) sowie 3 Meter zwischen Musiker*innen und Dirigent*in. Die räumlich und zeitlich reduzierten Programme werden aber teilweise doppelt gespielt. Der Auftakt erfolgt am 27. August mit einem Konzert des Konzerthausorchesters unter der Leitung von Chefdirigent Christoph Eschenbach.

Doppelkonzerte plant auch die Philharmonie. „Wo es in Absprache mit den Musiker*innen möglich war, haben wir zum Abendtermin noch einen 16-Uhr-Termin eingeführt“, sagte Sprecherin Lena Pelull. Zum Saisonauftakt dirigiert Kirill Petrenko am 28. August Werke von Arnold Schönberg und Johannes Brahms.

Wartemarkierungen, wie im Supermarkt gewohnt, sind bereits vor einigen Häusern angebracht

Als einziges der befragten Häuser hat die Philharmonie ein besonderes Zeitmanagement beim Einlass. Besucher*innen müssen zu vorgegebenen Zeitfenstern – teilweise bis zu eine Stunde vor Konzertbeginn – kommen und werden zu bestimmten Blöcken im Zuschauerraum geführt, in denen sie Platz nehmen können. Karten werden online oder per Telefon nicht für einzelne Plätze, sondern nur für die Blöcke verkauft, meinte Pelull. Ziel ist natürlich, so wenig Kontakt wie möglich zwischen den Zuschauer*innen zuzulassen.

Besondere Wegführungen und Maskenpflicht herrschen in allen Häusern. Erst mit Vorstellungsbeginn darf die Maske abgenommen, bereits beim Schlussapplaus sollte sie wieder aufgesetzt werden. Garderoben bleiben geschlossen, ebenso die gastronomische Versorgung. Nur das DT überlegt gegenwärtig noch, in welcher Form dies möglich wäre.

Eine besondere Desinfektionsstrategie verfolgt das Berliner Ensemble. Es lässt das ganze Haus mit einem Desinfektionsaerosol einnebeln. Start ist dort mit „Gott ist nicht schüchtern“ von Olga Grjasnowa am 4. September.

Die Schaubühne – Start am 15. Oktober mit „Everywoman“ von Milo Rau und Ursina Lardi – setzt hygienemäßig dagegen stark auf die neue Belüftungsanlage, die weit mehr als die eigentlich vorgeschriebenen 50 Kubikmeter Luft pro Sekunde austauschen kann. Ansonsten sind die Reinigungsunternehmen zu höheren Frequenzen beim Putzen der Oberflächen verpflichtet.

Der Saisonstart der Volksbühne erfolgt am 27. August mit dem ursprünglich ebenfalls für die vergangene Saison geplanten Stück „Der Kaiser von Kalifornien“ von Alexander Eisenach.

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