Dem Ursprung der Pandemie auf der Spur

Die WHO schickt Experten nach China. Sie sollen – mit Hilfe von vor Ort – herausfinden, woher das neue Coronavirus kommt. Schnelle Ergebnisse dürfte es nicht geben

In einer Grundschule im Bezirk Dongxihu entnimmt ein Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde bei einem Mädchen eine Probe für einen Coronatest Foto: Xiao Yiju/Xinhua/dpa

Von Heike Haarhoff

Die Weltgesundheitsorganisation will den Ursprung der Coronapandemie wissenschaftlich erforschen lassen. Am Wochenende sollen Experten aus der Genfer WHO-Zen­trale nach China reisen, um dort mit Kollegen des chinesischen WHO-Teams und chinesischen Wissenschaftlern eine Studie zu konzipieren, die herausfinden soll, wie das Virus von Tieren auf Menschen übergesprungen ist. Das gab WHO-Exekutivdirektor Michael Ryan am Dienstagabend in Genf bekannt.

Beginnen soll die Untersuchung in der zentralchinesischen Stadt Wuhan, die als Ausgangspunkt der Pandemie gilt. Nach Angaben der chinesischen Behörden trat das Virus dort im vergangenen Winter erstmals bei Menschen auf und verursachte teils schwere Lungenentzündungen. Es handele sich um „Detektivarbeit“, sagte Ryan, die Jahre, möglicherweise Jahrzehnte in Anspruch nehmen werde.

Das Ziel sei, den Pfad, den das Virus vom Tier zum Menschen genommen habe, möglichst genau zurückzuverfolgen und inklusive aller Zwischenwirte nachzuzeichnen. Man hoffe, auf diese Weise die Übertragungswege besser verstehen und sich gegen künftige Erreger und Risiken wappnen zu können. Bislang existieren zum Ursprung der Pandemie lediglich Hypothesen.

Er sei sicher, dass „unsere wissenschaftlichen Kollegen in China bestrebt sind“, das Rätsel um die Herkunft des Virus gemeinsam zu knacken. Die WHO ist auf die Zusammenarbeit mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft und den Behörden in China angewiesen. Ihr eigenes Expertenteam, präzisierte eine WHO-Sprecherin gegenüber der taz, bestehe aus zwei Personen aus der WHO-Zentrale: einem Epidemiologen und einem Experten für Tiergesundheit.

Unterstützt würden die Wissenschaftler vor Ort vom WHO-Team in China. Die Frage, ob die chinesische Regierung Mitsprache hatte bei der Auswahl der Wissenschaftler, die die WHO nun nach China entsendet, ließ die Sprecherin unbeantwortet. Ebenfalls keine Angaben machte die WHO dazu, welche Unterlagen ihre Forscher überhaupt werden einsehen können und zu welchen Instituten und Laboren in China sie Zugang haben werden.

Überschattet wird das Forschungsvorhaben von der am Mittwoch erfolgten offiziellen Austrittsmeldung der USA aus der WHO zum 6. Juli 2021. Nachdem US-Präsident Donald Trump der WHO immer wieder vorgeworfen hatte, unter der Kontrolle Chinas zu stehen, die Pandemie anfangs nicht engagiert genug bekämpft zu haben und deswegen mit dem Rückzug aus der UN-Organisation gedroht hatte, setzte er seine Ankündigung nun in die Tat um.

UN und WHO bestätigten am Mittwoch den Eingang der US-Austrittserklärung. Es sei allerdings noch zu prüfen, ob die Konditionen hierfür gegeben seien. Voraussetzung ist beispielsweise, dass die USA alle ausstehenden Beiträge an die WHO gezahlt haben.

Der Rückzug der USA trifft die WHO empfindlich: Unter den Mitgliedsstaaten sind die USA größter Geldgeber. Allein für 2020 und 2021 betragen die Beiträge jeweils etwa 116 Millionen US-Dollar. Zum Vergleich: Chinas Beitrag für die beiden Jahre liegt bei etwa 57 Millionen US-Dollar. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bedauerte die Ankündigung der USA.

Bisherige Untersuchungen deuten auf Fledermäuse als Ursprung von Sars-CoV-2 hin. Darauf verweisen wissenschaftliche Institutionen wie das Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit und das Forschungsnetz Zoonotische Infektionskrankheiten – ein interdisziplinärer Forschungsverbund. Er beschäftigt sich mit Infektionskrankheiten, die von Bakterien, Parasiten, Pilzen oder Viren verursacht und wechselseitig zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können.

Unklar ist, ob das Virus direkt von den Fledermäusen auf den Menschen übertragen wurde oder ob eine weitere Tierart, etwa Marderhunde oder Malaysische Schuppentiere, dem Virus als Zwischenwirt diente.

Der Rückzug der USA trifft die WHO empfindlich: Unter den Mitgliedsstaaten ist das Land größter Geldgeber

Daneben gibt es Mutmaßungen, geäußert unter anderem Anfang Mai von US-Außenminister Mike Pompeo, dass die Pandemie in einem Hochsicherheitslabor in der Stadt Wuhan ihren Anfang genommen haben könnte. Dieser Hypothese haben sowohl die chinesische Regierung als auch der US-Regierungsberater und Immunologe Anthony Fauci widersprochen.

Fauci sagte unlängst gegenüber dem Magazin National Geographic, es sei unwahrscheinlich, dass das Virus aus dem Labor entwichen sei. Der Forschungsstand deute vielmehr darauf hin, dass das Virus durch natürliche Evolutionsprozesse entstanden sei und die Artengrenze überwunden habe.

Diese These vertritt auch die chinesische Wissenschaftlerin Shi Zhengli, Leiterin des Zentrums für neu auftretende Infektionskrankheiten am Institut für Virologie Wuhan der Chinesischen Akademie der Wissenschaften.

Shi forscht seit mehreren Jahren zu Coronaviren bei Fledermäusen; 2017 hatten sie und ihr Team entdeckt, dass das Sars-Coronavirus, das – vereinfacht gesagt – verwandt ist mit dem aktuell zirkulierenden Sars-Cov-2, aller Wahrscheinlichkeit nach aus einer Fledermauspopulation in der chinesischen Provinz Yunnan stammt. Nach bisherigen Erkenntnissen, so Shi, weise das Genom von Sars-Cov-2 auch keine Spuren menschlicher Manipulation auf.