Internierung zum Seuchenschutz: Seuchenhaus für Quarantänebrecher

Stadt und Landkreis Osnabrück wollen Corona-Quarantäneverweigerer in einem bewachten Isolierhaus unterbringen. Akuter Handlungsbedarf besteht aber nicht.

Kupferstich einer ländlcihen Landschaft des 17. Jahrunderts, im Zentrum ein großes Haus mit vielen Fenstern, links eine Windmühle

Vor den Stadttoren weggeschlossen: das Amsterdamer Pesthaus im 17. Jahrhundert Foto: Reinier Nooms/imago

OSNABRÜCK taz | Eigentlich denkt man ja, das Mittelalter ist vorbei. Aber es gibt Momente, in denen beschleichen uns Zweifel. Denn Covid-19 beschert uns die Rückkehr einer düsteren Institution: Manche Kommune von heute entsinnt sich der Siechen- und Seuchenhäuser von einst, Isoliergefängnisse gegen Krankheiten wie Pest und Lepra, und droht „Quarantänebrechern“ mit der Unterbringung hinter Schloss und Riegel.

Auch Stadt und Landkreis Osnabrück haben Pläne dafür. Ihr Vorbild: Ein Haus in der nahen Bauernschaft Westladbergen, angemietet vom NRW-Kreis Steinfurt. Ein unscheinbar biederes, ehemaliges Lehrer-Wohnhaus, heute umgeben von einem bedrohlichen Doppelring aus hohen Metall-Sperrzäunen.

Es ist ein Lager, aus dem niemand so schnell entweicht, errichtet für einen Freiheitsentzug, für den Ordnungsämter und Polizei zusammenarbeiten. Im Einsatzfall abpatrouil­liert durch Sicherheitspersonal, stellt es eine Drohkulisse dar, die Uneinsichtige, die sich ihrem zweiwöchigen Quarantäne-Hausarrest entziehen, gefügig machen soll. Für Kranke ist es nicht gedacht, nur für „Kontaktpersonen“ der Kategorie I, deren „höheres“ Infektionsrisiko durch längere Nähe zu Coronabetroffenen entsteht.

„Das war in unserem Krisenstab schon lange ein Thema“, sagt Sven Jürgensen, Sprecher der Stadt Osnabrück. „Für eine solche Situation brauchen wir ja Handlungsfähigkeit.“ Hat es in Osnabrück denn so viele hartnäckige Quarantäneverweigerer gegeben? „Nein“, räumt Jürgensen ein, „nur sehr vereinzelt“. „Aber natürlich müssen wir ein solches Szenario durchspielen, um notfalls ‚vor der Lage‘ zu sein. Irgendwo müssten solche Leute ja hin, damit sie keine Verbreitungsgefahr darstellen.“

Kommune zuständig für Absonderung

Mitte Juni hat sich die Stadt Osnabrück im Schulterschlusss mit dem Landkreis deshalb an den Corona-Krisenstab der Hannoveraner Landesregierung gewandt, parallel an Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), per Brief. „Unserer Auffassung nach“, so Jürgensen, „ist das eine Landesaufgabe, keine der Kommune.“

Die Landesregierung sieht das anders. Stadt und Landkreis liegt zwar noch keine offizielle Antwort vor. Aber: „Die Anordnung einer Quarantäne erfolgt immer durch das zuständige Gesundheitsamt des Landkreises oder der kreisfreien Stadt“, sagt Justina Lethen, Sprecherin des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, auf taz-Anfrage.

Diese seien zuständig zu überwachen, „dass die Anordnungen zur Absonderung seitens der Bürgerinnen und Bürger eingehalten werden“. Das umfasse auch „eine zentrale Unterbringung in geeigneten Räumlichkeiten, wenn es in Einzelfällen dazu kommen sollte, dass der Anordnung nicht Folge geleistet wird“. Niedersachsen habe „die Aufgabe, für Unterbringung zu sorgen, kommunalisiert“.

Handlungsdruck besteht in Stadt und Landkreis Osnabrück nicht. Aktuell ist die Covid-19-Lage sehr entspannt. Das ist sie schon seit Wochen. Nur 16 Infizierte gab es Ende der Woche, nur 154 Personen waren in Quarantäne. Die Situation ist so undramatisch, dass der Osnabrücker Krisenstab schon seit Mitte Juni aufgelöst ist.

Die Situation ist so undramatisch, dass der Osnabrücker Krisenstab schon seit Mitte Juni aufgelöst ist

Die meisten der rund 500 Stadtbediensteten, die in den Tagen steigender Zahlen in Sachen Corona tätig waren, verrichten längst wieder ihre normalen Jobs. „Aber wir müssen natürlich reagieren können, sollte es zu einer zweiten Welle kommen“, sagt Jürgensen. „Rechtlich sind die Hürden dafür natürlich ziemlich hoch.“

„Es ist grundsätzlich zweifelhaft, dass Behörden einen solchen Grundrechtseingriff überhaupt durchsetzen dürfen“, sagt der Hannoveraner Rechtsanwalt Paulo Dias auf taz-Anfrage, seine Kanzlei „Recht-Durchsetzen“ ist auf Asylrecht spezialisiert. „Es ist sehr fraglich, ob die Ermächtigungsgrundlage das hergibt, denn sie ist keineswegs hinreichend bestimmt. Das ist im Infektionsschutzgesetz viel zu vage formuliert. Meines Erachtens ist das mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen.“

Es gelte zudem, so Dias, die Verhältnismäßigkeit zu beachten: „Das muss man gegen das Grundgesetz abwägen, die Freiheit der Person, die körperliche Unversehrtheit.“

Hinzu kommt: Eine solche Unterbringung ist nicht nur eine juristische Frage, auch eine politische. Aber eine politische Diskussion hat in Stadt und Region Osnabrück dazu nicht stattgefunden.

Volker Bajus, Fraktion 90/Die Grünen, Mitglied im Rat der Stadt Osnabrück und im Niedersächsischen Landtag Sprecher seiner Partei für Soziales und Justizvollzug, sagt über „dieses Verwaltungsplanspiel“: „Mich irritiert die Debatte. Das mag rechtlich erlaubt sein, aber das wäre ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte. Auch in Pandemiezeiten darf das nur allerletztes Mittel sein.“

Internierungsplan nie öffentlich thematisiert

Bajus stört zudem, dass der Internierungsplan vor dem Brief nach Hannover nie öffentlich thematisiert worden ist – und das, obwohl in Stadt und Region keinerlei Gefahr im Verzug ist. „Wir sehen an den Infektionszahlen, dass die meisten Leute vernünftig sind und sich an die Regeln halten“, sagt Bajus. „Mir ist in Niedersachsen kein Fall bekannt, bei dem so ein ‚Corona-Arrest‘ bei Gericht beantragt oder gar umgesetzt wurde.

In den politischen Gremien war so eine Maßnahme daher auch nicht Thema.“ Dass eine Kommune darüber nachdenkt, wie sie auf Quarantäneverweigerung regiert, sei berechtigt. „Aber es gibt andere Möglichkeiten als ein solches Haus.“

Stadt und Landkreis teilen sich einen gemeinsamen Gesundheitsdienst. Osnabrücks Oberbürgermeister Wolfgang Griesert (CDU) und Landrätin Anna Kebschull (Bündnis 90/Die Grünen) müssen sich also eine gemeinsame Lösung einfallen lassen. Das bedeutet nicht unbedingt ein eigenes Haus: „Denkbar wäre ja auch eine Kooperation mit anderen Kommunen“, sagt Stadt-Sprecher Jürgensen. Kommen also womöglich Osnabrücker nach Westladbergen?

„Jeglichen Zwang lehnen wir ab“, sagt Heidi Reichinnek, Landesvorsitzende der Linken Niedersachsen und Mitglied des Rats der Stadt Osnabrück. „Der Fokus muss darauf liegen, den Menschen die Notwendigkeit der Maßnahmen zu erklären und sie bei der Umsetzung zu unterstützen.“ Quarantäne-Häuser seien sinnvoll, „wenn erkrankte Personen aus einer Wohngemeinschaft mit ansonsten negativen Bewohnern in eine andere Unterkunft temporär umziehen können. Auch eine solche Maßnahme muss jedoch freiwillig bleiben.“

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