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Barcelona und der „Fröhliche Wal“

Eine Architektengruppe plante in den 30er Jahren eine Ferienanlage am Strand von Barcelona. Ein Projekt jenseits des ausufernden Massentourismus. Heute gibt es kaum noch ein öffentliches Baderefugium in der Metropole

Von Klaus Englert

Noch vor einigen Jahren gab es südlich von Barcelona eine Feriensiedlung der anderen Art. Den Eingang säumte die Skulptur eines fröhlich in die Luft springenden Wals. Nicht zufällig nannte sich die Urlaubssiedlung „La ballena alegre“ („Der fröhliche Wal“). Sie hatte etwas von einem anmutigen Städtchen, gelegen inmitten eines Pinienhains, mit Restaurant, Bar und Supermercado, der über schattenspendende Wege erreichbar war. Eine Augenweide waren die Duschkabinen – wellenförmige, weiße Gehäuse, die an Muschelschalen erinnern.

Es gab keine bombastischen Hotelbauten, keine Souvenirläden, keine überteuerten Strandcafés. Dagegen ein Ensemble aus offen gestalteten Pavillons. Für jedes Bedürfnis der zumeist einheimischen Sommerfrischler war gesorgt. In den Hochzeiten kamen bis zu 6.000 Campingfreunde zum „Fröhlichen Wal“. Vor wenigen Jahren cam­pierten hier die letzten Feriengäste, bis auch sie vertrieben wurden.

Dem Wal ist das Lachen vergangen, seitdem auf dem angrenzenden Grund­stück der neue Flughafen-Terminal fertiggestellt worden war, der jährlich 55 Millionen Passagiere aufnimmt. Der Terminal breitete sich in Richtung Strand aus und kam sogar zwei denkmalgeschützten Gebäuden aus den 1950er Jahren bedrohlich nahe. Die traumhafte Villa Ricarda ist seither unbewohnt und der Königliche Golfclub, ebenfalls ein Denkmal der Moderne, zerfällt zur Ruine.

Francesc Mitjans, der Architekt der kleinen Feriensiedlung, dachte seinerzeit noch daran, das großartige Projekt einer „Ciutat de Repos i de Vacances“, das die junge Avantgardegruppe GATCPAC in den 1930er Jahren ersann, zumindest ansatzweise umzusetzen. Die blutjungen Architekten organisierten im Sommer 1934 auf der zentralen Plaza Cataluña eine Diorama-Ausstellung, um die Barcelonesen für die Ferienstadt zwischen Barcelona und Castelldefels zu begeistern.

Den Bürgern wurde sofort klar, dass es der Architektengruppe um weit mehr als um eine Feriensiedlung ging. Sie wollten ein modernes, gesundes und hygienisches Barcelona.Das Leben in der stickigen und feuchten Altstadt sollte bald vorbei sein. Die junge Avantgarde baute nicht nur inmitten der Altstadt eine moderne Tuberkuloseklinik, sie errichtete auch Kindergärten, Bibliotheken und Badeanstalten, zudem versorgte sie die Provinz Barcelona in wenigen Jahren mit 818 Schulräumen für 40.900 Schüler.

Die Architekten widmeten sich mit großer Energie dem Entwurf für das südliche Naherholungsgebiet. Es sollte sich auf einer Länge von fünfzehn Kilometern vom Flusslauf des Río Llobregat bis nach Castelldefels erstrecken. Man wollte die Hauptverkehrsachse Gran Vía verlängern, um die Stadt direkt mit dem Urlaubsquartier zu verbinden.

Ein Werbeplakat weckte das Interesse: Es zeigt einen Strom von Sommerfrischlern, die der Metropole in Richtung Mittelmeerstrand entflieht. Man dachte damals an öffentliche Freizeitangebote ohne kommerziellen Profit in einer eigens angelegten Zone.

In dieser Zielsetzung war sich die junge Architektengruppe mit der Stadtverwaltung einig, als sie Ende 1932 schrieb: „Wir wollen keinen modischen Strand. Unser Projekt ist zutiefst demokratisch, es beantwortet die gesellschaftlichen Bedürfnisse von Mittelschicht und Arbeiterklasse.“

Die Vorarbeiten gingen zügig voran und für den 1. Mai 1934 bereitete der Präsident des Comisariado de la Casa Obrera die Grundsteinlegung vor – in Anwesenheit von Le Corbusier, Albert Einstein, Romain Rolland und Henri Barbusse.

Die Avantgarde um die Architekten Josep Lluis Sert und Josep Torres Clavé entwickelte vorfabrizierte und leicht abbaubare Strandkabinen, entwarf Schwimmbäder, Campingplätze, Geschäfte und Plätze für Open-Air-Veran­staltungen, programmierte Bereiche für Standardmiet­wohnungen und einfache, gut ausgestattete Hotels, plante Sportplätze, Schulkolonien und Parks, ja sogar Sanatorien mit freizügigen Terrassen.

Die „Ciutat de Repos i de Vacances“ sollte die Attraktivität der Mittelmeermetropole deutlich steigern. Im April 1937 unterzeichneten Regierungsvertreter die gesetzlichen Bestimmungen für den Bebauungsplan. Damit war aber die „Ciutat de Repos i de Vacances“, die die Gemeinden von El Prat, Gavá, Castelldefels und Viladecans umfassen sollte, keineswegs gerettet. Denn bereits Anfang Mai tobten in Barcelona erbitterte Barrikadenkämpfe. Die Getreuen Francos übernahmen die Herrschaft in Barcelona. Es folgten die düsteren Jahre des Franco-Regimes, die Zeit der internationalen Spanienblockade, die Ära der politischen und wirtschaftlichen Stagnation.

Leider war der „Fröhlichen Wal“ nur ein verheißungsvolles und kurzlebiges Intermezzo. Es wäre eine große Chance gewesen, jenseits des ausufernden Massentourismus, der Barcelona seit einigen Jahren überschwemmt, eine Insel der „Normalität“ zu bewahren. Aber die Investoren und Projektentwickler, die sich am Wirtschaftsboom berauscht hatten, wollten anderes.

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass der mittlerweile 80-jährige Architektenstar Ricardo Bofill, der durch seine Flughafenerwei­terung die Schließung der kleinen Feriensiedlung auslöste, für ein ganz anderes Barcelona steht – für die Stadt der schillernden Upper Class und des Jetset. Bofill errichtete das hoch aufragende Hotel W an der Spitze der Halbinsel Barceloneta, dort, wo noch vor fünfzig Jahren die andalusischen Wanderarbeiter in ihren selbst gezimmerten Holzhütten campierten.

Tatsächlich gehörte das Hotel jahrelang zu den umstrittensten Bauprojekten Barcelonas. Von der spanischen Wirtschaft wurde das Projekt als leuch­tendes Stadtsymbol an der mediterranen Küste gelobt. Die Investoren setzten sich damals trotz des nationalen Bodengesetzes durch, das bei Neubauprojekten einen Mindestabstand von hundert Metern zur Meeresküste vorsieht. Kleine, seit Jahren ansässige Händler mussten daraufhin das Gebiet räumen.

In der Zwischenzeit entwickelte sich die eigens um zehn Hektar für Hotel und weitere kommerzielle Einrichtungen vergrößerte Grundfläche zum Hotspot der internationalen Nouveaux riches. Die signethafte Gestalt des Hotels W steht für die Ansprüche des globalen Jetsets. Dass das neue Hotel mit der stattlichen Höhe von 99 Metern ans Burj al Arab in Dubai erinnert, ist alles andere als zufällig. In dem Ressort mit 67 Suites und privatem Strandbereich ist man garantiert unter seinesgleichen.

Das Hotel W ist allerdings schon lange kein Fremdkörper mehr am Alten Hafen. Die Rückentwicklung des öffentlichen Stadtraums zeigt sich besonders drastisch am Verkauf des Port Vell, des Alten Hafens am Ende der Ramblas, an den englischen Investor Salamanca Group. Der von der Hafenbehörde abgesegnete Deal beinhaltet die Errichtung einer nach außen durch gläserne Wände gesicherten Luxus-Marina.

Die Privatisierungsstrategie passt bestens zur touristischen Neuausrichtung auf Barceloneta. Auch wenn die neue, linksalternative Stadtregierung unter Ada Colau etliche Bereiche des Stadtraums für die Öffentlichkeit zurückerobert, bleibt das Gleichgewicht labil. Gegen den Massentourismus hat auch sie keine probaten Mittel entwickelt.

Und dennoch entstanden in den letzten Jahren einige abseits liegende und unscheinbare Orte, die für einen ganz anderen Strandtourismus stehen. Einer dieser überraschenden Orte nennt sich Baños del Forum und befindet sich im äußersten Norden der Stadt, am Rande einer riesigen Photovotaikanlage, eines Elektrizitätswerks und einer Recyclingfirma, die von einer neuen Parkanlage umgeben ist. Angrenzend ragt die ehemalige Schiffswerft empor.

Völlig zu Recht hat die Stadtverwaltung mit den Baños del Forum auf alternativen Tourismus und Schonung der natürlichen Ressourcen gesetzt. Tatsächlich wirkt das brutalistisch anmutende Bad der einheimischen Landschaftsarchitektin Beth Gali inmitten der fast endlosen Sandstrände wie ein heilsamer Schock: Das gebührenfreie Freibad mutet zwar wie ein künstlicher Ort an, passt aber wunderbar zu der industriellen Umgebung und übt einen nicht alltäglichen Charme aus.

Die Landschaftsarchitektin setzte auf möglichst einfache und preiswerte Materialien: Hölzerne Plattformen trennen Schwimmer- von Nichtschwimmerbecken, und am äußeren Ende der beiden Becken ragen rechteckige Betonstelen aus dem Wasser, um die Badezone vom offenen Meer abzutrennen.

Und weiter draußen schützt ein Arm aus riesigen aufgeschütteten Betonquadern vor den Unbilden des Meeres. Die abgesonderten Becken besitzen sogar eine Sicherheitszone für körperlich Behinderte, außerdem verfügt das Freibad über eine Wasserskianlage, die rein mechanisch mit Seilwinden betrieben wird. Das ist eine ökologische Alternative zum Motorsport, der unter Einheimischen zusehends beliebter wird. Wer die überfüllten seichten Sandstrände meidet, findet im Baños del Forum sogar mitten in der Touristensaison einen Ort, wo man einfach in Ruhe seine Bahnen ziehen kann.

Der „Fröhliche Wal“ oder gar die „Ciutat de Repos i de Vacances“ sind weit weg. Hier im industriellen Norden freut man sich einfach über das letzte öffentliche Baderefugium in der dröhnenden Metropole Barcelona.

Literatur: Klaus Englert, Barcelona. Architekturführer, DOM Publishers, Berlin 2018, 560 Seiten, 750 Abbildungen, 48 Euro

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