: Hilfe direkt vor der Tür
Ob häusliche Gewalt wegen der Coronapandemie zugenommen hat, ist bislang nicht sicher. Jetzt informieren Plakate in Wohnblöcken darüber, dass sie verboten ist – und wo Betroffene sich Hilfe holen können
Bettina Wilhelm, Landesfrauenbeauftragte
VonEiken Bruhn
Mit einer Plakatkampagne in Mehrparteienhäusern in Bremerhaven und Bremen will Bremen gegen häusliche Gewalt vorgehen.
Am Dienstag hatte Bremens Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm die Aktion, bei der rund 4.000 Plakate aufgehängt werden, gemeinsam mit Thomas Tietje vorgestellt. Tietje ist Geschäftsführer der Brebau und Vorsitzender der AG Wohnen, eines Zusammenschlusses von zwölf Wohnungsunternehmen in Bremen und Bremerhaven. Auf dem Plakat befinden sich Notrufnummern und in sechs Sprachen der Satz „Keine Frau muss Gewalt akzeptieren“.
„Es ist zu befürchten, dass die Beschränkungen und die Folgen der Coronakrise zu einem Anstieg von Partnerschaftsgewalt sowie Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen führen“, sagte Bettina Wilhelm zu den Hintergründen der Aktion. „Genau hier, wo die Menschen wohnen, zu sensibilisieren und zu informieren, dass es schnell und unkompliziert Rat und Hilfe gibt, ist deshalb umso wichtiger.“
Der Vertreter der Wohnungsunternehmen, Thomas Tietje, sagte, die Unternehmen hätten sich an der Kampagne beteiligt, um „ein deutliches Zeichen gegen Partnerschafts- und familiäre Gewalt zu setzen“. Und: „Wir möchten, dass es allen Menschen, die in unseren Häusern wohnen, gut geht – und dazu zählt wesentlich, dass sie ein Leben frei von Gewalt führen können.“
Nach Angaben der Bremer Polizei haben Vorgänge im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt nur direkt nach Inkrafttreten der Allgemeinverfügung leicht zugenommen. Das liege, so eine Polizeisprecherin, „möglicherweise an psychischen Belastungen im Zusammenhang mit der Einführung der Kontaktbeschränkungen“.
Einen weiteren Anstieg habe es zu den Osterfeiertagen gegeben – an Feiertagen eskalieren nach langjähriger Beobachtung von Expert*innen Konflikte häufig schneller und heftiger. „Insgesamt“, sagt die Polizei, „verhalten sich die Zahlen im Vergleich zu 2019 unauffällig.“ Sie verweist aber auch auf das Dunkelfeld, weil viele Vorfälle gar nicht angezeigt werden.
Die Landesfrauenbeauftragte hofft, genau an diesem Punkt mit den Plakaten ansetzen zu können. „Es geht auch darum, Nachbar*innen zu sensibilisieren“, sagt ihre Mitarbeiterin Silke Ladewig-Makosch. „Wer so etwas mitbekommt, ist häufig überfordert“, sagt sie, die als Referentin für Gewaltschutz im Team der Landesfrauenbeauftragten arbeitet. „Die Notrufnummern sind auch für unbeteiligte Dritte, die sich Rat holen können.“
Denn viele Menschen seien verunsichert, wenn sie etwa ein streitendes Paar in der Nachbarwohnung hörten oder Eltern, die ihre Kinder anbrüllten. „Aber man kann schon zu diesem Zeitpunkt intervenieren“, sagt Ladewig-Makosch, „und dann vielleicht sogar Schlimmeres verhindern.“
Sie geht davon aus, dass erst in den nächsten Monaten offenbar wird, inwiefern die Pandemie und die Einschränkungen zu mehr Gewalt gegen Frauen und Kinder geführt haben. Da es in Bremen und in den meisten deutschen Bundesländern kein so striktes Ausgehverbot wie in anderen Staaten gegeben hat, sei es möglich, dass es hierzulande weniger Fälle gebe als in anderen Ländern. „Es kann aber sein, dass die Situation in den Familien erst jetzt kippt“, sagt Ladewig-Makosch. Zu Beginn der Krise hätten viele unter Schock gestanden und sich vielleicht auch zusammengerissen.
Die Landesfrauenbeauftragte hatte am Dienstag gesagt, Hilfeeinrichtungen würden die Situation in Familien als „zum Teil sehr schwierig und angespannt schildern“. Und: „Frauen halten in Krisensituationen still. Sie wollen jetzt ein bestehendes System von Partnerschaft oder Familie, und sei es auch noch so fragil, in der Krise eher schützen und stützen als daraus ausbrechen. Viele Fachleute befürchten einen deutlichen Anstieg von Gewalt, wenn sich die allgemeine Situation weiter entspannt.“
In anderen Städten sowie beim bundesweiten Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ habe die Nachfrage nach Beratung zu häuslicher Gewalt seit Beginn der Corona-Einschränkungen bereits deutlich zugenommen, so Wilhelm.
Ladewig-Makosch wies darauf hin, dass es häusliche Gewalt auch schon vor Corona gegeben habe. „Aber jetzt gibt es mehr Aufmerksamkeit für das Thema.“
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