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Corona-Katastrophe in den USARevolte als Selbstzweck

Gastkommentar von Torben Lütjen

Konservative Anarchisten sind für die 100.000 Pandemie-Opfer in den USA verantwortlich. Es ist an der Zeit, Donald Trump anders zu lesen.

Für Trump-Anhänger sind die Virologen Agenten des verhassten „Deep State“ Illustration: Katja Gendikova

E in heimtückisches und fremdartiges Virus, ausgebrochen im Land des geopolitischen Rivalen, einzudämmen nur mit der Einschränkung individueller Freiheitsrechte durch einen starken Staat – welche Weltanschauung müsste auf eine solche Bedrohung eigentlich am sensibelsten reagieren und mit dem unweigerlich folgenden Disziplinierungsakt eigentlich die geringsten Probleme haben? Natürlich: ein autoritärer Konservatismus.

Und doch sind es in den USA ausgerechnet die Republikanische Partei, gemeinhin als „konservativ“ bezeichnet, sowie ihr Präsident, der stets als „autoritär“ gilt, die seit Beginn der Coronapandemie den Ernst der Lage entweder nicht erkannt haben oder aber nicht willens waren, das Notwendige zu tun. So sind es vor allem die Beschwichtigungen und Unterlassungen des amerikanischen Präsidenten gewesen, durch die anfangs wertvolle Zeit verspielt wurde. Und Trumps Agieren hat dafür gesorgt, dass die USA mit jetzt über 100.000 Covid-19-Opfern im internationalen Vergleich einen einsamen Rekord aufstellen.

Die Sache ist eben: Im Zentrum dessen, was wir amerikanischen Konservatismus nennen, stehen schon lange Elemente, die sich in Wahrheit konträr zu jeder konservativen Weltsicht verhalten. Die Partei, der Trump heute vorsteht, ist in weltanschaulicher Hinsicht ein merkwürdiger Hy­brid. Seit den 1980er Jahren schon kreuzen sich innerhalb der Republikanischen Partei ein „klassischer“, antimoderner und religiöser Konservatismus mit einem radikalen, fast schon anarchisch interpretierten Libertarismus.

Eine Beziehung auf Augenhöhe war es gleichwohl nie. Am Ende gab fast immer der libertäre Flügel mit seiner eifernden und glühenden Staats- und Institutionenfeindlichkeit den Ton an. Für die Verfechter von „Small Government“ konnte der Staat nie die Lösung, sondern immer nur das Problem sein; ein Krebsgeschwür, das sich ausbreitete und auf seinem Weg alle individuelle Freiheit zerstörte.

Doch in einer Erzählung, in der so viel Dunkelheit herrschte, da musste es auch Licht geben. Das war der sogenannte freie Markt“ der als Assoziation freier Individuen nicht nur ökonomische, sondern allein auch politische Freiheit garantierte. Und es gab einen strahlenden Helden: den amerikanischen Unternehmer, dem unverkennbar religiöse Züge zugeschrieben wurden. „Der Mann, der eine Fabrik baut, baut einen Tempel, und der Mann, der dort arbeitet, betet dort“, wie es Calvin Coolidge, der republikanische Präsident der besonders turbokapitalistischen 1920er Jahre, ausdrückte.

Eine heilige Sache, die Menschenleben rechtfertigt

Nur eine heilige Sache rechtfertigt nach dieser Erzählung auch Opfer und den Einsatz von Menschenleben. So wie es in dieser Krise der Fall ist, da die meisten Bundesstaaten, angefeuert vom Präsidenten höchstselbst, wieder zur Normalität zurückkehren, obwohl sich die Zahl der Neuinfektionen noch immer nicht wesentlich abgeschwächt hat und laut Meinungsumfragen eine Mehrheit der Amerikaner eher zur Vorsicht neigt. An Trumps Basis aber hält man die Zeit längst für gekommen, den ganzen Spuk zu beenden, koste es, was es wolle.

In den Twitter-Feeds des linken Amerika zirkuliert seit einiger Zeit eine giftige Analogie. Früher, so wird dort geätzt, seien politische oder religiöse Fanatiker immerhin noch für den Fortbestand der Nation, für den Sozialismus oder für ihren Gott gestorben – Trumps Anhänger aber seien bereit, ihr Leben für Dow Jones zu geben, sich selbst also auf dem Altar des Kapitalismus zu opfern.

In Trumps Amerika vagabundiert der Verschwörungsglaube politisch nicht frei herum, sondern ist an die bereits existierenden Konfliktlinien angebunden

Der Vergleich ist einprägsam, am Ende aber nicht wirklich treffend. Denn er überschätzt die Bereitschaft der Lockdownkritiker, überhaupt irgendein kollektives Gut über das Eigeninteresse zu stellen. In den USA existiert tatsächlich die hemdsärmlige, massenkompatible Version eines „Volks-Libertarismus“, für den man gar nicht Friedrich August von Hayek oder Milton Friedman gelesen haben muss. Diese Form des Libertarismus ist tief in den Lebenswelten vieler Amerikaner verwurzelt. Und er speist sich aus einem mächtigen Mythos: Amerikas Erbe als Siedlernation und als Ort, an dem man sein Schicksal selbst in die Hand nimmt und sich am Ende allein die Starken und Wage­mutigen durchsetzen. Das ist nicht nur Sozialdarwinismus pur, sondern in seinem Glauben, jeder sei im ­Kapitalismus tatsächlich seines eigenen Glückes Schmied, natürlich auch eine ziemliche Fiktion.

Doch der Mythos ist unmittelbar massenwirksam, anschlussfähig an die vielen verschiedenen Gruppen, die sich unter dem Dach einer heterogenen Bewegung tummeln: etwa die Waffennarren und Milizionäre, die von der Heidenangst getrieben sind, die Regierung könnte ihnen ihr verbrieftes Grundrecht auf Waffenbesitz nehmen, und die im Lockdown lediglich den neuesten perfiden Trick erkennen. „Live free or die“ – in diesem nun tausendfach auf Plakate und T-Shirts gedruckten Credo, stolz auch getragen von jenen Menschen, die, schwer bewaffnet, in diversen Landesparlamenten amerikanischer Bundesstaaten „protestieren“, manifestiert sich dieser militante und maskuline Hyperindividualismus. Wer dagegen eine Gesichtsmaske trägt, bei dem kann es sich folglich nur – so heißt es tatsächlich in diesen Kreisen – um eine „Liberal Pussy“ handeln.

Aber im Widerstand gegen die Eindämmung der Pandemie kulminieren natürlich auch noch andere Strömungen innerhalb der Partei, die erst mit Trump wirklich dominant geworden sind – die aber den „Leave-me-alone-Libertarianism“ kongenial ergänzen.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

So schießen zwar derzeit überall auf der Welt die Verschwörungstheorien ins Kraut. Eines aber ist in den USA anders als etwa in Deutschland, wo Rechtsextremisten und Rechtspopulisten noch immer mit dem Anschluss an den politisch diffusen Teil der Paranoiker zu kämpfen haben. In Trumps Amerika vagabundiert der Verschwörungsglaube politisch nicht frei herum, sondern ist an die bereits existierenden Konfliktlinien angebunden – und deswegen auch viel gefährlicher und wirkmächtiger.

Vielen Trump-Anhängern galten die Experten der eigenen Anti-Infektions-Behörde – allen voran deren Leiter Anthony Fauci – von Beginn an als Agenten des verhassten „Deep State“, Protagonisten einer vermeintlichen Kabale der Regierungsbürokratie gegen den legitim ins Amt gewählten Präsidenten. Für die Feinde der staatlichen Autorität hat diese eben viele Gesichter. Und da ist nichts, was das Misstrauen mindern könnte, schon gar nicht ein Vertrauen in wissenschaftliche Expertise.

Beißender Antiintellektualismus

Dafür wiederum hat ein beißender Antiintellektualismus gesorgt. Historisch hatte dieser noch einen bedenkenswerten Kern, spielte er doch abstraktes Wissen gegen praktische Alltagserfahrungen aus, die Theorien der Experten gegen den „gesunden Menschenverstand“. Zwar erwies sich eine solche Anschauung immer schon als anfällig für groteske Verwirrungen, aber als grundsätzliche Mahnung gegen technokratische Anmaßungen hatte sie doch zumindest einen legitimen Kern.

Der Antiintellektualismus 2.0 aber hat nichts mehr von dieser grundskeptischen, eben konservativen Einsicht in die Begrenztheit aller menschlichen Erkenntnis. Er ist aggressiver, zerstörerischer, zynischer, lässt schon lange nichts mehr gelten, was außerhalb der eigenen gefühlten Wirklichkeit liegt – und arbeitet aktiv daran, alle zentralen Autoritäten zu demontieren.

Im Zusammenspiel mit der anarcholibertären DNA der rechten Bewegung ergibt dies eine gefährliche Mischung, die jedes Vertrauen in Institutionen oder Personen längst untergraben hat und in eine falsch verstandene, weil entgrenzte und damit pervertierte Idee der Selbstermächtigung mündet. Gäbe es jenseits der roten „Make America Great Again“-Basecaps“ ein offizielles Erkennungszeichen der Bewegung: Es wäre nicht der Hitlergruß, sondern der ausgestreckte Mittelfinger.

Trump, der neurotisch Getriebene

Deswegen ist es an der Zeit, Donald Trump endlich anders zu lesen. Er ist eben nicht der eiserne autoritäre Anführer, der mit seinen Tweets eine ganze Bewegung dirigiert, sondern ein neurotisch Getriebener, der äußerst sensibel auf den Sack Flöhe reagiert, den er täglich bei Laune zu halten hat. Wie auch in dieser Krise: Nach einer ersten Phase der Verharmlosung und nachdem ihm – wohl mit kognitiver Verspätung – die Dimension des Problems bewusst wurde, unterschieden sich die Aussagen und Handlungen Trumps und seiner Regierung für eine Weile nicht mehr wesentlich von dem, was auch andernorts getan und gesagt wurde.

Torben Lütjen

ist Politikwissenschaftler an der Universität Kiel. Von 2017 bis April 2020 lehrte er an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee. Von ihm ist jetzt erschienen: „Amerika im Kalten Bürgerkrieg. Wie ein Land seine Mitte verliert“, Verlag wbg Theiss.

Doch als schließlich ein Teil seiner Basis immer unverblümter die Maßnahmen infrage stellte, begann Trump mit einem zynischen und scheinbar schizophrenen Doppelspiel: Einerseits trug er den Lockdown offiziell mit, anderseits aber feuert er die Proteste noch an. Hatte er im Konflikt mit den Bundesstaaten zunächst verlauten lassen: „The president has complete authority!“, vollzog er nur wenige Tage später eine seiner vielen bemerkenswerten Volten: „I take no responsibility at all!“

Wie so vieles bei ihm scheint auch dies keinen Sinn zu ergeben – es sei denn, man versteht es als das, was es ist: als infantile Pose des Führers einer infantilen Bewegung, die die Revolte zum Selbstzweck erhoben hat.

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69 Kommentare

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  • Wenn Sie statt Nicht-mehr-EU-Mitglied UK "Germany" einrechnen, dann sehen die Zahlen anders aus - und wenn Sie Corona-Faelle und -Tote nur in Deutschland und den USA miteinander vergleichen, dann braucht es Ihr an den Haaren herbeigezogenes "Ressentiment vom 06. Juni 1944" gar nicht.

  • die verwendung des anarchismusbegriffes passt hier nicht. aber der hinweis auf das infantile, elterliches bekämpfende, ist gut. führer und gefolgschaft stecken irgendwo in einer pubertären phase fest, welches sie wiederrum verbindet. vllt auch ist es nur ein individuationsschritt.

  • Ja ja, der Libertatismus, das böse Kind in der Familie des Anarchismus, bei dem man immer wieder betonen muss, dass es ein Kukukuksei ist und gar nicht dazu gehört.

    • @Rudolf Fissner:

      Naja, die Verbindung die da von selbsterklärten "Anarchokapitalisten" (Widerspruch in sich) hergestellt wird ist ja schon an sich eine künstliche.



      Schon Benjamin Tucker und Stirner sind im Bezug auf historische, anarchistische Bewegungen völlige Außenseiter.



      Spätestens ab Rothbard ist das dann nur noch ein pseudoradikaler Anstrich.

      Gemein ist viellecht höchstens ein problematisch verkürzter und zu oft auf Repressionshypothesen verknüpfter Freiheitsbegriff, den haben aber auch noch ganz andere Leute.

      • @Nora_X:

        "Schon Benjamin Tucker und Stirner sind im Bezug auf historische, anarchistische Bewegungen völlige Außenseiter. "

        Auf welchen historischen Anarchismus beziehen Sie sich? de.wikipedia.org/w...er_des_Anarchismus Existieren dort noch mehr Kukukuseier? Und wer ist der oberste Sortenbeauftragte, der zeigt wo es lang geht beim Anarchismus? Gibt es da so etwas wie die heilige anarchistische Inquisition?

        • @Rudolf Fissner:

          Ich weise – als historisch zu dem Thema durchaus sehr fitter Mensch, auf den, leicht nachvollziehbaren, historischen Trend hin, dass 95%-98% der anarchistischen Bewegung sich in der Vergangenheit sozialistisch, syndikalistisch oder kommunistich verortet haben. Das lässt sich prüfen, es wird sich angeschaut welche Bewegungen es gab und wie die so zahlenmäßig aufgestellt waren. Bei den wirtschaftsliberalen Individualanarchist*innen stößt mensch dann schnell darauf, dass es da ein paar Kommuneprojekte gab und das wars im Großen und Ganzen dann auch. Die Massenbewegungen mit Millionen Leuten sind aber alle im rot-schwarzen Lager. Was das jetzt mit den paar Frühsozialist*innen und antiautoritären Liberalen zu tun haben soll, die Wikipedia als "Vorläufer*innen" aufzählt – die Liste müsste übrigens deutlich(!) länger sein – ist mir schleierhaft. Ebenfalls warum ich sofort die "anarchistische Inquisition" an den Kopf geknallt bekomme. Aber ich habe schon gemerkt – so wird hier eben gerne "diskutiert". ;)

    • @Rudolf Fissner:

      So schauts aus.



      Hier wird wieder einmal wird der Gedanke des Anarchismus (herrschaftsfreie Gesellschaft) in den Dreck gezogen.

      Mit einer Waffe im Parlament zu demonstrieren kann nicht anarchistisch sein, weil die Demonstrierenden Herrschaft ausüben.

      Ein Unternehmen zu führen, dass den Menschen die dort arbeiten nicht gehört, kann ebenfalls nicht anarchistisch sein.

      • @Christoph Buck:

        Ideengeschichtlich ist es nur leider einfach falsch zu behaupten dass links- und rechts-libertäre Ideen keine gemeinsamen Wurzeln hätten. Wer ernsthaft von einer herrschaftsfreien Welt träumt täte gut daran dies nicht einfach zu verleugnen sondern sich mit diesem theoretischen Erbe auseinandersetzen um es weiterzuentwickeln.



        Und ebenso gespalten wie in der Frage von Individualismus und Kollektivismus waren die anarchistischen Bestrebungen von Anfang an in der Gewaltfrage bei der es radikale Pazifisten ebenso gab wie jene die der Ansicht waren die Herrschaftsverhältnisse (uA den Parlamentarismus) notfalls auch mit Kugeln und Dynamit zu überwinden. Auch hier gilt wieder, dass man sich mit der Historie und den Kontexten en-detail befassen sollte, statt den Anarchismus per Definition zum Reinen und Guten zu erklären. Man kann ja auch im Allgemeinen Gewalt als politisches Mittel ablehnen und trotzdem der Ansicht sein, dass etwa der bewaffnete Widerstand gegen die Falange gerechtfertigt und notwendig war, die im Zuge dessen von anarchistischer Seite verübten Massaker an Klerikern aber nicht.

        "Ein Unternehmen zu führen, dass den Menschen die dort arbeiten nicht gehört, kann ebenfalls nicht anarchistisch sein."



        Der Zugang der Rechts-Libertären (nicht meiner) wäre hier, dass es möglich ist zu dem Unternehmen und den Angestellten zu kommen ohne die Axiome der freien Vereinbarung und des Eigentums zu verletzen. (Wilt-Chamberlain-Argument)

        • @Ingo Bernable:

          Es ist ebenso legitim, den Anarchismus Ideengeschichtlich zu betrachten, wie es legitim ist, allein die Definition zu betrachten.



          Dabei geht es nicht darum von einer herrschaftsfreien Welt zu träumen. Die Herrschaftsfreie Gesellschaft wird (sehr wahrscheinlich) niemals Realität werden. Als Orientierungshilfe ist sie (von der reinen Definition her ohne Ideengeschichtlichen Kontext) dennoch nützlich. Ähnlich wie ein Fixstern, der nicht erreicht werden kann aber dennoch bei der Navigation nützt.

      • @Christoph Buck:

        Das ist Quatsch.



        Macht und Herrschaft sind zu unterscheiden. Die Waffe im Parlament wäre Machtausübrung an einem Ort struktureller Herrschaft.



        Ein Unternehmen ist ein Herrschaftsapparat, das kann auch so sein wenn es der Arbeiter:innenschaft gehört, siehe zB Mondragon und Zulieferbetriebe.

        • @Nora_X:

          Der Macht und Herrschaftsfrage ist in diesem Fall nicht so eindeutig, da es sich ja teilweise um bekennende Trumpanhänger gehandelt hat.

          Ich habe nicht behauptet, dass ein unternehmen nicht zum Herrschaftsapparat gehört, sobald es den Arbeitenden gehört.



          Ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass ein Unternehmen, das nicht den dort arbeitenden Menschen gehört, nicht anarchistisch sein kann

        • @Nora_X:

          Mondragon ist eingebunden in den spanischen Rechtsstaat, funktioniert auf Badis spanischer Gesetze, unterwirft sich Arbeitsrechtlich den Gesetzen und im Streitfall den spanischen Arbeitsgerichten. Bei Einbrüchen, Diebstahl, Vorkommen von Gewalt u.s.w. kommen die bekannten staatlichen Institutionen Polizei und/oder Feuerwehr. Selbstjustiz kennt man auch nicht.



          Kurz: Genossenschaften sind noch kein Anarchismus. Arztpraxisgemeinschaften auch nicht.

          • @Rudolf Fissner:

            Hat auch niemand gebhauptet. Es ging um Firmen im Besitz der Arbeiter*innen. Nicht um deren Rahmenbedingungen oder ob das Anarchismus" sei.



            Allerdings wenn Anarchismus hier gleich "Selbstjustiz" und einfaches Fehlen von gesellschaftlichen Institutionen verstanen wird, darf ich genau wie oben historische Ahnungslosigkeit attestieren.

  • Guter Artikel. Dieser ganze Libertärenirrsinn wird hierzulande generell und bei der Beurteilung von Trumps Politik im Besonderen viel zu wenig beachtet. Seine Amtsführung lediglich als autoritär bis faschistisch zu labeln, erscheint mir v. a. als Projektion europäischer Geschichte.



    Das Rechtslibertäre hat übrigens auch bei uns, im Dunstkreis der Neuen Rechten, Konjunktur; im Internet findet sich der Kram massenweise. Und zumindest nach meiner Beobachtung ist diese Denke in ländlichen Selbstständigenmilieus seit langem weit verbreitet.

  • Konservative Anarchisten sind verantwortlich für die 100.000 Pandemietoten in den USA? Nicht das Virus? Sind die auch verantwortlich für die noch mehr Toten in Europa? Etwa für die 4.000 unter den 10 Mio. Schweden? Der Autor übertrifft mit seiner Prämisse noch Xsvier Naidoo.

    • @Balder :

      "Guns don't kill people, people kill people"

      -- NRA

  • "Trump, der neurotisch Getriebene

    Deswegen ist es an der Zeit, Donald Trump endlich anders zu lesen. Er ist eben nicht der eiserne autoritäre Anführer, der mit seinen Tweets eine ganze Bewegung dirigiert, sondern ein neurotisch Getriebener, der äußerst sensibel auf den Sack Flöhe reagiert, den er täglich bei Laune zu halten hat."

    Trump ist eindeutig autoritäre. Das er kein eiserne Anführer ist, ist weil er faul, dumm, ignorant und unfähig ist.

    Die zeitliche Abfolge stimmt auch nicht. Trump hat erst gegen den Shutdown wettert, weil es seine beliebte Börse schadet. Erst danach sein seine unterwürfige Anhänger auf die Straße gegangen.

    Ich glaube, es macht wenig Sinn eine ideologische Analyse von den Republikaner zu machen. Die Politiker machen was ihre Geldgeber wollen. Ihre autoritären Anhänger haben eh schon die Neigung Ihren Führer zu folgen und es gibt auch noch ein riesiges Medienapparat die jeden Quatsch als typisch Republikanisch verkauft und die Leute bei der Stange hält mit Hass auf Anderen. Zum Glück stirbt dies aus zusammen mit dem Fernsehen.

  • Ich bin kein Fan von Stirner, aber vor der Inanspruchnahme durch die Republikanische Partei muss ich ihn dann doch in Schutz nehmen. Wer den weltgrößten staatlichen Militär- und Spionageapparat mit aufgebaut hat und noch weiter ausbauen will, der kann sich sicherlich nicht glaubhaft auf irgendeine anarchistische Tradition berufen. Nicht mal auf Stirner.

    • @Tobsen:

      Es sind zwei Paar Schuhe, bzw eher Äpfel und Birnen. Stirners Individualanarchismus ist ein Versuch, das aus der rein individuellen Herleitbarkeit von Naturrechten entstehende Problem einer die Gesellschaft umfassenden moralischen Grundlage aufzulösen.

      Der Libertarianismus hjingegen ist nichts weiter als schlecht philosophisch verbrämte Anomie, also im exakten Gegensatz zu Stirner die reine Willkürherrschaft.

      Liegt vermutlich vorwiegend an der Schwierigkeit, das "Eigentum" aus Stirners Hauptwerk so ins Englische zu übersetzen, dass es nicht deckungsgleich mit "materieller Habe" wird. Genau darum ging es Stirner aber nicht, sondern vielmehr um Autonomie, um Macht über das Selbst.

    • @Tobsen:

      sorry, das war eigentlich eine direkte Antwort in einem Faden weiter unten

  • Nun wissen wir, dass es sich bei den Politikwissenschaften nicht gerade um eine exakte Wissenschaft handelt. Zahlen verwirren da nur, dass sie uns nicht vom Wesentlichen abbringen mögen. Sie hätten für Ihr Elaborat vielleicht doch eine andere Zündschnur als Corona wählen sollen. Quält uns zu sehr das Ressentiment vom 06. Juni 1944?.....ist es ein Zufall, dass grad zum Tag des SpaceX-Raketenstarts es so mit voller Wucht aus uns herausbricht. Aber danke, hab lange nicht den heimlichen Groll, der die Seele der einschlägigen Leserschaft so sehr berührt, mit größerer Deutlichkeit herauslesen können.

    USA: 103.781 Tote



    Bevölkerung 328Mio



    UK, Italy, France, Spain, Belgium



    137.164 Tote



    Bevölkerung 252Mio



    Quelle: Johns Hopkins University



    Tag 31.05.2020 Uhrzeit 13:00 Uhr

    • @Günter:

      Jup. In den europäischen Ländern dürfte das Schlimmste aber schon vorbei sein. In den USA hingegen geht es jetzt erst richtig los. Beachten Sie außerdem, dass in den USA bei weitem nicht so viel getestet wird wie bei uns.

      • @Klempschwester:

        Zudem: bei schlechterer medizinischer Versorgung "in der Fläche" (z.B. weniger Tests) werden die pandemiebedingten Zahlen eher unterschätzt.

        Ein späterer Vergleich mit der Übersterblichkeit rückt sie dan langsam zurecht, wie wir gerade in EU sehen (wir sind zeitlich etwas voraus).

      • @Klempschwester:

        Diese Behauptung "jetzt geht es erst richtig los", wurde auch Anfang April hier immer wieder verkündet ohne das was passierte. In den USA geht die Zahlen abwärts und es werden dort jeden Tag 300K Menschen getestet (soviele wurden hier in einer Woche getestet).



        covidtracking.com/data/us-daily/

        Es macht im übrigen keinen Sinn gesunde zu testen, da durch die Fehlerrate des Test bei solchen Massentests, die Anzahl der falsch positiven schnell grösser ist, als die der wirklich positiven.

        J. Kuhn hat das mal durchgerechnet



        scienceblogs.de/ge...ve-testergebnisse/

        Die Epidemie hat überall den gleichen Verlauf, nur die Höhe der Spitzen unterscheidet sich und warum es so dramatische Unterschiede bei den Toten gibt, müssen Studien zeigen. Das liegt aber mit Sicherheit nicht an der Politik.

        • @Struppi:

          "Die Epidemie hat überall den gleichen Verlauf, nur die Höhe der Spitzen unterscheidet sich"

          Nachweislich falsch. Man vergleiche mal den Verlauf in Frankreich, deutschland, UK und USA, und am besten noch Finnland, Südkorea uind Vietnam.

          "und warum es so dramatische Unterschiede bei den Toten gibt, müssen Studien zeigen. Das liegt aber mit Sicherheit nicht an der Politik."

          Es gibt Studien, udn die sagen: es liegt so ziemlich ausschließlich an der Politik.



          Wenn man sienen gheistigen Horizont aber an Rhein, Oder und Neiße, oder vielleicht Gibraltar und Ural enden lässt, ist das nicht ersichtlich.

          Oder bekommt man plötzlich Super-Resistenzgene, wenn man nach Vietnam oder Neuseeland auswandert?

      • @Klempschwester:

        Da würde ich noch mal in mich gehen. Schauen Sie sich die Homepage der JHU an coronavirus.jhu.edu/map.html



        Was besseres gibt es nirgendwo auf der Welt. Unsere Phantasie, dass bei uns in Germany immer alles am Besten ist, am meißten getestet wird etc. begleitet uns über die Jahrhunderte, hat aber mit der Realität wenig zu tun.

    • @Günter:

      Jetzt hat er's doch gebracht. Kann man den nirgendwo unter sich bleiben ;-)

  • Autoritär, ja, aber im Sinne von Wissenschaft und Vernunft, nein, natürlich nicht. Das würde dem Prinzip allem Rechten und Radikalen zuwiderlaufen. Mit traumwandlerischer Sicherheit immer in die falsche Richtung.

  • Ich glaube, dass es eine Verniedlichung von Trump ist ihn zu beschreiben als "neurotisch Getriebener, der äußerst sensibel auf den Sack Flöhe reagiert".

    Trump hat schon Jahrzehnte bevor er Präsident wurde gegen Minderheiten gehetzt und Verschwörungsideologien in die Welt gesetzt oder zumindest weiter verbreitet. Das hat er mit Twitter "perfektioniert", aber es war immer schon Teil seiner Persönlichkeit.

  • 0G
    03706 (Profil gelöscht)

    Anarchie ist nicht Anomie. Beide Begriffe bitte nochmal nachschlagen ( Wikipedia )

  • Bzgl. "fast schon anarchisch interpretierten Libertarismus." &



    "libertäre Flügel". Liebe taz, was genau haben die Leute, die sich mit "Libertarismus" labeln mit "Anarchismus" zu tun? Nichts. Selbst wenn sie weniger oder keinen Staat wollen. Anarchismus gibt es nicht ohne die Abschaffung des Kapitalismus. Diese Marktradikalen, die weniger Staat wollen, aber den Kapitalismus belassen oder ausbauen wollen, behalten damit das Herrschaftssystem Kapitalismus bei. Anarchismus ist die Ablehnung jeder Herrschaft. Anarchismus fußt auf Prinzipien, wie der freien Vereinbarung und der Gegenseitigen Hilfe. Ich finde es schade, wenn eine so wichtige Bewegung und Idee, wie "Anarchismus" von einer sonst doch kritischen Tageszeitung begrifflich in die Nähe von Rechts-Konservativen, Autoritären und Kapitalisten gerückt wird.

    • @Andreas Maier:

      Eine marktförmig organisierte Ressourcenallokation ist aber kein spezifisches Kriterium für den Kapitalismus und auch nicht per-se inkompatibel mit anarchistischen Konzepten. Irgendwie müssen ja auch die in beispielsweise anarchosyndikalistisch organisierten Kollektiven produzierten Waren verteilt werden. Dazu die Maxime "Alle nach ihren Bedürfnissen" auszugeben und auf die freiwillige Selbstbeschränkung zu setzen scheint mir doch eine Spur zu idealistisch gedacht, alternativ bliebe dann die Zuteilung/Rationierung, die sicher gerecht aber auch suboptimal ist oder eben per Markt bei Einheitslohn. Sowohl Zuteilung als auch Einheitslohn verletzten aber andererseits das Prinzip der freien Vereinbarung. Es ist also alles nicht so einfach ...



      Um doch noch wieder auf die Rechts-Libertären zurückzukommen: Deren zentrales Problem ist nicht die fehlende Verwurzelung in (bestimmten) libertären Ideen, sondern darin, dass sich Gerechtigkeit bei ihnen darin erschöpft alle innerhalb der gleichen, minimalen Regeln agieren zu lassen ohne sich im mindesten um strukurelle und systemimmanent verstärkende Ungleichheit zu scheren und debei ebenfalls ignorieren, dass ein solches System auf Dauer einfach nicht stabil sein kann.

      • @Ingo Bernable:

        Nicht nur, dass diese Ordnung selbst nicht stabil sein kann, sie mündet ziemlich zwangsläufig in eine, aufgrund der zwangsläufigen Ressourcen- und Machtakkumulation wesentlich stabilere, neufeudale Ordnung, wie in Ihrem Shell-Nigeria-Beispiel unten. Nur, dass diese neuen Herrscher ihren Machtanspruch nicht wie im vormodernen Europa über familientradierte und/oder religiöse Auserwähltheit legitimieren können, sondern lediglich über das Recht auf Freiheit und Eigentum; der Rest ist brutale Repression. Was mir auf Dauer und mit der wiederum ziemlich zwangsläufigen Verelendung der Bevölkerungsmehrheit auch nicht recht tragfähig erscheint.



        Der Witz ist doch, dass diese „Freiheits-“Fetischisten gesetzlich regulierte Zwangsmaßnahmen des Staates – obwohl idealerweiser der Vertreter aller Menschen – schärfstens ablehnen, die unumschränkte Willkürherrschaft Einzelner aber nicht. Solange die sich nur auf Privatbesitz bezieht, ganz gleich wie umfassend und welche Konsequenzen daraus für andere entstehen. Ein radikaler Sozialdarwinismus.



        Klar, wer keine Lust hat, sich dem Diktat des Land- und Produktionsmittelbesitzers zu fügen, muss eben weiterziehen und sich einen eigenen claim abstecken. So er die Eier hat und fähig ist, ihn gegen die Indianerkommunisten zu verteidigen. Dummerweise sind die neuen claims aber seit langer Zeit schon alle.

  • Trump ist selber sein größter Feind, die Linke aber ist sein größter Freund. In den USA sind 30 Millionen Menschen arbeitslos, das wird als Problem empfunden. Wenn die große Katastrophe ausbleibt, die die Linke menetekelt, dann wird ihr die Schuld an der Wirtschaftskrise zugeschoben. Und für diese Annahme gibt es Gründe: a)demokratische Staaten haben durch ihre Maßnahmen der Epidemie die Spitze abgeschnitten. b)im Sommer wird Corona vor sich hindümpeln, die zweite Welle droht voraussichtlich erst im Herbst, das sehen wir aus anderen Ländern. Das schlimme ist, wir können uns noch nicht einmal wünschen, dass Trump auf die Nase fällt, da wir selbst mit Schulden und einer Wirtschaftskrise kämpfen.

  • Ausgezeichnet - Zu ergänzen wäre noch die kriminelle Energie, mit der man sich auf der rechten Seite Vorteile verschafft

    • @mife:

      ...wobei diese Energie subjektiv nicht als kriminell empfunden wird, denn für den, der alle Zentralgewalt ablehnt, gelten ja keine Gesetze.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Wie so vieles bei ihm scheint auch dies keinen Sinn zu ergeben – es sei denn, man versteht es als das, was es ist: als infantile Pose des Führers einer infantilen Bewegung, die die Revolte zum Selbstzweck erhoben hat.""



    ==



    Die Bilanz des Führers einer infantilen Bewegung, welche Revolte zum Selbstzweck auserkoren hat:

    --derzeit Zustände in vielen Städten die eher an Bürgerkrieg erinnern

    --über 100.000 Tote durch covid 19 die zum großen Teil Donald Trump zu verschulden hat

    --1,7 Millionen Infizierte bislang - als Garantie das die furchtbaren Auswirkungen der Pandemie in den USA noch lange andauern werden

    -- mehr als 40 Millionen Arbeitslose - bei der großen Depression 1929 waren es 15 Mill. amerikanische Arbeitslose

    --beispielloser Niedergang einer in sich zersplitterten und in weiten Teilen antagonistischen Gesellschaft -- was an den amerikanischen Bürgerkrieg erinnert

    --totaler Verlust der Hegemonieansprüche eines sogenannten Präsidenten, der als Führer eines Mobs agiert - aber nicht den mindesten Anspruch hat, Ausgleich zu schaffen, sondern im Sinne des Mobs weiter polarisiert.

    Mir es kein Präsident der USA bekannt, der den USA einen Niedergang beschert hätte, der auch nur annähernd an das von Trump angerichtete Desaster heran reicht.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Danke für den Kommentar. In Zeiten wie diesen bin ich gerne bereit, über gewisse begriffliche Ungenauigkeiten hinwegzuschauen.

    Besonders dann, wenn entscheidende Faktoren genannt werden, die bislang in der öffentlichen Betrachtung zu kurz kommen.

    "Die infantile Pose des Führeres einer infantilen Bewegung, die die Revolte zum Selbstzweck erhoben hat" ist eine conclusio, die den Weg zeigt:

    Ökonomische Interessen des "Small government" und des "America first" gehen eine explosive Melange mit einem Bündel an Faktoren ein, die am Ende eine pathologische Sprengkraft haben.

    Da gibt es bei aller sonstigen Vorliebe für Kritik am Kapitalismus preußisch-bayerischer Strickart in hiesigen Breiten zZ (fast schon gemütlich) weniger zu mäkeln als sonst ...

  • Eine sehr gelungene Analyse. Derartiges würde ich gern häufiger lesen.

  • Ich finde diesen Artikel immer noch zu wohlwollend geschrieben, lässt er, in meiner Lesart, doch die Tür offen zu der Hoffnung, dass sich, mit einem Präsidentenwechsel im Herbst, eine Lösung anbietet. Das tut es aber nicht, denn die Elite der Demokraten sind in exakt den gleichen "anarcho-kapitalistischen" (danke den Vorpostern für die Aufklärung des Begriffs) Denkmustern und, vor allem, persönlichen wirtschaftlichen Zwängen gefangen wie die Republikaner. Nichts wird sich ändern.

    Joe Biden ist einfach nur ein leerer Anzug. Ein trauriger Witz eines Politikers; der Clown im eigentlichen Sinn.

    Solange die USA nicht zu einem pluralistischen politischen System findet, bleibt jede Wahl nur Makulatur.

  • In den USA stimmt einiges nicht. Aber es gibt Länder, sogar in Europa, die mehr Tote pro 100.000 Einwohner haben. Laut tagesspiegel liegen sieben Länder in Europa bei dieser Kennzahl höher: "ussagekräftiger ist die Zahl der Toten im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Da stehen die USA gar nicht so einsam an der Spitze, wie der Ton der Schlagzeilen nahelegen könnte. Sie haben jetzt 305 Tote pro eine Million Einwohner.

    Sieben Länder in Europa sind schlimmer dran" (28.05.20)

    • @Wilfried Bergmann:

      Ja, aber die Geschichte ist noch nicht zu ende. In Europa gibt es nur drei Länder, in denen sich der Virus noch schneller ausbreitet, als in den USA: Russland, Schweden, Polen. Alle anderen europäischen Länder haben die Entwicklung deutlich stärker gebremst oder gar umgekehrt.

      Bei derart hohen Zahlen immer noch deutliches Wachstum, darin sind die USA allein. Gefolgt, natürlich, von Brasilien.

  • Mit scharfem Blick erfaßt Torben Lütjen die historischen Wurzeln, Struktur und Binnendynamik der politischen Rechten in den USA – ich möchte ihn ermutigen, seinen Blick weiter zu stellen, und den ‘linken’ Gegenpol mit der gleichen Schärfe in die Analyse miteinzubeziehen: die Wechselwirkung beider Pole der US-amerikanischen Gesellschaft im ‘culture war’. Dieser Gegenpol ist heute in hohem Maße identitätspolitisch orientiert, dies betrifft Teile der demokratischen Partei (Biden’s ‘you ain’t black’), große Teile der Hochschulen sowie von Medien/Kultur. (Der Politologe Mark Lilla hat zu diesem Bereich geforscht.)

    Beide Pole dürften sich wechselseitig hochschaukeln. Deutlich sind strukturelle Analogien beider Pole: bei den identitätspolitischen Akteuren finden wir ebenfalls eine Delegitimierung der Wissenschaften (und damit auch ‘wissenschaftlicher Expertise’), die als ‘westliches, weißes, patriarchales Narrativ’ denunziert werden – auch dies ist eine Art Verschwörungsglaube, der ‘hinter’ aller wissenschaftlichen Erkenntnis die Interessen ‘weißer Männer’ sieht. Auch hier finden wir die Überbetonung, je Exklusivität der ‘lived experience’ , die ‘nichts mehr gelten (läßt), was außerhalb der eigenen gefühlten Wirklichkeit liegt‘. Auch hier wird ’aktiv’ daran gearbeitet, ‘alle zentralen Autoritäten zu demontieren’; auch hier herrscht ein ‘aggressiver, zerstörerischer’ Zynismus vor, der alles und jedes dem Säurebad der ‘Problematisierung’ aussetzt und nur noch Negatives, Defizientes sieht – ein Zynismus, der selbst nichts ‘Produktives’ beizusteuern hat. Auch hier haben wir eine ‘woke’ Bewegung deren ‘religiöse Züge’ wiederholt herausgestellt wurden (z.B. v. John McWorther).

    Möglicherweise ergibt das Zusammenspiel dieser beiden Pole der US-amerikanischen Gesellschaft erste recht eine ‘gefährliche Mischung die jedes Vertrauen in Institutionen oder Personen längst untergraben hat ‘, bzw. daran arbeitet.

    • @Weber:

      Richtig. In ihrer Irrationalität und identitären Exklusivität zeigt sich die kulturelle Verwandtschaft dieser beiden Strömungen. Die in einer langen politischen Tradition stehen.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Unklare Kategorien. Reproduziert die ideologischen Lügen der Rechten.

    Es wäre zu sagen dass der sog. Anarchokapitalismus mit der anarchistischen Bewegung überhaupt nichts zu tun hat. Anarchokapitalismus ist nur ein anderes Wort für den Übergang vom Liberalismus zum Faschismus. Wenn sich Combat 18 morgen in "Kommunistische Front" umbenennt, bringt die taz dann einen Artikel, in dem steht, dass Kommunisten rassistische Morde begehen?

    • @85198 (Profil gelöscht):

      Die Terminologie ist schon richtig (wenn man sie zu lesen weiß). Dass die meisten (meist linken) Anarchisten sich von rechts-libertären Ideen recht sicher maximal distanzieren würden steht auf einem anderen Blatt.



      DIE anarchistische Bewegung die sich auf eine homogene und kohärente Lehrmeinung von Anarchismus einigen konnte gab/gibt es ohnehin nicht.



      Und unklare Kategorien zu beklagen und dann Anarchokapitalismus mit Faschismus zu vermengen ist auch nicht sehr hilfreich. Was würde denn ein Anarchokapitalist beispielsweise zu Konzepten wie Gleichschaltung der Wirtschaft, Protektionismus, staatlich koordinierter Zwangsarbeit oder dem Ansatz Nachfrage nicht über privaten Konsum und freien Markt, sondern primär über staatliche Investitionen (vA in die Rüstung) zu schaffen?

      • @Ingo Bernable:

        Naja, es gibt da schon ziemliche Überschneidungen, zumindest deutlich mehr als in die anarchistische Bewegung. Sieht mensch etwa exemplarisch an der Geschichte der "eigentümlich frei" - ex ankap Zeitung, mittlerweile neurechts bzw. kryptofaschistisch geprägt.

        Es ließe sich also durchaus davon sprechen, dass "Ankap" zumindest eine Querfrontbewegung ist. Faschismus ist historisch Korporatismus ja, wer sich aber neuere Iterationen der extremen Rechten ansieht stellt fest, dass Marktradikalismus sehr im Kommen ist.

        DIE anarchistische Bewegung gibt es nicht, stimmt, genausowenig wie es bei irgendeiner Bewegung DEN, DIE oder DAS gibt. Es gibt aber einen eindeutigen historischen Trend, und der ist nun mal links und antikapitalistisch.

        • @Nora_X:

          "Faschismus ist historisch Korporatismus" Vollkommen richtig. Und mein Plädoyer dafür die Kategorie Faschismus nicht unterschiedslos auf alles zu pappen was sich politisch rechts-außen bewegt ist gerade darin begründet, dass es diese analytische Schärfe auch braucht um den (faschistischen wie nicht-faschisischen) rechtsradikalen Bestrebungen wirkungsvoll etwas entgegensetzen zu können.



          "Es gibt aber einen eindeutigen historischen Trend" Gerade aus anarchistischer Perspektive sollten Mehrheitsverhältnisse doch eigentlich nicht das Kriterium sein =) Mein Beharren darauf auch Strömungen wie etwa den Anarchokapitalismus der Historie anarchistischer Theoriebildung zuzurechnen ist keineswegs durch Sympathien begründet, sondern dadurch, die gemeinsamen Wurzeln anzuerkennen und daraus etwas für einen linken Anarchismus zu lernen.

          • @Ingo Bernable:

            Stimme bei Trennschäfe bzgl. Faschismus-Definitionen zu – allerdings gibt es da in der Faschismustheorie ja viele Definitionen, die zB auf die Bewegungen der neuen Rechten/en Rechtspopulismus eben durchaus ganz oder in weiten Teilen passen. Und die Grenze zu klassischen Faschist*innen ist hier so durchlässig, dass auch davon gesprochen werden könnte, sie sei schlicht nicht vorhanden. Beispielsweise die identitäre Bewegung ist hier so ein Musterbeispiel. Casa Pound als Vorbildfunktion, genauso das mit dem historischen Faschismus liebäugelnde Institut für Staatspolitik, jede Menge ehemalige Nazi-Kader, ideologische Kontinuitäten. Von daher wäre es hier etwa analytisch gesehen falsch, die F-Kategorie nicht zu verwenden. Bzw. es würde dazu beitragen den Faschismus unzulässig zu historisieren.

            Sonst: Klar spielen, vor allem so absolute, "Mehrheitsvehältnisse" bewegungsgeschichtlich in sofern eine Rolle, dass sie nunmal den Charakter einer Bewegung bestimmen. Ich kann da irgendeine "lunatic fringe" nicht gleichberechtigt betrachten, sonst verzerre ich die Analyse ins Maßlose. Erst recht wenn 98% der Bewegung eine klare Distanz aufbaut. Ideengeschichtlich lässt sich zeigen wo die Begriffe/Deutungsmuster zusammenpassen, wo sich aufeinander bezogen wird und wo die VOrstellungen divergieren.



            Da würde ich sagen: Ich kann den "Anarchokapitalismus" mit derselben Gültigkeit zum "Anarchismus" zählen wie den nationalsozialistischen Strasserismus und andere Querfrontprojekte zu Arbeiter:innenbewegung. Im Hinblick auf den Kapitalismus handelt es sich nämlich bei Ankap um nichts anderes: es ist ein Querfrontprojekt, das vesucht eigentlich unvereinbare Positionen zu synthetisieren.

  • USA: 103.781 Tote



    Bevölkerung 328Mio

    UK, Italy, France, Spain, Belgium



    137.164 Tote



    Bevölkerung 252Mio

    Quelle: Johns Hopkins University



    Tag 31.05.2020 Uhrzeit 13:00 Uhr

    • @Günter:

      Das ist aber eine ziemlich beliebigen Auswahl an Vergleichsländern - bzw nein, es sind die mit den höchsten Zahlen, also die die die eigene These stützen, natürlich.

  • Guter Kommentar. Besonders die Feststellung "Das ist [...] Sozialdarwinismus pur".

    Wer seine persönliche Freiheit für grenzenlos hält und nicht anerkennt dass sie dort endet wo des anderen Freiheit beginnt, der verdient es nicht mit einem so wohlklingenden Wort wie "libertär" bezeichnet zu werden. Von "anarcho" mal ganz zu schweigen...

    • @Tobsen:

      Das ist durchaus die richtige Bezeichnung, der Anarchokapitalismus, der vollkommen ohne öffentliches Recht auskommt, ist das auf die Spitze getrieben.

      • @Sven Günther:

        Nein. Selbsternannte "Anarcho-Kapitalisten" tun so als ob "anarcho" einfach nur die Abwesenheit eines Staatswesens bezeichnen würde. Tut es aber nicht, es bezeichnet die Abwesenheit von Herrschaft. Und wie soll bitte schön die Abwesenheit von Herrschaft zusammengehen mit der Herrschaft des Kapitals?

        Die Rechten klauen halt gerne Rhetorik der Linken um über ihre fehlende Kreativität hinwegzutäuschen. "Libertär" wurde ja früher auch ganz selbstverständlich als links und mehr oder weniger synonym mit "anarchistisch" verstanden bevor Ultra-Rechte in den USA anfingen mit diesem Wort ihrer offenen Menschenverachtung einen etwas netteren Anstrich zu geben.

        • @Tobsen:

          Doch. Das unauflösbare Spannungsverhältnis von individueller Freiheit und dem Gemeinwohl ist eben ein zentraler, wunder Punkt der Anarchismen und die theoretische Grundlegung diesbezüglich von Anfang an durch widerstrebende Positionen gekennzeichnet. Dass der Anarchokapitalismus wohl kaum links einzuordnen ist ist sicher richtig, aber die Annahme da hätten lediglich ein paar Rechte die eigentlich gute Idee übernommen und pervertiert ist dann doch zu einfach gedacht. Es übersieht, dass es sich dabei um eine radikale Fortentwicklung des Individualistischen Anarchismus handelt, einer theoretischen Linie also die sich mindestens bis zu Stirner zurückverfolgen lässt.

          • @Ingo Bernable:

            "Das unauflösbare Spannungsverhältnis von individueller Freiheit und dem Gemeinwohl ist eben ein zentraler, wunder Punkt der Anarchismen und die theoretische Grundlegung diesbezüglich von Anfang an durch widerstrebende Positionen gekennzeichnet."

            "Es übersieht, dass es sich dabei um eine radikale Fortentwicklung des Individualistischen Anarchismus handelt"



            Wen dann Fort- im Sinne von Weg. Radikal ist daran auch nichts mehr. Es ist auch ein Bruch mit dem individualistischen Anarchismus, keien logische Konsequenz daraus.

          • @Ingo Bernable:

            Ich bin kein Fan von Stirner, aber vor der Inanspruchnahme durch die Republikanische Partei muss ich ihn dann doch in Schutz nehmen. Wer den weltgrößten staatlichen Militär- und Spionageapparat mit aufgebaut hat und noch weiter ausbauen will, der kann sich sicherlich nicht glaubhaft auf irgendeine anarchistische Tradition berufen. Nicht mal auf Stirner.

            • @Tobsen:

              Würde mich auch nicht als Striner-Fan einordnen. Worum es mir geht ist der Punkt, dass sich die Qualität von - in diesem Falle libertären oder anarchistischen Ideen - eben auch daran bemisst was man, salopp formuliert, sonst noch daraus machen kann.



              "Seit den 1980er Jahren schon kreuzen sich innerhalb der Republikanischen Partei ein „klassischer“, antimoderner und religiöser Konservatismus mit einem radikalen, fast schon anarchisch interpretierten Libertarismus." Es geht also nicht um die GOP im Ganzen, sondern um eine bestimmte Strömung in ihr. Und wenn sich also etwa mit Murray Rothbard ein geistiger Vater des Anarchokapitalimus in einem seiner zwei Axiome explizit auf das Konzept des "Selbsteigentums" bezieht dann braucht es eigentlich nicht mal einen Quellenhinweis um darin Stirner zu erkennen. (de.wikipedia.org/w...3%B6nliche_Rechte)

              • @Ingo Bernable:

                Andererseits – bei Stirner gibt es auch recht klare Aussagen zu Bourgeoisie oder Bürgertum die sich mit Rothbard keinesfalls vereinbaren lassen.



                Antikapitalismus mit Stirner lässt sich machen. Mit Rothbard keinesfalls.



                Da sind also schon ein paar Paradigmenwechsel drin und keine "klare Linie".

        • @Tobsen:

          Ergänzend; z.B. die Ölförderung in Nigeria wäre, da Nigeria was anderes zu tun hat, staatsmachtfrei und der Traum aller Neolib/Neocon-Gläubigen. Da machen halt Shell & BP die Gesetze, stellen die Armee, die Polizei und die Richter in Personalunion und, da nur zeitlich begrenzt (bis Öl alle) tätig, verseuchen die die Lebensgrundlage aller im Delta lebenden Staatsbürger Nigerias.

  • Ich denke, dass die Bildungsschere in den USA auch ihren Teil dazu beträgt.

    Da man nur unter religiösem Zwang Dinge glaubt die man nicht versteht und Dinge tut die man nicht einsieht, haben es "alternative Fakten" umso leichter je ungebildeter die Adressaten sind.

  • "anarcholibertären DNA der rechten Bewegung" " Konservative Anarchisten sind für die 100.000 Pandemie-Opfer in den USA verantwortlich "

    Erinnert mich doch sehr an DKP Puplikationen der 70 Jahren, wo auch Leute wie Strauß als Anarchisten bezeichnet wurde.

    Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

    Die Moderation

    • @Frei Beuter:

      Vielleicht habe ich den Kommentar zu wohlwollend gelesen. Aber mein Eindruck war, dass Herr Lütjen hier die Selbstdarstellung als der amerikanischen Ultrarechten als "libertär" oder teilweise auch "anarcho-kapitalistisch" aufgreift und darauf hinweist dass es sich ja dabei letztendlich doch nur um Sozialdarwinismus handelt. Hätte für meinen Geschmack gerne noch deutlicher herausgearbeitet werden können, aber im Ansatz wars zumindest da.

      • @Tobsen:

        Selbst das Label 'Sozialdarwinismus' ist im Grunde eine Beschönigung, da es suggeriert, dass die 'Besseren' es überleben. Dann wären wenigstens gleiche Startbedingungen gefordert. Wie könnte man eine Ideologie nennen, die einfach nur die Eigenperspektive kennt, ohne stabile Begründung? Atomar? Parasitär?

  • Ich jedenfalls hoffe, den Typen spült es bald weg.

    Klar, die egomanischen, z.T. psychotisch der Realität entrückten Arschlöcher (der "Sack Flöhe") gibt es weiter, aber sie sind wesentlich wagemutiger (und somit gefährlicher), wenn ihnen ein Hampelmann vortweetet -- wie die Geschichte immer und immer wieder gelehrt hat.

  • Diese Deutung macht durchaus Sinn. In dem Sinne, daß Trump unmittelbar auf die Stimmung seinr Anhänger im amerikanischen Volk reagiert, erfüllt er (leider) direkt den Willen (eines Teils) der Bevölkerung. Dies macht es so schwer sein Verhalten als undemokratisch zu entlarven, was evtl, Grund der Schwierigkeit der demokratischen Partei ist, ihm entgegenzuwirken.



    Nur wenn man Demokratie komplexer denkt als den Ausdruck der Mehrheit des Volkes/aka der Bevölkerung, kommt man aus dieser Sackgasse heraus.

    • @Grauton:

      Ja, leider. Komplexität steht derzeit allerdings allerdings nicht sehr hoch im Kurs.



      Die Mehrheit der Menschen fühlt sich durch steigende Komplexität überfordert. Ich nehme bei zunehmend mehr Mitbürgern schlichtweg keine Bereitschaft mehr wahr, sich Details anzuschauen.



      Dies trifft dann auf immer komplexere Gesetzgebung, Vorschriften und gesellschaftliche Zusammenhänge einerseits und populistische Vereinfacher mit toxischer Agenda in Politik und Medien andererseits.

      Da fällt Optimismus schwer.