Häusliche Gewalt in Frankreich: Hilfe per Codewort und SMS-Alarm
Die Zahl der Hilferufe wegen häuslicher Gewalt steigt – das Land geht neue Wege. Sogar Polizisten kehren aus dem Ruhestand zur Verstärkung zurück.
PARIS taz | Marlène Schiappa, die französische Staatssekretärin für die Gleichheit von Frau und Mann, ahnte es Mitte März: „Die gegenwärtige Krisenperiode mit den Ausgangsbeschränkungen kann zu einem Nährboden für häusliche Gewalt werden.“ Wenig später bestätigte der Innenminister Christophe Castaner die triste Prognose: Mit den Lockdown-Maßnahmen haben die Fälle von Gewalt, Bedrohung und Erniedrigung hinter den verschlossenen Türen der Familien und Paare um 32 Prozent zugenommen.
Von Opfern direkt oder von Nachbarn alarmiert, musste die Pariser Polizei im Vergleich mit derselben Periode des Vorjahrs in der Hauptstadtregion fast doppelt so häufig wegen häuslicher Gewalt intervenieren. Wegen dieser steigenden Zahl von Hilfesuchenden wurden von der Polizei in mehreren Städten Ex-Beamte aufgeboten. In Lille beispielsweise sind derzeit vier Polizisten aus dem Ruhestand in den Aktivdienst zurückgekehrt, damit der Kontakt zu rund 200 Frauen nicht abbricht, die nach Kenntnis der Behörden besonders gefährdet sind.
Franck Bénéï, Pressesprecher des staatlich finanzierten Verbands der 106 Informationsstellen für Frauenrechte (CIDFF), befürchtet: „Viele Fälle und damit das Ausmaß der Problematik im Covid-19-Kontext werden erst nach dem Lockdown-Ende bekannt.“ Dem wollen die Behörden in Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen mit einem zusätzlichen Informations- und Kontaktangebot begegnen.
Zusätzlich zur Beratung auf der seit letztem Herbst existierenden telefonischen Plattform 3919 besteht nun die Möglichkeit, via SMS auf dem Notruf 114 oder direkt mit der Polizei-Alarmnummer 17 Alarm zu schlagen oder Hilfe zu verlangen. Weil dies auf diesem Weg für viele Opfer von Gewalt, die von ihren Peinigern überwacht werden, nicht immer einfach ist, bieten die CIDFF seit Kurzem in zahlreichen Einkaufszentren ihre diskrete Unterstützung an.
Codewort „Masque 19“
Was derzeit als Test läuft, könnte laut Bénéï zu einer festen Einrichtung werden. Auch in Apotheken können Frauen mit dem Codewort „Masque 19“ auf ihre Notlage aufmerksam machen. Das sei sehr effizient, sagt Bénéï der taz. Eine Bilanz mit Zahlen aber liege noch nicht vor.
Dass die Justiz während der Pandemie sehr verlangsamt funktioniert, kann dagegen zu einem Hindernis werden – auch wenn Justizministerin Nicole Belloubet versichert, die Verhandlung der Fälle häuslicher Gewalt und die richterliche Anordnung von Schutzmaßnahmen bleibe eine „Priorität“.