Anschläge im bayrischen Waldkraiburg: Ist es rechter Terror?

In Waldkraiburg häufen sich Angriffe auf türkische Geschäfte. Zwar fehlt bisher eine direkte Spur, dennoch drängt sich ein schrecklicher Verdacht auf.

Ein ausgebranntes Geschäft.

Rechter Anschlag? Ausgebranntes türkisches Geschäft in Waldkraiburg in Bayern am 30. April Foto: Lino Mirgeler/dpa

MÜNCHEN taz | An einen Zufall will in Waldkraiburg keiner mehr glauben. In dem oberbayerischen Städtchen sorgt derzeit eine vermutliche Anschlagsserie für Angst. Das Ziel der Angriffe: türkische Läden. Insgesamt vier sind es bislang; zuletzt warfen Unbekannte in der Nacht zum Mittwoch, den 6. Mai 2020, die Scheiben einer Dönerbude ein. Davor traf es einen Lebensmittelladen, einen Friseursalon, eine Pizzeria.

Zwar liegt ein rassistischer Hintergrund nahe, eine klare Spur zu den Tätern fehlt bislang jedoch. Es ist unvermeidlich, dass Erinnerungen an die Verbrechen des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds wieder hochkommen. Auch die Mörder des NSU hatten es auf Geschäftsbesitzer mit – zum größten Teil türkischem – Migrationshintergrund abgesehen.

So nehmen die Behörden die Anschläge jetzt auch sehr ernst. „Wir messen dem Geschehen eine sehr hohe Bedeutung bei“, sagte Innenminister Joachim Herrmann am Mittwoch. „Ich bin fassungslos und tief erschüttert.“ Mit den Anschlägen sollten Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund verunsichert und verängstigt werden, vermutet der CSU-Politiker. „Solche Straftaten werden wir nicht hinnehmen, sondern mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln konsequent verfolgen.“

Die erst vor drei Jahren bei der Münchner Generalstaatsanwaltschaft eingerichtete Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus hat den Fall übernommen, die Kriminalpolizei ermittelt zudem mit einer 25-köpfigen Sonderkommission namens „Prager“. Die Beamten suchen vor allem nach Augenzeugen. Es wurde eine Belohnung von 3.000 Euro ausgesetzt.

Eingeschlagene Fensterscheibe bei einem Imbiss.

6. Mai in Waldkraiburg: Noch werden Zeugen für den Anschlag gesucht, da wird ein Imbiss attackiert Foto: Matthias Balk/dpa

Zuletzt sechs Verletzte

Klaus Ruhland, Oberstaatsanwalt und Sprecher der Zentralstelle, legt jedoch Wert darauf, auf die Unterschiede zu den Taten des NSU hinzuweisen. Die Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hätten zielgerichtet getötet, und die Ermittler hätten damals lange Zeit keinen Zusammenhang zwischen den Taten erkannt.

In Waldkraiburg werden die Ermittlungen von Anfang an gebündelt. Dennoch gibt sich Ruhland zurückhaltend: Ein extremistischer Hintergrund könne zwar nicht ausgeschlossen werden, man ermittle aber in alle Richtungen.

Der schlimmste der bisher vier Anschläge ereignete sich am 27. April am Sartrouville-Platz in der Waldkraiburger Innenstadt und galt einem Lebensmittelgeschäft. Dabei erlitten sechs Menschen in den Wohnungen über dem Laden eine Rauchvergiftung, eine Frau musste anschließend die Nacht im Krankenhaus verbringen.

Der Laden war komplett ausgebrannt, die Feuerwehr geht von einem Schaden im Millionenbereich aus. Auch benachbarte Läden wurden durch die enorme Rauchentwicklung in Mitleidenschaft gezogen. Die Besitzerin eines Textilgeschäfts kündigte bereits an, nach dem erlittenen Schaden nicht mehr wiederzueröffnen.

Auf Instagram übte sich der Juniorchef des angegriffenen Lebensmittelladens in Sarkasmus: „Wie ihr sicherlich mitbekommen habt, konnte jemand die Corona-Zeit nicht abwarten zu grillen und hat meine komplette Ware servierfertig zubereitet“, schrieb er, „leider scheint der Täter kein guter Grillmeister zu sein, also hat er das Inventar direkt mitgegrillt.“ Doch wenige Sätze später wird er ernst. Der Laden sei ein Treffpunkt gewesen, wo Leute ihre Probleme ausgetauscht hätten – „und für manche der Laden, zu dem sie gehen konnten, wenn das Geld am Monatsende nicht mehr da war und mein Vater gesagt hat:,Kein Problem, zahlst du, wenn du kannst, oder gar nicht.'“

Stimmung gegen Menschen mit Migrationshintergrund

Die Soko ermittelt nun wegen Brandstiftung und möglichen versuchten Totschlags. Bei den anderen Anschlägen kamen keine Menschen zu Schaden, auch der Sachschaden war wesentlich geringer, entstanden vor allem durch eingeworfene Fensterscheiben.

Aktuell erfahren die Opfer der Angriffe große Solidarität, wie der Ladenbesitzer vom Sartrouville-Platz berichtet. Am Wochenende rief das Netzwerk „Mühldorf ist bunt“ zu einer Mahnwache vor dem ausgebrannten Geschäft auf. Rund 50 Teilnehmer versammelten sich dort. Ein Sprecher des Netzwerks wies darauf hin, dass sich seit einigen Jahren im Landkreis eine negative Stimmung gegen Menschen mit Migrationshintergrund breitmache – auch in Form feiger Angriffe wie jetzt in Waldkraiburg.

Für eine rechtsextreme Szene ist die Stadt bisher nicht bekannt. Als sogenannte Vertriebenenstadt wurde Waldkraiburg erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut. Auch der aus Siebenbürgen stammende Sänger Peter Maffay wuchs hier auf. Die heute rund 23.000 Einwohner sollen aus etwa 70 verschiedenen Nationen stammen.

Der Inhaber des ausgebrannten Ladens will sich von dem Angriff nicht unterkriegen lassen. „Sobald alles wieder aufgebaut ist“, schreibt er auf Instagram, „wird dieses Geschäft wieder eröffnet, und selbst wenn es mit einer Gurke und einem Apfel beginnt, das garantiere ich dem oder den Tätern.“

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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