piwik no script img

Corona-Video von Salomon KalouDer Bundesliga-Zerstörer

Ein Fußballprofi filmt in der Kabine und wird daraufhin suspendiert. Die Reaktion auf seine unbedarfte Aktion zeigt, wie autoritär die DFL ist.

Plötzlich wieder im Mittelpunkt: Stürmer Salomon Kalou Foto: Michael Sohn/ap

Was für ein kometenhafter, wenn auch wenig ruhmreicher Aufstieg! Bis zum Montag hat dem 34-jährigen Profi Salomon Kalou kaum einer im deutschen Fußball noch Beachtung geschenkt. Bei Hertha BSC spielte der Ivorer in den letzten Monaten, als noch gekickt wurde, eh kaum eine Rolle.

Das Ende seines Vertrags im Sommer nahte, vielleicht gar das seiner Karriere, und plötzlich wird er von den Medien und in den sozialen Netzwerken als der Mann gehandelt, der die Deutsche Fußball Liga (DFL) zerstörte oder zumindest deren als existenziell wichtig wahrgenommenen Pläne, die Saison wieder zu starten.

Was war passiert? Kalou hatte am Montag mit seiner Handykamera die Wirklichkeit in der Kabine des Berliner Bundesligisten Hertha BSC festgehalten und via Facebook allen zugänglich gemacht. Er hatte erstaunlich unbedarft dokumentiert, wie wenig man sich bei Hertha BSC um das so strenge Hygienekonzept der Deutschen Fußball Liga schert, wie man sich selbstverständlich die Hände schüttelt, Abstände nicht einhält, wie der Physiotherapeut mit dem primitivsten Mundschutz Coronatests durchführt und der Mann an der Handykamera auch noch über das Coronavirus lacht.

Ein Anfängerfehler. Denn eigentlich weiß jeder Bundesligaprofi, dass für die Wiedergabe der Wirklichkeit nicht Handykameras, sondern allein die Deutsche Fußball Liga und ihre Vereine zuständig sind.

Hier regiert die DFL

Für die DFL und die Bundesligavereine ist das ein recht ärgerlicher Vorgang – zumal schon dem Kölner Profi Birger Verstraete vor wenigen Tagen ein ähnliches Missgeschick unterlief. Er behauptete in einem Interview mit einer belgischen Zeitung, er fände das DFL-Konzept ein wenig naiv und ihm gingen die Schutzmaßnahmen auch wegen seiner vorerkrankten Freundin nicht weit genug. Scheinbar hatte er ganz vergessen, dass die DFL Geschlossenheit eingefordert hatte, um den Neustart der Saison als den Wunsch aller präsentieren zu können.

Erst nachdem die Aussagen von Verstraete schon in ganz Deutschland diskutiert wurden, konnte der Belgier in einer gemeinsamen Stellungnahme mit dem Verein klarstellen, die Wirklichkeit sehe ganz anders aus. Er habe sich nicht richtig informiert, sei ein wenig zu emotional gewesen, Übersetzungsfehler hätten das Ihre getan und überhaupt wolle er niemandem einen Vorwurf machen.

Aussagen lassen sich ja zurückbiegen, Verstraete kam mit einem Rüffel davon. Filmaufnahmen als Fakeaufnahmen zu enttarnen, ist ein deutlich komplizierteres Unterfangen. Der Ärger war entsprechend groß.

Deshalb wurde Salomon Kalou am Montagabend von Hertha suspendiert. Es ist auch ein Zeichen für alle anderen, dass die DFL und die Vereine nicht gewillt sind, sich die Wirklichkeit aus der Hand nehmen zu lassen.

Die Interessen der Spieler spielen keine Rolle

In einer ersten Reaktion twitterte der Verband: „Die Bilder von Salomon #Kalou aus der Kabine von Hertha BSC sind absolut inakzeptabel.“ Nicht das Verhalten von Kalou, der selbst eifrig Hände schüttelte, wurde gegeißelt, sondern die Bilder. Das ist keine Haarspalterei, sondern ein wichtiges Detail.

Denn auch Hertha BSC hob in seiner Stellungnahme gleich im ersten Satz hervor, Kalou habe mit seinem Video einen falschen Eindruck erweckt. Auch Hertha ging es vorrangig um die fatale Außenwirkung. Dass jeder, dem Kalou die Hand reichte, diese wie selbstverständlich ergriff, war dem Klub nur eine Randbemerkung wert.

An Kalous Dreh könnte man dagegen anprangern, dass er seine Mitspieler, die ihrem Ärger über undurchsichtige Gehaltskürzungen durch den Verein Luft machten, live im Internet ohne deren Wissen bloßstellte. Hertha-Manager Michael Preetz aber bezifferte lediglich den Schaden für den Verein und für die gesellschaftliche Diskussion um die Wiederaufnahme des Spielbetriebs.

Auch das ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Interessen der Spieler in den Überlegungen der Verantwortlichen keine Rolle spielen. Die sehr unterschiedlich gelagerten Geschichten von Verstraete und Kalou zeigen, wie breit das Meinungsspektrum auch unter den Akteuren der Fußball-Bundesliga ist. Und dass dies wie in der Bevölkerung auch Auswirkungen auf ihr jeweiliges Verhalten hat.

Eine Wirklichkeitsverweigerung

Die Vereinschefs und DFL-Bosse müssen sich schon um des Infektionsschutzes willen mit der Stimmungslage unter den Profis beschäftigen.

Oder um es einfacher zu sagen: Sie müssen sich mit der Wirklichkeit beschäftigen, auch wenn diese wirkliche Wirklichkeit nicht dem Wirklichkeitsbild entspricht, das sie aus strategisch-ökonomischen Interessen nach außen transportieren wollen.

Die Suspendierung von Kalou ist nichts anderes als eine Wirklichkeitsverweigerung. Naiv ist es, wenn ausgerechnet Gesundheitsminister Jens Spahn am Dienstag diesen Ausschluss als Abschreckungsmaßnahme lobt. Denn die Profifußballer haben in der Hauptsache eines vor Augen geführt bekommen: die Bilder sind inakzeptabel. Und die Öffentlichkeit dies: nur das Fehlverhalten eines Einzelnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Immer auf die kleinen Profis... Wer hat den Pressefotograf suspendiert, der kürzlich die Maskenbeschaffer vom Verteidigungsministerium am Leipziger Flughafen auch per Handschlag begrüßte?

  • Ich finde Kalou sollte als Whistleblower eine lebenslange Rente zustehen. Berufsunfähig ist er ja offenbar schon... Man muss auch mal verzeihen können.

  • 9G
    90946 (Profil gelöscht)

    Die Reaktionen ähneln denen auf Whistleblower: Die tatsächlichen Verhältnisse dürfen nicht ans Licht gebracht werden, wer das Nest beschmutzt, wird bestraft. Hauptsache, die Fassade steht. Wer´s glaubt.



    Was ich mich frage: Hält man das Publikum wirklich für so doof? Oder will das Publikum selbst die schmucke Fassade?

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Das hat der doch mit Absicht gemacht. So doof kann doch keiner sein. Karriere zu Ende und noch dazu ein bisschen schlecht behandelt worden als Arbeitnehmer.

  • Hat ehrlich irgendjemand gedacht, dass es in den Vereinen anders abgehen würde?!



    Man kann ja Menschen mögen die an den Osterhasen glauben, aber bitte....



    Mit Realismus hat das wirklich nichts zu tun.



    Man könnte auch erzählen der Radsport hört auf zu dopen... :D :D



    *kopfschüttel* „Die Bundesliga“

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    die parallele zum allseits verachteten, früher einmal real existierenden sozialismus ist kaum zu übersehen.



    wolf biermann würde im blindtest nicht erkennen, ob dies nicht genau die typische, frühe siebziger jahre ddr-methode ist.

  • Gleich was Salomon Kalou jetzt sagt, denkt meint! Erschlagt nicht den Boten!



    Das Video zeigt nur eine Facette in einem Verein. Ich möchte nicht wissen wie es in den anderen Clubs zugeht, was nicht auf FB erscheint.



    Es ist ein "irrer Gedanke" die Lifa wieder spielen zu lassen & eine nicht zu vermittelnde UNGLEICHBEHANDLUNG!



    Millionenumsätze (genannt Sport) auf der einen Seite & sinnvolle, notwendige Kontaktbeschränkungen bis hin zur Pleite in fast allen anderen Bereichen...



    ... das ist nicht zu vermitteln



    Wenn die Liga wider spielt, gibt es mMn. berechtigt einen Aufstand in der Bevölkerung.



    Und was dabei raus kommen wird.... ist vorhersehbar!



    Wir müssen lernen mit dem Virus zu leben. Was erst Vorgegeben war müssen wir wohl auf Dauer (so lange es keine Impfungen gibt) internalisieren & dann selbst freiwillig einhalten. Da ist das "Spiel" der Liga kontraproduktiv(1)



    Was in Frankreich geht, sollte auch in DE gehen. Die DFL spielt mit dem Feuer!



    Brummt Sikasuu



    .



    (1) Die sollen sich mit ihren Geldgebern, auch mit den Übetragungsrechteinhabern einigen. Wenn die die Liga pleite gehen lassen, fehlt denen ein massives Zugpferd. Aber denken. gar langfristig denken ist wohl nicht so Trend im Augenblick!:-(

  • "Fussballspieler heute sind mit Sicherheit schon um Welten intelligenter, als vor 50 Jahren, aber dafür scheint es dann doch noch nicht auszureichen."

    Warum sollen sie heute intelligenter sein? Sie sind geldgeiler, haben ein paar Berater für Medien und so, doch das macht sie nicht intelligenter.

  • Ich habe heute Morgen im Fernsehen ein paar Ausschnitte aus dem Video gesehen. Es zeigt fehlverhalten von ganz vielen Personen. Nun wird derjenige bestraft, der das Video gemacht hat und nicht alle, die sich nicht an die Regeln gehalten haben. Kalou wird auch nicht wegen seines Fehlverhaltens bestraft, sondern weil er das Video gemacht hat und damit dem Verein und der DFL geschadet hat. Das erinnert irgendwie an den Umgang mit Wistleblowern. Wer fehlverhalten aufdeckt wird bestraft (wenn hier auch nicht die Absicht vorlag Fehlverhalten offenzulegen).

  • Der Plan war gut.. nur blöd, dass er an der Realität scheiterte..

    Jeder, der glaubt, dass man die Kicker dazu bringen kann, sich an die Hygienevorschriften zu halten, nachdem sie gerade erst negativ getestet wurden, der ist entweder übertrieben naiv, oder er versucht mit Gewalt den Bundesliga Neustart gegen jeden Sinn und Verstand zum Wohle des Geldbeutels, durchzusetzen.

    Es gab doch jetzt schon genügend Einzelfälle, die zeigen sollten, dass das nichts als Augenwischerei ist.

    Jeder Politiker, der nach diesem Video noch den Neustart in der geplanten Form durchwinkt ist direkt dafür verantwortlich, wenn die Menschen anfangen dem Beispiel ihrer Idole nachzueifern.

    Fussballspieler heute sind mit Sicherheit schon um Welten intelligenter, als vor 50 Jahren, aber dafür scheint es dann doch noch nicht auszureichen.

    Möglicherweise liegt es aber auch nicht am Fussball sondern am Mensch an sich..