Jens Lehmann in Hertha-BSC-Aufsichtsrat: Graue Maus auf drei Promille

Jens Lehmann rückt in den Aufsichtsrat von Hertha BSC. Diese Konstellation beim Hauptstadtklub verspricht wieder beste Unterhaltung.

Portrait von Jens Lehmann

„Es wundert mich, dass sich keiner auflehnt.“ Jens Lehmann, neu im Hertha-Aufsichtsrat Foto: Sven Simon/imago

Jedem Anfang wohnt ja bekanntlich ein Zauber inne, oder, wie Jens Lehmann einst esoterisch grinsend vor dem Eiffelturm hauchte, „What a magic“. Mit staksigem Denglisch lag er schon damals voll auf Linie der „We try. We fail. We win“-Hertha, in deren Aufsichtsrat er jetzt gerückt ist, und die Kombination Lehmann/Big City Club ist auch sonst ein Traum. Man muss Hertha dankbar sein für die letzten Monate seit dem Einstieg des Investors Windhorst.

Selten so gut unterhalten worden. Selten so ungefilterte Einblicke ins nur vermeintlich kalte Profigeschäft und seine sehr menschlichen Protagonisten bekommen. Wann kommt die aktuelle Hertha-Saison endlich als Netflix-Serie? Und was wurde aus dem grünen Plastik-Gestrüpp in Klinsmanns Facebook-Schlussmacher-Video? Adoptiert das jetzt Lehmann?

Die Bundesliga mag ruhen, Hertha ruht nie. Zuletzt gab Salomon Kalous Livevideo den schönsten Einblick in die Spielerkabine, seit anno dazumal Breitner und Hoeneß sich ein Mikro unters Trikot klemmen ließen. Wer sollte das noch toppen, wenn nicht Lehmann. Dass gerade der Ex-Nationalkeeper, der zuletzt mit wirren Äußerungen zum Coronavirus auffiel, nun zur in Sachen Corona schon arg imagegeschädigten Hertha kommt, ist nur eine von vielen Kuriositäten rund um die Verpflichtung.

Im Fußballtalk „Doppelpass“ schlug Lehmann vor, die Münchner Arena mit 20.000 statt 70.000 Zuschauern zu füllen, („die kommen sich im Abstand von zehn Metern doch nicht in die Quere“). Und in Bezug auf die Einschränkungen im Alltag raunte Lehmann: „Es wundert mich, dass sich keiner auflehnt“. Ob man den Virus- und Lockdown-Skeptiker Lehmann künftig auf den Berliner Hygiene-Demos statt am Eiffelturm sieht, muss noch zu klären sein.

„Ein meinungsstarker Mann“

„Jens ist ein meinungsstarker Mann, der sich gerne durchsetzt. Er hat da fast ein wenig das Profil von Jürgen Klinsmann“, lobte Lothar Matthäus gegenüber der Bild-Zeitung die Verpflichtung. Das ist bezeichnend für eine eigentlich fast schon vergangene Fußball-Kultur, die es für ein Kompliment hält, wenn jemand meinungsstark ist, völlig gleich, wie helle die Meinungen sind. Auch Investor Windhorst scheint nach solchen Kriterien einzustellen. Oder ist alles nur ein großer Bluff, will Hertha uns die unangenehmen Konsequenzen eines mächtigen Geldgebers aufzeigen? Der Big City Club ist keine schlichte graue Maus mehr, er ist eine graue Maus auf drei Promille.

„Ich sehe dies aktuell als eines der interessantesten Projekte im Fußball“, gab Lehmann zu Protokoll. Also das, was so ziemlich jeder sagen muss, der bei Hertha landet. Interessant dürfte sein, ob der frühere Nationaltorhüter es im Hintergrund aushält oder die medialen Fettnäpfe doch nicht ganz meidet. Mit seinen Äußerungen zu Homosexualität im Fußball und der Sorge vor schwulen Mitspielern unter der Dusche vertrat er öffentlich Ansichten, die dem so gerne liberalen Großstadtklub Hertha nicht gut stehen. Der Unterhaltungsfaktor bei Hertha bleibt hoch. Wie heißt es beim anfangs zitierten Hesse? „Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise / Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.“ Lähmende Gewöhnung tritt so schnell nicht ein. What a magic.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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