Nationale Alleingänge unerwünscht

Der Ausstieg aus den Coronamaßnahmen müsse in den EU-Staaten gut abgestimmt werden, forderten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel am Mittwoch in Brüssel. Doch einige Länder sind längst vorgeprescht

Die EU habe schnell auf die Krise reagiert, loben sich die Verantwortlichen

Aus Brüssel Eric Bonse

Die EU warnt ihre Mitgliedstaaten vor einem übereilten und unabgestimmten Ausstieg aus den Coronamaßnahmen. Ein Chaos wie bei der Schließung der Schengen-Grenzen im März dürfe sich nicht wiederholen, betonten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel am Mittwoch in Brüssel.

Wie der „Exit“ konkret aussehen soll, ließen die beiden EU-Chefs indes offen. Es gebe „keine Lösung, die auf alle passt“, sagte von der Leyen. Nötig seien maßgeschneiderte Lösungen für alle 27 Mitgliedstaaten.

Allerdings müssten diese gut aufeinander abgestimmt sein; nationale Alleingänge wie zu Beginn der Coronakrise dürften sich nicht wiederholen.

„Die Schritte sollten zwischen den Mitgliedstaaten koordiniert werden“, heißt es in einem Papier, das von der Leyen und Michel gemeinsam vorlegten. Darin formulieren sie auch drei Bedingungen für eine Lockerung der Ausgangssperren: eine Verlangsamung der Ausbreitung des Virus, ausreichende Kapazitäten im Gesundheitswesen und die Möglichkeit, die Pandemie wirksam zu überwachen.

Als Beispiel für die nötige Überwachung nennt die EU-Kommission groß angelegte Testreihen. Diese werden auch von der Weltgesundheitsorganisation in Genf gefordert – bisher allerdings ohne Erfolg. Kaum ein EU-Land verfügt über ausreichende Testkapazitäten, auch die EU-Kommission konnte daran bisher nichts ändern. Ähnlich dürftig sieht es mit Masken und medizinischer Schutzkleidung aus.

Fehlende Masken

Auf die Frage nach den immer noch fehlenden Masken reagierte Kommissionschefin von der Leyen ausweichend. Sie sei sehr froh, dass die EU-Präventionsbehörde ECDC eine neue Empfehlung zugunsten von Masken ausgesprochen habe, sagte die deutsche CDU-Politikerin. Allerdings müssten Ärzte, Krankenschwestern und Pflegekräfte absoluten Vorrang genießen. Wie der Mangel an Masken behoben werden könnte, sagte von der Leyen nicht. Sehr schwammig fiel auch ihre Antwort auf die mögliche Wiederöffnung der innereuropäischen Grenzen aus. Bevor man darüber nachdenken könne, müsse die Lage auf beiden Seiten der Grenzen – also etwa zwischen Deutschland und Frankreich – ähnlich sein, sagte von der Leyen. Dies sei zwar heute schon teilweise der Fall, räumte sie auf Nachfrage ein. Doch die „Viruslast“ sei noch zu hoch.

Auf „lange Sicht“ bestehe jedoch kein Zweifel, dass die Schengen-Grenzen wieder geöffnet werden müssen, betonte von der Leyen. Das sei „selbstverständlich“. Doch noch während sie dies erklärte, kündigte die deutsche Bundesregierung eine Verlängerung der Grenzschließungen an. Die in der Coronakrise eingeführten Kontrollen sollten für weitere 20 Tage gelten, hieß es in Berlin.

Deutschland ist nicht das einzige EU-Land, das schon die nächsten Schritte bekannt macht, bevor oder während die EU-Kommission ihre Vorschläge vorstellt – oder die Empfehlungen aus Brüssel ignoriert. Am Dienstag hatten Österreich und Dänemark begonnen, die Ausgangssperren zu lockern. Demgegenüber hat Frankreich seine Maßnahmen bis zum 11. Mai verlängert. Auch Belgien denkt über eine Ausweitung nach. Damit droht genau der Flickenteppich, den Brüssel eigentlich verhindern will.

Von der Leyen ist in einer misslichen Lage. Denn in der Gesundheitspolitik hat die EU-Kommission nichts zu melden, auch die Grenzschließungen werden in den nationalen Hauptstädten entschieden. Die Kommissionschefin darf schon froh sein, wenn sie rechtzeitig informiert wird. Ursprünglich hatte sie ihre Empfehlungen zur Exit-Strategie bereits vor Ostern vorlegen wollen.

Doch Frankreich und Deutschland haben die deutsche EU-Chefin zurückgepfiffen. Am Ende mischte sich auch noch Ratspräsident Michel ein und vermasselte von der Leyen die Tour, indem er sich kurzerhand selbst zur Pressekonferenz in der EU-Kommission einlud. Michel spricht für die 27 Mitgliedstaaten – und die wollen auch beim Ausstieg aus der Coronakrise das letzte Wort haben.