Corona und Verschwörungstheoretiker: Mit Grundgesetz gegen den Verstand
Die Verschwörerszene will wöchentlich in Berlin demonstrieren. Die Gefahr von Corona wird negiert, über andere Interessen wird fantasiert.
Doch es blieb beim Versuch – unterbunden von einem aufgrund der Corona-Eindämmungsverordnung zu erwartenden Polizeieinsatz. Die Pressestelle der Polizei sprach anschließend von 40 Personen, denen eine Kundgebung untersagt wurde. Es seien Platzverweise ausgesprochen und 17 Ermittlungsverfahren „u.a. wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ eingeleitet worden. Davon unverdrossen rufen die OrganisatorInnen bereits zur zweiten Kundgebung am nächsten Samstag auf; bis dahin soll es tägliche Mahnwachen geben.
Hinter dem behaupteten Einsatz für die Grundrechte wie dem Demonstrationsrecht stehen krude Theorien über die Ursachen der Corona-Pandemie. Der Hauptansprechpartner der Gruppierung, Anselm Lenz, der zuletzt auch als freier Autor der taz Berlin tätig war, spricht in einem Video der Aktion von einem „umstrittenen Virus, zu dem es mindestens zwei Meinungen gibt“. Schon zuvor hatte er seine Position in einem langen Beitrag für den Blog Rubikon ausgebreitet, eine Seite, auf der schon die Existenz von Aids geleugnet und das Coronavirus als Folge der Schweinemast dargestellt wurde.
Lenz beschwört in dem Text die „unbestechliche oppositionelle Intelligenz“; gleichermaßen negiert er die Gefährlichkeit des Virus, das nicht in der Lage sei, „hunderttausende Menschen dahinzuraffen“. Dazu macht er drei mögliche Ursachen für das Virus aus: „Panikattacken überalterter Eliten“, der Versuch, einen „Kapitalismuscrash“ zu überlagern, oder eine „Aktion zum Klimaschutz“. Wieso all das noch niemand weiß, geht aus einem Flyer der „Widerständler“ hervor: Die öffentliche Diskussion sei „abgeschafft“, die ehemals freie Presse „gleichgeschaltet“.
Von links nach wirr
Zu den Vereinsgründern gehören neben Lenz auch der Dramaturg Hendrik Sodenkamp und Batseba N’Diaye. Alle drei verbindet eine gemeinsame Vergangenheit am Haus Bartleby, einem künstlerischen Projekt, das sich gegen den Karrierefetisch im Kapitalismus engagierte und dessen Verbrechen in einem Kapitalismustribunal sowohl auf der Bühne als auch in einem Buch anprangerte. Anders als früher kommt ihr Applaus aber nun nicht mehr von der politischen Linken, sondern ausschließlich von rechter und verschwörungstheoretischer Seite.
Zur gescheiterten Kundgebung rief etwa das Netzwerk Demokratie e.V. auf, ein extrem rechter Verein, der gegen gendergerechte Sprache und das Impfen agitiert. In einem Post forderte das Netzwerk Polizisten auf, sich „auf die Seite des Volkes“ zu stellen. Schützenhilfe kam auch von Ken FM, dem Kanal des ehemaligen RBB-Moderators Ken Jebsen. Das Motto dort: „Corona ist nicht das Problem.“
Berichte über die Szenen am Rosa-Luxemburg-Platz fanden sich später auf Rubikon oder der Epoch Times, die ihrerseits die gesamte Klaviatur der Verschwörungstheorien bedient und sich insbesondere mit hetzerischen Artikeln über Flüchtlinge hervortut. Deren Artikel wurde sogleich von Oliver Janich weiterverbreitet, einem rechtsextremen Verschwörungstheoretiker, der über einen öffentlichen Telegram-Kanal etwa 60.000 Menschen mit Falschinformationen zu Corona versorgt. Der unerschütterliche Erdoğan-Verehrer Martin Lejeune schrieb ebenfalls einen Artikel, auf dem geschichtsrevisionistischen Blog Die rote Fahne.
Auf Anfrage, ob bestimmte Interessen hinter der Ausbreitung des Virus stehen, verwies Anselm Lenz auf die Website des Vereins. Zu der Rezeption der Vereinsaktivitäten ausschließlich im verschwörungstheoretischen und rechten Spektrum äußerte er sich nicht.
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