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Exit aus Corona-LockdownWir müssen reden

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Debatte über ein Ende des Corona-Lockdowns steht in der Kritik. Ein Diskussionsverbot aber wäre paternalistisch.

Die Krise wandelt sich von düsterer Aussicht zur Tatsache: Einkaufszentrum in Berlin Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

D erzeit verwandelt sich das Gefühl der Krise. Der Thrill des Ungewohnten, das auf eine paradoxe Weise alle trifft und gleichsam vereinzelt, verblasst. Die Krise verwandelt sich vom Besonderen zum Alltäglichen – und die Kosten der Isolation werden konkreter sichtbar. Es gibt erste Anzeichen, dass häusliche Gewalt zunimmt. Bei Friseuren und Kinos, bei Hotels und Physiotherapeuten sind die Schäden nichts mehr, was man für morgen befürchtet – es passiert jetzt. Die Krise wandelt sich von düsterer Aussicht zur Tatsache. Damit drängt eine Frage nach vorne: Wann ist das alles vorbei?

CDU-Mann Armin Laschet räsoniert, wann die Zeit danach beginnt. Wirtschaftsnahe CDU-Politiker wie Carsten Linnemann fordern, dass spätestens nach Ostern die Fabriken, Geschäfte und Büros schrittweise wieder öffnen sollen. Das ist bedenklich nahe an Trumps Politik, mehr Tote zu riskieren, um die wirtschaftlichen Schäden zu begrenzen. Ist das also die falsche Debatte? Sollten PolitikerInnen sie nicht führen, weil sie verantwortungslos ist? Diese Debatte birgt, so die Befürchtung, eine Gefahr. Sie weckt womöglich Hoffnungen auf eine rasche Rückkehr zur Normalität, die enttäuscht werden und Politikverdruss beflügeln.

Denn nach Ostern ist keinesfalls alles wieder gut. Doch eine Debatte zu unterdrücken, weil manche sie missverstehen, hat etwas Paternalistisches, ja Autoritäres. PolitikerInnen müssen diese Debatte führen, nicht verdruckst, sondern kontovers. Die Frage, wann die Kontaktsperre endet, wird ja in sozialen Netzwerken und Familien ventiliert. Mit einem Debattenverbot würde sich die politische Klasse in eine Art kommunikativer Quarantäne begeben.

Bislang hat die bundesdeutsche Politik die Krise rhetorisch besonnen gemanagt: ohne Kriegsmetaphorik und krachende Ansagen von oben. Jetzt wäre nichts falscher als ein mit Verantwortungsethik imprägniertes Diskursverbot. Gerade in der Krise, gerade angesichts massiver Einschränkungen von Grundrechten, braucht die Demokratie Debatten ohne Geländer. Sie sind so nötig wie Schutzmasken und Abstandsregeln.

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5 Kommentare

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  • Spätestens in einer Woche wird man die Anzahl der Tests nicht mehr steigern können. Dann ist die Sache durch.

  • Jegliche öffentliche Exit-Diskussion würde derzeit nur den Verschwörungstheoretikern, Leugnern und Verharmlosern in die Taschen spielen! Dass innerhalb der Politik, der Wirtschaft und den Expertenkreisen Pläne für ein Vorgehen in den nächsten Monaten besprochen werden müssen, ist klar. Aber es muss unbedingt verhindert werden, dass irgend etwas davon an die Öffentlichkeit gelangt! Meiner Meinung nach sollte dafür der Tatbestand der Volksverhetzung dahingehend erweitert werden, dass jede irreführende oder verharmlosende öffentliche Äußerung bezüglich der derzeitigen Bedrohungslage unter Strafe gestellt wird.

    • @boidsen:

      Lieber Boidsen, da widersprichsde Dir; Verhinderung von Verschwörungsquatsch-Flächenbränden durch "Geheim, geheim" haut ned hin.



      Auf D bezogen ist bis zum 19.04. erstmal gaanz viel Ruhe. In den nächsten zwei Wochen müssen die schon nen Plan haben. Das heißt jetzt halt ned, daß jeder Stadt- oder Dorftrot... äh jeder wo denkt, dasser dazu was mitzuteilen hat, die geneigte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit incl. der Berichterstatter (d.h. die Medien) bekommen muß.



      Da muß auch keine*r für strafrechtlich belangt werden, wenn sie*er Blödsinn erzählt, es muß bloß kein Mensch hinhören...

    • @boidsen:

      Das sind die Parolen, Behauptungen, Bewertungen, Sprachregelungen über das „richtige“ Verhalten, Denken ,den nicht das Virus bestimmt sondern, sondern der Diskurs der Macht bestimmt, wie wir über das Virus reden, welche Haltung wir ihm gegenüber einnehmen, unsere Ängste und unsere Handlungen.

      Wir vergessen vor lauter Schreck, wie lange schon diese Zustände von Verantwortungslosigkeit und Weiterschieben der Verantwortung herrschen: Zerstörung nicht nur des Gesundheitswesens durch Privatisierung, Zerstörung der Lebensbedingungen durch Umweltzerstörung, Krieg, Arbeitslosigkeit und wie arrogant die Kritik an dieser Verwahrlosung weggewischt worden war, die Kritiker ausgeschlossen, gewaltsam mundtot gemacht.



      Und wir haben die Wachsamkeit verloren, zu sehen, wie diese Zerstörung weiter fortgesetzt wird, durch die Drosselung der Lebensbedingungen aufs „Notwendigste“. Deren „Folge“: die Vernichtung von Existenzen – der kleinen Gewerbetreibenden, der Künstler, der prekären Lebensformen.

      • @patty:

        Ja selbstverständlich müssen und werden wir in ein oder zwei Jahren, wenn das Schlimmste bis dahin überstanden sein sollte, über vorher und während der Pandemie gemachte Fehler reden und die nötigen Konsequenzen daraus ziehen. Dies kann unter der gebotenen Geheimhaltung auch durchaus jetzt schon im einen oder anderen Fall angebracht sein. Aber es darf eben so lange, wie nicht zumindest das Gröbste überstanden ist, daraus unter keinen Umständen eine öffentliche Diskussion entstehen! Denn ich bin mir ganz sicher, dass eine erhebliche Anzahl Menschen dieser Diskussion und den daraus resultierenden falschen Hoffnungen nicht gewachsen ist und so die Bereitschaft zur Einhaltung der leider unumgänglichen extremen Einschränkung des Alltags auf ein Maß sinken wird, das unsere Regierung entweder zum Einsatz miltärischer Maßnahmen oder zur Aufgabe zwingen würde...