Notfall-Groko oder Araber

Wer in Israel darf versuchen, eine Regierung zu bilden? Netanjahu ruft zu einer „Notfallregierung“ auf

Herausforderer Benny Gantz: Wird er – und nicht der amtierende Ministerpräsident Netanjahu – mit der Regierungs­bildung beauftragt? Foto: Ilia Yefimovic/dpa

Aus Tel Aviv Judith Poppe

Nach der Wahl in Israel sollen am Sonntag die Gespräche zwischen Präsident Reuven Rivlin und Delegierten der Parteien beginnen. Diese können jeweils eine Empfehlung aussprechen, wen der Präsident mit der Regierungsbildung beauftragen soll. Die Israelis hatten am 2. März zum dritten Mal innerhalb eines Jahres ein neues Parlament gewählt, nachdem die Parteien zweimal an einer Regierungsbildung gescheitert waren.

Doch auch nach dieser Wahl steckt das Land in einer Sackgasse. Weder das rechtsreligiöse Lager des amtierenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu (Likud) noch das Mitte-links-Lager (Blau-Weiß) seines Herausforderers Benny Gantz konnte eine eigene Mehrheit erzielen.

Am Donnerstag rief Netanjahu angesichts der Coronakrise zu einer „Notfall-Einheitsregierung“ auf, einer Großen Koalition von Likud und Blau-Weiß. Doch diese dürfte an den gleichen Problemen scheitern, an denen die bisherigen Verhandlungen über ein Zusammengehen der beiden Parteien gescheitert sind: Gantz will nicht gemeinsam mit dem wegen Korruptionsverdachts angeklagten Netanjahu regieren; Netanjahu will die Führung nicht ab­geben und seinen rechtsreligiösen Block nicht aufgeben.

Derweil wird eine andere Option diskutiert: eine Minderheitsregierung unter blau-weißer Führung mit Beteiligung des rechten Hardliners Avigdor Lieberman und des sozialdemokratischen Bündnisses Awoda-Gescher-Meretz, die von der Vereinten Liste unterstützt würde. Letztere ist ein Zusammenschluss von vier Parteien – darunter die sozialistische, arabisch-jüdisch gemischte Partei Chadash sowie die islamische Partei Ram. Mit 15 Sitzen ist das Bündnis wie schon nach der letzten Wahl im September 2019 drittstärkste Fraktion.

Eine Minderheitsregierung wäre eine wackelige Angelegenheit – und eine Ironie der Geschichte: Lieberman, der die Vereinte Liste offen als „politischen Feind“ bezeichnet hat, hatte sich im Vorfeld der Wahl 2015 dafür eingesetzt, die 2-Prozent-Hürde auf 3,25 Prozent anzuheben, wohl um die kleinen arabischen Parteien aus dem Parlament zu vertreiben. Als Reaktion schlossen diese sich in der Vereinten Liste zusammen, von deren Unterstützung Lieberman nun abhängig wäre.

Gantz hat seinerseits eine Minderheitsregierung mit Unterstützung der Vereinten Liste ausgeschlossen, auch um seine Wähler*innen in der Mitte und von rechts nicht zu verprellen. Viele Israelis machen sich vor allem Sorgen, wenn es um die Frage geht, wie Israel sich gegenüber den palästinensischen Gebieten verhält. Ayman Odeh, der Vorsitzende der Vereinten Liste, erklärte Ende Februar 2020, er würde keine Regierung unterstützen, die Gaza angreift. Die Vereinte Liste verhandelt derzeit, ob sie am Sonntag wie nach der Wahl im September Gantz für das Amt des Ministerpräsidenten empfiehlt.