Ministerpräsidentenwahl in Thüringen: Erfurter Demokratielabor

An diesem Mittwoch will sich Bodo Ramelow im Erfurter Landtag wieder zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Kann das gelingen?

Von links nach rechts: Ann-Sopie Bohm-Eisenhardt (Grüne), Bodo Ramelow und Susanne Hennig-Wellsow (Linke), Wolfgang Tiefensee (SPD)

Am Dienstag haben Grüne, Linkspartei und SPD in Erfurt ihren Regierungsvertrag unterzeichnet Foto: dpa

Wer steht an diesem Mittwoch im Erfurter Landtag als Ministerpräsident zur Wahl?

Für die Linkspartei kandidiert Amtsinhaber Bodo Ramelow erneut für das Amt des Ministerpräsidenten. CDU-Landes- und Fraktionschef Mike Mohring wollte Ramelow und die Linkspartei aus der Regierung verdrängen. Er landete aber mit seiner Partei bei der Landtagswahl im Oktober nur abgeschlagen auf dem dritten Platz und hat erklärt, nicht anzutreten. Das gilt auch für den AfD-Landes- und Fraktionschef Björn Höcke. Aber die AfD, zweitstärkste Fraktion im Landtag, hat angekündigt, einen anderen Gegenkandidaten aufzustellen.

Wen?

Die Rechtsaußenpartei will den parteilosen Christoph Kindervater ins Rennen schicken. Der ehrenamtliche Bürgermeister von Sundhausen im Unstrut-Hainich-Kreis, einer Gemeinde mit 350 Einwohner:innen, hatte sich am Wochenende sowohl der AfD als auch CDU und FDP als Kandidat selbst angeboten. Die AfD nahm das Angebot dankend an.

Und was macht die FDP, die dritte und kleinste Oppositionspartei?

Für die ersten beiden Wahlrunden wollen die Liberalen keinen eigenen Kandidaten aufstellen. Aber FDP-Landes- und Fraktionschef Thomas Kemmerich hält sich die Option offen, im dritten Wahlgang seinen Hut in den Ring zu werfen – unter der Voraussetzung, dass noch der AfD-Bewerber im Rennen ist.

Welche Fraktionen unterstützen den bisherigen Amtsinhaber Ramelow, welche nicht?

Bodo Ramelow hat die Unterstützung sowohl seiner eigenen Partei, die bei der Landtagswahl mit Abstand stärkste Kraft wurde, als auch von SPD und Grünen. Mit ihm an der Spitze wollen die drei Parteien ihre gemeinsame Regierungsarbeit fortsetzen, auch wenn sie über keine Mehrheit mehr im Landtag verfügen. Die anderen drei Fraktionen haben hingegen allesamt erklärt, dass sie Ramelow nicht wählen werden.

Wie viele Stimmen braucht Bodo Ramelow, um erneut gewählt zu werden?

„Der Ministerpräsident wird vom Landtag mit der Mehrheit seiner Mitglieder ohne Aussprache in gehei­mer Abstimmung gewählt“, heißt es in der Thüringer Landesverfassung. Da dem Landtag 90 Abgeordnete angehören, braucht Ramelow also mindestens 46 Stimmen.

Kann er das schaffen?

Nicht aus eigener Kraft: Linkspartei, SPD und Grüne kommen zusammen nur auf 42 Abgeordnete. Um im ersten oder zweiten Wahlgang gewählt zu werden, bräuchte Ramelow daher mindestens vier Stimmen aus dem Oppositionslager.

Und wenn er das nicht schafft?

Es gibt ja noch den dritten Wahlgang. Dann bedarf es laut Landesverfassung keiner absoluten Mehrheit mehr, eine einfache Mehrheit würde reichen.

Alles klar, dann wird Ramelow im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit von Linken, Grünen und SPD gewählt?

Hat Ramelow mindestens einen Gegenkandidaten, ist die Sache einfach. Gemäß Landesverfassung ist im dritten Wahlgang gewählt, wer „die meisten Stimmen erhält“. Da dürfte der Linksparteiler gute Karten haben.

Dann ist ja alles paletti, oder?

Nicht ganz. Kompliziert wird es, wenn er keinen Gegenkandidaten hat. Was ist, wenn Ramelow dann mehr Nein- als Jastimmen bekommt?

Was ist dann?

Das ist die spannende Frage. Für Linkspartei, SPD und Grüne wäre Ramelow dann trotzdem gewählt, weil nur die Jastimmen zählen würden. Diese Interpretation der Landesverfassung haben sie sich auch von einem Verfassungsrechtler bestätigen lassen. Die CDU sagt aber: Auch die Neinstimmen seien Stimmen – Ramelow wäre daher nicht gewählt, wenn mehr Abgeordnete gegen ihn als für ihn stimmen. Sie zitiert dafür ebenfalls ein verfassungsrechtliches Gutachten und will die Wahl gegebenenfalls im Nachhinein anfechten.

Und wer ist in diesem Fall gewählter Ministerpräsident?

Niemand.

Wäre Thüringen in einem solchen Fall unregierbar?

Nein, Ramelow ist laut Verfassung so lange geschäftsführend im Amt, bis ein Nachfolger gewählt wird. Aber in einem solchen Fall könnte er keine neuen Minister:innen ernennen oder den Zuschnitt von Ministerien verändern.

Falls es mit der Wahl Ramelows klappt, kann Rot-Rot-Grün trotzdem nur eine Minderheitsregierung bilden. Könnte die stabil regieren?

Durchaus. Der Spielraum einer Landesregierung ist ziemlich groß – auch ohne Parlamentsmehrheit. Vieles kann sie über Erlasse und Verordnungen regeln. Nur für neue Gesetze und für die Aufstellung des Haushalts, die im Sommer nächsten Jahres ansteht, muss sie bei der Opposition um Zustimmung werben. Wenn die dann geschlossen dagegen stimmt, wird's hart.

Gibt es Beispiele für funktionierende Minderheitsregierungen in der Vergangenheit?

Es gab zwar auf Länderebene schon ein paar Minderheitsregierungen, allerdings ist nur eine mit der in Thüringen vergleichbar: das war 2010 bis 2012 Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen – und die hat ziemlich gut funktioniert. Geradezu virtuos regierte die rot-grüne „Koalition der Einladung“ mit wechselnden Mehrheiten im bevölkerungsreichsten Bundesland: mal stimmte die Linkspartei mit ihr, mal die CDU, mal die FDP. Dass das Experiment schließlich beendet wurde, lag denn auch nicht an seinem Scheitern, sondern an den allzu guten Umfragewerten der Regierung: Die Verlockung war zu groß, per Neuwahl eine eigene absolute Mehrheit erringen zu können. Auch das ging auf: Nach der Landtagswahl 2012 brauchten SPD und Grüne keine Leihstimmen mehr, um weiterregieren zu können.

Ist NRW auf Thüringen übertragbar?

Nein. Denn in NRW fehlte SPD und Grünen nur eine Stimme zur absoluten Mehrheit. Mit der Linkspartei auf der einen sowie CDU und FDP auf der anderen Seite war Rot-Grün de facto nicht überstimmbar. Da hat es Rot-Rot-Grün in Thüringen weitaus schwerer. Denn die CDU und die FDP können darauf hoffen, dass ihnen die AfD bei etlichen Anträgen zu einer Mehrheit im Landtag verhilft.

Gäbe es eine Alternative?

Wenn sich Linkspartei und CDU auf eine Koalition einigen würden, hätten sie im Landtag zusammen eine absolute Mehrheit. Aber die Frage stellt sich für die Linkspartei erst gar nicht: Die CDU hat per Bundesparteitagsbeschluss eine Zusammenarbeit mit ihr ausgeschlossen.

Gibt es denn überhaupt inhaltliche Schnittmengen für eine irgendwie geartete Zusammenarbeit von Linken und CDU?

Die CDU hat auf ihrer Winterklausur Mitte Januar 22 Vorhaben zum Wohle Thüringens beschlossen, die sie im Landtag aufgreifen und mit Mehrheit beschließen lassen möchte. Diese Liste reicht von „Unterrichtsausfall bekämpfen“ über „mehr Qualität in Kindergärten“ bis zu „Funklöcher stopfen“ und „Ärztliche Versorgung und Pflege“ sichern. Anliegen, die Rot-Rot-Grün ebenfalls auf dem Zettel hat, beziehungsweise in den am Dienstag unterschriebenen Koalitionsvertrag stehen hat.

Wo dürfte es zu Konflikten kommen?

Rot-Rot-Grün möchte ein Landesaufnahmegesetz für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge starten und den Mindestlohn für öffentliche Aufträge auf 12 Euro erhöhen. Beides dürfte schwierig werden mit CDU und FDP.

Sind die Reihen der CDU denn geschlossen?

Nein. Es gibt durchaus Abgeordnete, die mit Mohring und seinem Kurs Schwierigkeiten haben. Auf einige dieser Abweichler spekuliert Rot-Rot-Grün. Neben jenen, die mit der Linken reden wollen, gibt es aber auch jene, die die AfD als ganz normalen Gesprächspartner akzeptieren. Die Fliehkräfte in der Thüringer CDU dürften mit einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung zunehmen.

Sind Neuwahlen wahrscheinlich?

Kaum. Außer der Linkspartei, die in der jüngsten Umfrage von infratest dimap im Auftrag des MDR ihr Rekordergebnis noch ausbauen könnte und aktuell auf 32 Prozent käme, und der AfD, die ebenfalls leicht zulegte, kann keine Partei derzeit Interesse an Neuwahlen haben. Die CDU sinkt sogar weiter in der Gunst der Wähler:innen. Die Verfassung sieht Neuwahlen vor für den Fall, dass der Landtag mit Zweidrittelmehrheit seine Auflösung beschließt oder der Ministerpräsident erfolglos die Vertrauensfrage gestellt hat und innerhalb von drei Wochen kein Nachfolger gewählt wird. Und letzteres Szenario würde bedeuten: Zurück zu Frage 1.

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