Antilopen Gang mit neuem Album: „Kassel ist ein Dorf“
Die HipHop-Crew Antilopen Gang über die destruktive Qualität von Gras, Stress bei Familienfeiern und ihr neues Album „Abbruch Abbruch“.
taz: Sie behaupten, Ihr neues Album sei das beste des kommenden Jahrzehnts. Woher diese Ahnung?
Koljah: Ich glaube, dass wir musikalisch viel mehr richtiger gemacht haben als bei den Alben davor. Dass wir keine Gitarren mehr verwenden, sehe ich als großen Fortschritt.
Danger Dan: Darüber lässt sich streiten. Aber das Prinzip ist Wahrheit durch Behauptung. Man muss das den Leuten in den Mund legen und ihnen so zu ihrem Glück verhelfen.
Warum jetzt? Nur das Fehlen von Gitarren macht Ihre Musik nicht gleich zum Nonplusultra!
Koljah: Wir kommen diesmal ohne Lückenfüller aus. Ich könnte Ihnen bei den vorherigen Alben Tracks nennen, die nicht hätten dabei sein müssen, die Alben wären ohne sie besser geworden.
Danger Dan: Du redest uns um Kopf und Kragen!
Koljah: Ist da so? Das ist doch dein Job!
Wenn es nichts Schlechtes gibt auf dem Album, was ist der beste Track?
Antilopen Gang: Die HipHop-Crew Antilopen Gang, ursprünglich aus Aachen und Düsseldorf, heute in Berlin, veröffentlicht in unterschiedlichen Konstellationen seit 2009 Musik, ihr Debütalbum „Aversion“ erschien 2014. Ihr neues Werk „Abbruch Abbruch“ erscheint kommende Woche bei JKP/Warner. Am 23. Januar wird es in der Berghain Kantine, Berlin, ein „Symposion mit anschließendem Konzert“ der Antilopen Gang und Gästen geben.
Offizieller Tourstart: ist am 12. Februar mit einem Konzert im Gladhouse in Cottbus.
Panik Panzer: Ich finde, „Der Ruf ist ruiniert“ ist am besten.
Danger Dan: Ich finde, das ist, als würde man einen mehrfachen Vater fragen, welches Kind er am meisten mag. Auf so eine Frage kann ich nicht antworten, ich liebe die Songs alle.
Das beste Lied haben Sie nicht genannt, in „Zentrum des Bösen“ ist sehr viel Wahres. Sie kritisieren damit Dorfromantisierung und die, wie Adorno sagte, „Idiotie des Landlebens“.
Danger Dan: Es ist empirisch belegbar, dass auf dem Dorf nur Scheiße entsteht und in der Stadt eigentlich die guten Dinge. Das Dorf konserviert alles, was schlecht ist, und die Stadt erschafft alles, was gut ist. Wenn man sich Österreich anguckt …
… als Gesamtdorf?
Danger Dan: Österreich besteht nur aus Dörfern und einer Stadt, wobei ich selbst mit Wien Probleme habe. Würde es Wien nicht geben, hätte Österreich eine rechtsextreme Regierung.
Damit verwenden Sie also einen gesellschaftstheoretischen Dorfbegriff: Kassel zum Beispiel wäre somit auch ein Dorf.
Koljah: Kassel ist definitiv ein Dorf!
Panik Panzer: Ich kenne mich in Kassel nicht so aus, aber falls von dort das Kassler kommt, ist es definitiv ein Dorf.
Wo hört das Dorf für Sie auf?
Panik Panzer: Kurz vor Berlin.
Danger Dan: Das Dorf hört da auf, wo das Individuum anfängt. Das Dorf ist eine faschistoide Gemeinschaft.
Koljah: Wichtig ist die Verknüpfung von Ressentiments gegen die Großstadt mit der Glorifizierung des Landlebens: das antisemitische Stereotyp des organischen Dorfs, das so konkret ist und natürlich gewachsen und dagegen steht die künstliche Großstadt, in der alles anonym ist – und diese Freiheit sei etwas Schlechtes. Dabei ist sie die Voraussetzung dafür, dass Individualismus und bürgerliches Glücksversprechen überhaupt möglich sind.
Es steht nicht zu befürchten, dass Antilopen-Fans sich darüber empören, wenn Sie die Dorfmentalität dissen, aber Ihr „Lied gegen Kiffer“ könnte auch bei Ihren Fans für Kontroversen sorgen!
Koljah: Beim Kiffen gibt es die weit verbreitete Ansicht, dass es natürlich sei, und synthetische Drogen seien das Böse, weil sie zusammengesetzte Chemie wären. Solche Widersprüche führen Kiffer ins Feld, um ihr Tun zu verteidigen. Da sind die Gleichen, die denken, dass Dorfleben per se toll wäre …
Danger Dan: … und dann so merkwürdige Vorstellungen davon haben, wie weit entwickelt die Inkas sind und dass man denen glauben muss. Wobei man auch gar nicht wissen will, wie viele Antilopen-Fans heimlich …
… auf dem Dorf wohnen?
Danger Dan: Vielleicht sogar das! Zumindest glauben sie, dass nun ausgerechnet ihr Dorf als einziges noch in Ordnung sei, während im Nachbardorf bereits alles verloren ist. Die Steigerung ist dann Kiffer auf dem Dorf. Wobei Kiffer sich aufregen, weil sie labile Persönlichkeiten haben, cholerisch sind, aggressiv und dünnhäutig. Man muss Kiffer ja gar nicht kritisieren, es reicht schon, dass im Nachbarhaus eine Stecknadel runterfällt, dann greifen die sofort zur Heugabel.
Und werden zu Neurechten, wie es bei Ihnen heißt?
Koljah: Kiffen geht oft einher mit einer kruden Weltsicht, in der man sich schnell in wahnhafte Gedankengebilde verirrt. 9/11-Verschwörungideologien erfreuen sich etwa großer Beliebtheit, weil Kiffer sich in ihre psychotische Wahnwelt hineinkiffen und sehr empfänglich sind für solche Erklärungsansätze. Man kann vielleicht sagen, nicht alle Neurechten sind Kiffer, aber alle Kiffer werden zu Neurechten.
Panik Panzer: Einmal in meinem Leben habe ich die Wirkung von THC wirklich gespürt und …
Koljah: … und hast dich direkt auf einer Montagsdemo wiedergefunden?!
Empfohlener externer Inhalt
Lied gegen Kiffer
Panik Panzer: Ich war jedenfalls überrascht, wie psychoaktiv es wirkt. Und habe gemerkt, dass Gedanken, die vorher relativ klar waren, zum Irrgarten wurden. Wenn ich mir vorstelle, jemand brezelt sich täglich so zu, dass er nur noch im Irrgarten ist, wird klar, dass er mit komplexen Themen nichts anfangen kann. Es mag total banal sein, aber meine eigene Kifferfahrung trägt dazu bei, dass ich die These aufstelle, dass Kiffer schneller bei komischen Gedanken landen.
Als Sozialwissenschaftler würde ich sagen, das ist eine dünne Datenbasis.
Panik Panzer: Ja, das ist nicht so richtig empirisch …
Danger Dan: Doch, teilnehmende Beobachtung!
Panik Panzer: Deutschland sollte viel mehr auf mein Bauchgefühl vertrauen!
Koljah: Abgesehen von Taxifahrern gibt es niemanden, der mir häufiger von antisemitischen Verschwörungstheorien erzählt hat, als wirre Grasdealer.
Der Link zu den Taxifahrern überzeugt. Wo bleibt Ihr Song über Taxifahrer?
Koljah: Stimmt! Ich setze mich im Taxi immer nach hinten rechts und schweige.
Panik Panzer: Ich schreibe das mal direkt auf, die Songidee!
Danger Dan: Ich fuhr neulich erst wieder mit einem, der über E-Roller geschimpft hat – und am Ende waren die Juden schuld, dass es E-Roller gibt, weil die an die persönlichen Kundendaten der Leute kommen wollen würden.
Dorf, Kiffer, Geburtstag – selbst der sei schlimm, wie Sie in „Keine Party“ singen. Erst dachte ich, nun kommt ein musikalischer Abklatsch von „Enkeltrick“, dann aber erklingen starke Klavierakkorde. Und ich konnte das Gefühl sofort fassen, wie schlimm Geburtstage sind. Sind diese Feiern wirklich so schlimm?
Koljah: Andere Feiern haben den Vorteil, dass man nicht im Mittelpunkt steht. Nix gegen Geburtstagsfeiern, wenn ich selbst nicht betroffen bin.
Danger Dan: Ich überlege gerade, ob es Feiern gibt, die mir gefallen. Das meiste, was durchritualisiert ist, finde ich schwierig. Es gibt große Erwartungen, etwa an Weihnachten, so dass man sich ständig von dem Besonderheitsgefühl emanzipieren muss. Die Erhabenheit des Moments, an den man glaubt, erfüllt sich nie.
Panik Panzer: Feiern als Ritual sind meistens schlimm, zumindest bis zu dem Punkt, an dem alle genügend berauscht sind.
Danger Dan: Es gab auch gute Weihnachten …
Panik Panzer: Nein! Ganz, ganz ernsthaft: Gab es nicht.
Danger Dan: Ich muss an dieser Stelle Panik Panzer widersprechen, auch weil unsere Eltern bestimmt taz-Leser:innen sind.
Panik Panzer: Oh ja! Weihnachten war immer schön!
Aber es geht doch auch um eine Institution der Moderne: den Geburtstag – bei dem man das Individuum so hoch hängt, die Idee des Individuums ist ja überhaupt erst in der Moderne entstanden, der Einzelne war vorher faktisch irrelevant. Das ist auch die Dialektik des Geburtstags: einerseits das Individuum in den Mittelpunkt zu rücken und es zugleich durch ritualisierte Feiern zu korrumpieren.
Koljah: Stimmt, Geburtstag ist eigentlich der Hammer. Aber damit meine ich, dass ich mit meiner Freundin zusammensitze und es ist schön. Das sind aber eben nicht die Feiern, die bleiben blöd.
Danger Dan: Wenn man ständig dieselben Formen abarbeitet, „Und, was machst du heute noch?“, geht es nicht ums Individuum, sondern es wird kaputt gemacht, in den Telefonaten, die wir alle einmal jährlich x-mal führen müssen: „Mach dir einen schönen Tag!“
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