Heinz Bierbaum über Europas Linke: „Wir brauchen einen neuen Aufbruch“
Heinz Bierbaum ist der neue Präsident der Europäischen Linken (EL). Der Nachfolger Gregor Gysis sieht das linke Parteienbündnis in keinem guten Zustand.
taz: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl zum neuen Präsidenten der Europäischen Linken. Sind Sie der Generationswechsel, den Ihr Vorgänger Gregor Gysi angekündigt hat?
Heinz Bierbaum: Nein, das bin ich mit meinen 73 Jahren sicherlich nicht. Ich hatte mir das ja auch eigentlich etwas anders vorgestellt. Aber nun ist es eben so gekommen.
Wie hatten Sie sich das denn vorgestellt?
Na ja, wir hatten aus Deutschland einen anderen Vorschlag gemacht. Doch der war leider nicht durchsetzbar.
Die Linkspartei hatte sich für eine geschlechterquotierte Doppelspitze stark gemacht. Woran ist dieser Vorschlag gescheitert?
Das ist nicht an prinzipiellen Differenzen gescheitert, sondern ganz konkret: Die mögliche Kandidatin hat nicht den Konsens gefunden, der notwendig gewesen wäre. Es gab eine große Zustimmung für die Doppelspitze. Aber dann konnten sich die Vorsitzenden der Mitgliedsparteien im Vorfeld nicht über die personelle Besetzung einigen. Das wäre jedoch nötig gewesen. So bin ich dann als alleiniger Kandidat übriggeblieben.
geboren 1946, ist seit dem 15. Dezember Präsident der Europäischen Linken. Bei seiner Wahl auf dem EL-Kongress im spanischen Benalmádena bei Málaga erhielt er 66,7 Prozent der Stimmen. Der promovierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler ist Vorsitzender der Internationalen Kommission der Linkspartei. Von 2009 bis 2017 gehörte der frühere 1. Bevollmächtigte der Frankfurter IG Metall als parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im saarländischen Landtag an.
Warum ist die Wahl ausgerechnet auf Sie gefallen?
Das kam von mehreren Parteien, weil ich wohl als jemand gelte, der integrierend wirken kann.
In welchem Zustand befindet sich aus Ihrer Sicht die EL?
Die Europäische Linke befindet sich in keinem besonders guten Zustand. Um zu diesem Befund zu kommen, reicht alleine schon ein Blick auf die Europawahlen im Mai. Nicht alle, aber doch viele unserer Mitgliedsparteien haben herbe Verluste erlitten. Wir haben es nicht geschafft, als starke alternative politische Kraft gegenüber den neoliberalen Parteien und der extremen Rechten sichtbar zu sein.
Wie erklären Sie sich das?
Gegenwärtig ist die Europäische Linke eher eine Koordination der einzelnen Parteien, die sich in ihr zusammengeschlossen haben. Das ist eines der grundsätzlichen Probleme, die wir haben. Um effektiver zu werden, muss sich die Struktur der EL verändern. Wir müssen ein stärkeres politisches Profil entwickeln, ohne unsere Pluralität und Breite aufzugeben. Wir müssen auch wieder aktionsfähig werden. Die letzte gemeinsame Kampagne war die gegen das Freihandelsabkommen TTIP. Das ist schon einige Zeit her. Wir brauchen einen neuen Aufbruch.
Aber wie soll das gehen, wenn es in zentralen Fragen wie der Haltung zur Europäischen Union fundamentale Differenzen gibt?
Ich halte die Frage, ob die EU reformierbar ist oder nicht, für keine besonders wichtige Frage.
Das sehen viele der EL-Mitgliedsparteien anders.
Das widerspricht sich nicht. Es stimmt, dass das einer der großen Konfliktpunkte ist, den wir haben. Doch ich halte das nicht für besonders zielführend. Ob die EU reformierbar ist oder nicht, ist letztlich eine abstrakte Frage. Zentral ist doch etwas anderes: Wir treten alle gemeinsam für ein demokratisches, soziales, ökologisches und friedliches Europa ein. Dass die Verträge von Maastricht und von Lissabon keine gute Grundlage für das Europa sind, das wir anstreben, darüber sind wir uns auch einig.
Nun muss es doch ersteinmal darum gehen, dass sich das politische Klima verändert. Es geht also darum, politische Prozesse einzuleiten, die eine Veränderung der europäischen Politik in unsere Richtung möglich machen. Da hilft eine abstrakte Grundsatzdebatte nicht weiter, die nur trennend wirkt, aber die Lebenssituation der Menschen nicht verbessert. Wenn wir uns auf unsere Gemeinsamkeiten konzentrieren, dann können wir auch mit einer unterschiedlichen Positionierung im Hinblick auf die EU leben.
Sie meinen, Konflikte einfach ausklammern zu können?
Gegründet am 8. Mai 2004 in Rom, ist die Europäische Linke (EL) eines von zehn Parteienbündnissen, die bei der zuständigen EU-Behörde als europäische politische Partei registriert sind. Ihr gehören 24 linke Parteien aus 21 Ländern an, hinzu kommt noch ein gutes Dutzend Beobachter- und Partnerparteien. Heinz Bierbaum ist der fünfte Präsident in der Geschichte der EL – und nach Lothar Bisky (2007 bis 2010) und Gregor Gysi (2016 bis 2019) der dritte aus Deutschland.
Im Europäischen Parlament bilden die Mitgliedsparteien der EL den Kern der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL). Die verlor bei den Europawahlen im Mai 11 ihrer 52 Mandate. Mit nur noch 41 Abgeordneten ist die linke Fraktion damit nunmehr die kleinste im EU-Parlament. Mit Martin Schirdewan steht auch ihr ein Deutscher vor - allerdings in einer Doppelspitze mit der Französin Manon Aubry.
Keineswegs. Ich finde aber, dass wir unsere internen Diskussionen deutlich besser führen müssen. Das Ausklammern von Konflikten ist keine Lösung. Aber es sollte konstruktiv solidarisch mit ihnen umgegangen werden und nicht denunziatorisch. Sonst werden wir keinen Ausweg aus der Krise finden.
Von den 24 Mitgliedsparteien sind gerade noch sechs überhaupt im EU-Parlament vertreten, nur zehn Parteien gehören ihrem jeweiligen nationalen Parlament an. Ist die EL inzwischen eine Ansammlung von Splitterparteien?
Nein, das kann man nicht sagen. Die griechische Syriza ist alles andere als eine Splitterpartei. Das gilt auch für den Bloco de Esquerda, der in Portugal eine gewichtige Rolle spielt. Oder nehmen Sie das Linksbündnis in Finnland, das an der dortigen Regierung beteiligt ist. Wir haben also schon noch einige größere Parteien an Bord. Dazu gehört im Übrigen auch meine eigene Partei.
Aber es gibt eben auch viele Gegenbeispiele. Schauen Sie sich nur den Zustand des Partito della Rifondazione Comunista an, der einst mit Fausto Bertinotti den ersten Präsidenten der EL stellte. Heute sind von der früheren italienischen Regierungspartei nur noch Trümmer übriggeblieben.
Es ist richtig, dass sich die Zusammensetzung und das Gewicht der Parteien in der EL seit der Gründung 2004 erheblich verändert haben. Das frappierendste Beispiel haben Sie genannt. Die Situation der linken Parteien in Italien ist dramatisch, sie existieren ja fast nicht mehr.
Die traditionsreiche Kommunistische Partei Frankreichs, die ebenfalls zu den EL-Gründerinnen gehörte, fristet heutzutage ebenfalls nur noch ein Schattendasein.
Auch da will ich nicht widersprechen. Trotzdem sehe ich nicht, dass es insgesamt einen Niedergang linker Parteien gibt. Was es gibt, ist ein schon länger zu beobachtender Umgruppierungsprozess. Die traditionellen kommunistischen Parteien haben nahezu überall deutlich an Gewicht verloren. Abgesehen von dem Sonderfall Italien sind dafür aber vielerorts neue linke Parteien oder Bündnisse entstanden, die durchaus erfolgreich sind. Den Bloco oder Syriza habe ich schon genannt, Podemos in Spanien oder La France insoumise in Frankreich gehören auch dazu. Ich bin überzeugt davon, dass die gesellschaftlichen Umbrüche, die wir gegenwärtig erleben, gerade für linke Politik eine Chance darstellen. Die müssen wir allerdings auch ergreifen.
Podemos und La France insoumise gehören nicht der EL an.
Sie sind immerhin Mitglieder der linken Fraktion im EU-Parlament, der GUE/NGL. Dass sie nicht auch in der EL sind, trifft zu meinem Bedauern zu. Das gilt ebenso für die schwedische Vänsterpartiet, die Partij van de Arbeid in Belgien oder die irische Sinn Féin. Tatsache ist, dass die EL nur noch einen Teil der europäischen Linken repräsentiert. Wichtige Parteien fehlen leider. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Ich glaube zwar nicht, dass wir sie jetzt unmittelbar zu einem Eintritt bewegen können. Auch wenn ich mir das wünschen würde. Aber ich will daran arbeiten, die Kooperation und den politischen Dialog mit diesen Parteien zu verstärken.
Was heiß das konkret?
Es geht um einen Annäherungsprozess. Dafür gibt es auch schon Ansätze, wie das jährliche Europäische Forum, das von uns jetzt seit drei Jahren in Zusammenarbeit mit weiteren progressiven und auch grünen Kräften organisiert wird. Das letzte Treffen fand Ende November in Brüssel statt. Aber auch da ist unsere Diskussionskultur verbesserbar. Zu viele vorbereitete Beiträge machen eine wirklich offene Debatte nahezu unmöglich. Mein Ziel ist es, die EL zu einem organisierenden Zentrum der europäischen Linken zu machen.
Glauben Sie, dass die EL eine Zukunft hat?
Sie wird jedenfalls gebraucht. Davon bin ich überzeugt. Der gesellschaftliche Produktionsprozess ist in einem tiefgreifenden Umbruch – und zwar europaweit. Das hängt vor allem damit zusammen, dass sich inzwischen die dramatischen ökologischen Auswirkungen einer auf fossilen Energien basierenden Industrieproduktion nicht mehr übersehen lassen. Mit der heutigen Politik und der vorherrschenden Profitlogik kommen wir da nicht weiter.
Wir brauchen eine sozial-ökologische Transformation.Dafür bedarf es einer Linken, zu deren Charakteristikum zählt, die ökologische und die soziale Frage in der Perspektive einer grundlegenden Transformation des kapitalistischen Systems zu verbinden. Das unterscheidet uns zum Beispiel von den Grünen. Außerdem: Wer erhebt den sonst noch seine Stimme gegen die Militarisierung der EU, wenn wir das nicht tun?
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