Klimawandel und Framing: Hurra, wieder ein Hitzerekord!

Rekorde klingen nach „weiter so!“ Doch Hochwasser, Dürre und Hitze sind das genaue Gegenteil davon: das komplette Verfehlen aller Klimaziele.

Eine Frau sitzt in Venedig auf einem Stuhl im Hochwasser auf dem Markusplatz.

Daran ist absolut nichts erstrebenswert: der überflutete Markusplatz in Venedig Foto: dpa

Der Rekord, der mich in meinem Leben am meisten beeindruckt hat, wurde vor 45 Jahren am Esstisch meiner Tante Jutta aufgestellt: 12 Würstchen schaffte mein großer Bruder beim Kindergeburtstag. In Worten: zwölf! Eine Höchstleistung, die nie mehr zu toppen war, mussten meine Cousins und ich mit offenem, wenn auch vollem Mund anerkennen.

Wir reden hier von einer Zeit, als Rekorde in waren. Coole Autos hießen Opel Rekord. Coole Sportler wie Mark Spitz holten im olympischen Schwimmbecken sieben Goldmedaillen. Coole Kassettenrekorder hatten eine „Record“-Taste, um Musik aus dem Radio mitzuschneiden. Und dann kam das „Guinness-Buch der Rekorde“: Ein indischer Fakir mit den längsten Zehennägeln der Welt, 21 Studenten in einer „Ente“ von Citroen, ein Typ, der 20 halbe Hähnchen essen konnte und damit sogar noch meinen Bruder übertraf. Höchstleistungen überall, und ich war begeistert.

Diese Zeiten sind vorbei. Allein in den letzten Wochen habe ich praktisch jeden Tag über Rekorde geschrieben, bei denen es mir kalt den Rücken runterläuft: Rekordhitze und Rekordtrockenheit im deutschen Sommer, ein neuer Höchststand weltweit bei den CO2-Emissionen, seit drei Millionen Jahren nie gesehene Spitzenwerte bei Treibhausgasen in der Atmosphäre. Rekordfeuer am Amazonas. Ungeahnte Brände in Australien.

Auch sonst: Immer neue Spitzenwerte beim Artensterben, beim Plastikmüll in den Meeren. Und auch außerhalb der Öko-Blase ist der Rekord auf den Hund gekommen: Rüstungsausgaben auf Rekordniveau, Rekordverschuldung in Ländern, die nicht die schwarze Null anbeten, Rekord-Wahlergebnisse für Populisten. Rekord-Meister Bayern München.

Rekorde sind zum Angeben da

Und trotzdem nennen wir diesen Quatsch immer noch Rekord. Auch wenn das Wort eigentlich nur bedeutet, dass wir uns an etwas Besonderes erinnern – ein Rekord klingt immer noch nach: „Hurra, super, weiter so!“ Rekorde sind dafür da, um mit ihnen anzugeben oder sie zu brechen. Wir zögern, von einem Rekord zu sprechen, wenn es um Verkehrstote, Missbrauchsfälle oder Firmenpleiten geht. Aber bei Ökofragen melden wir Rekorde und bleiben im Wachstumsmantra des „höher, schneller, weiter“. Auch wenn höherer Meeresspiegel, schnellere Erwärmung und weitere Flächen, auf denen der Permafrost taut, uns das Genick brechen. Wir reden positiv über das Negative.

Damit sollten wir aufhören. Und mit positiven Begriffen nur noch über Dinge reden, die uns wirklich weiterbringen: Rekorde beim Ökostrom, bei der Bekämpfung von Malaria, bei der Anzahl von Frauen in Parlamenten. Und wir sollten anfangen, das Schlechte auch schlechtzureden: Die Klima-„Gipfel“ (wieder so ein positiver Begriff), die eigentlich Gipfel der Unverschämtheit sind; die Schreckensbilanz beim Boom der SUVs; das Desaster bei der Energieverschwendung; die Schwindsucht bei der Artenvielfalt; die konstante Niederlage bei der Bekämpfung der CO2-Emissionen.

Das alles sind keine Rekorde, sondern das genaue Gegenteil davon. Etwas, wofür wir nicht mal ein richtiges Wort haben: das komplette Verfehlen aller Ziele, das Scheitern. Wenn ein Rekord die Schulnote Eins plus ist, dann liegen wir mit unserem Murks in Überlebensfragen am anderen Ende: Fünf minus. Mangelhaft und schlechter. Auch schon wieder eine einmalige Leistung.

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Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).

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