Berliner Doppelhaushalt 2020/21: Sparen oder Spendieren?
Mehr als 5 Milliarden sind im neuen Doppelhaushalt für Investitionen vorgesehen. Zu wenig oder zu viel? Ein Streit nicht nur über die schwarze Null.
Schwarze Null? Schuldenbremse? Die neue SPD-Bundesspitze Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans hat die Finanzpolitik noch weiter in den Fokus gebracht, als sie es bisher schon war. Ist Sparen richtig? Muss Tilgung sein in Zeiten niedriger Zinsen? Ist nicht Gegensteuern in einer sich ankündigenden Rezession angesagt, also mehr ausgeben statt Gürtel-enger-Schnallen?
Genau in dieser Situation entscheidet das Abgeordnetenhaus nächsten Donnerstag über den Landeshaushalt für die kommenden beiden Jahre und damit jeweils über mehr als 31 Milliarden – in Zahlen 31.000.000.000 – Euro. Macht zusammen etwa 63 Milliarden.
Die Berliner Landespolitik ist dabei in einer Luxussituation und von manchen dieser Fragen weit entfernt: „Schwarze Null“ heißt nämlich, nicht mehr auszugeben, als man in der Tasche hat, ohne sich noch etwas dazuzuleihen. Und in der Tasche hat Berlin in den vergangenen Jahren ab 2012 immer so viel gehabt, dass das Land noch nicht mal alles ausgeben konnte, geschweige denn neue Schulden machen musste.
Stattdessen blieb teils mehr als eine Milliarde Euro jeweils am Jahresende übrig. Geld, das dann zum einen in die Tilgung floss – also dem Abtragen des weiterhin noch rund 57 Milliarden Euro hohen Schuldenbergs von Berlin – und zum anderen in zusätzliche Investitionsprojekte. „Konsolidieren und investieren“ nennt der rot-rot-grüne Senat diese Doppelstrategie, die schon unter der rot-schwarzen Vorgängerregierung angesagt war.
Was aber Finanzsenator Matthias Kollatz von der SPD mantrahaft verteidigt, gefällt der Linkspartei nicht wirklich. Die lehnt schon mal grundsätzlich die Schuldenbremse ab – jenes Instrument, das seit 2016 der Bundesregierung, vom nächsten Jahr an auch den Bundesländern verbietet, neue Schulden zu machen.
In Berlin spielt das noch keine Rolle, weil weiter genug Einnahmen da sind. Erst 2021 soll sich das ändern.
Geld grad billig zu haben
Aus Sicht der Linkspartei – aber auch von Michael Hüther, Direktor des eher arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft – sollte allerdings (noch) mehr Geld in Investitionen und weniger in die Tilgung fließen. Ihre Argumentation: Schulden, für die aktuell jährlich weniger als 2 Prozent Zinsen zu zahlen sind, seien wie ein günstiger Kredit, um Dinge zu bezahlen, die später viel höhere Kosten verursachen – marode Brücken etwa.
Gegen Investitionen an sich hat auch die Pro-Tilgungs-Fraktion nichts. Die sagt bloß: Was sollen wir noch mehr Geld für Investitionen vorsehen, wenn wir jetzt schon nicht alles ausgeben können und viele Pläne Pläne bleiben? Weil die Baufirmen, Handwerker und manchmal auch schon die Planer fehlen.
Umso mehr, weil die vorgesehenen Investitionen laut Finanzsenator Kollatz schon so hoch wie nie sind. „In der kommenden Haushaltsperiode ist ein Rekordvolumen an Investitionen in Höhe von insgesamt rund 5,2 Milliarden Euro geplant“, sagte Kollatz bereits, als der Senat im Juni den Entwurf des Etats beschloss.
Warum also dennoch „all in“ wie beim Pokern und nichts in Reserve halten?
Dauerhaft auf Pump leben?
Weil es ein Zeichen gegen eine vor allem ideologische Einmauerung wäre, meint die Investitionsfront. Weil es kein Grund sein könne, auf sinnvolle Dinge zu verzichten, nur weil es ein Umsetzungsproblem gibt. Es gebe viele Bereiche ohne Umsetzungsproblem, zum Beispiel wenn Fahrkarten vergünstigt oder höhere Löhne gezahlt werden. Vielleicht müsse der Staat auch einfach besser zahlen als die private Auftraggeberkonkurrenz. Und weil man Unternehmen auch zusichern müsse, dass es sich lohne, wenn die nun expandieren, Leute einstellen und dauerhaft für das Land tätig werden, sei es beim Schulneubau oder eben beim Brückenreparieren.
Kritiker dieser Sicht wiederum hinterfragen, wie diese Unternehmen denn wachsen und zusätzliche Aufträge vom Land übernehmen könnten, wenn grundsätzlich nicht genug qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Ein Zeichen sehen aber auch die Schuldenabbau-Freunde in ihrem Schwerpunkt: Der Staat habe Vorbildfunktion und dürfe nicht tun, wovon jede Verbraucherberatungsstelle allen abrät: dauerhaft auf Pump zu leben. Ihre Denkweise: Kredite als Notbehelf in schlechten Zeiten, um staatliche Leistungen nicht drastisch einschränken zu müssen – aber dann doch bitte zurückzahlen, wenn wieder Geld in der Kasse ist.
Umso mehr, weil nach mehrheitlicher Einschätzung die Zeiten niedriger Zinsen bald vorbei sein dürften. Wenn aber nicht mehr im Schnitt 2 Prozent, sondern wie in früheren Jahren mindestens 5 Prozent Zinsen für die immer noch 57 Milliarden Euro Berliner Schulden fällig sind, kostet das den Haushalt – und damit allen 3,8 Millionen Berliner*innen – pro Jahr über 1,5 Milliarden Euro mehr als jetzt.
Der Staat sei keine schwäbische Hausfrau, ist dazu auf der anderen Seite sinngemäß zu hören. Und dass aktuelle Probleme Vorrang vor dem Langzeitprojekt Schuldenabbau haben müssten: Selbst wenn man eine Milliarde jährlich tilgen würde – im Koalitionsvertrag ist nur ein Mindestbetrag von 80 Millionen Euro vorgesehen –, wäre man erst 2076 fertig.
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