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Labour im britischen WahlkampfSuche nach moralischem Kompass

Labour trumpft im Wahlkampf mit einem enormen Sozialprogramm auf – erntet aber dennoch Kritik. Das hängt mit dem Personenkult in der Partei zusammen.

Der Kult um Corbyn könnte Labour mehr schaden als nutzen Foto: ap

A uf dem Tisch liegen 100 Milliarden Euro. So viel mehr will Labour – sollte sie die kommenden Wahlen gewinnen – ausgeben, um Großbritannien wieder gerechter zu machen. Das Geld soll ins Gesundheitssystem, den Bau von Sozialwohnungen, die Wieder-Verstaatlichung von Wasser und der Bahn, fließen, in freien Internetzugang, die Abschaffung von Studiengebühren, sowie in einen grünen Plan, um den Klimawandel zu stoppen. Auf den ersten, vielleicht auch auf den zweiten Blick wirkt Labours Wahlprogramm, wie ein warmer Regen, auf den das Land seit Jahrzehnten wartet.

Westliche religiöse Oberhäupter empfehlen normalerweise derartige Sozialprogramme, die eine fairere Welt für Alle schaffen wollen. Wie kann es also sein, dass Großbritanniens Oberrabbiner, Ephraim Mirvis, zwei Wochen vor der Wahl von einem von Oben genehmigten Gift bei Labour spricht? Die Art des Umgangs der Parteiführung mit anti-jüdischem Rassismus sei, so Mirvis, inkompatibel mit den britischen Werten, auf die das Land so stolz sei, nämlich der Idee der Würde aller – und der Respekt für alle Menschen.

Jeremy Corbyn gibt sich öffentlich gerne als moderaten Friedenstifter und Person, die mit allen spricht. Doch er ist keine Mo Mowlam – jene Frau, die elementar für das Good Friday Abkommen war, das 1998 eine Friedensregelung für die ehemalige Bürgerkriegsregion Nordirland schuf.

Immer wieder hört man, Corbyn sei quasi fast selbst ein Terrorist, weil er einseitig mit der IRA, sowie mit Hamas und Hezbollah im Kontakt stand. Und Corbyns Friedenstiftung ist tatsächlich einseitig. Er ist kein Mann der Mitte, sondern sah seine Aufgabe immer wieder darin, Kontakt mit meist nur einer Seite in langwierigen Konflikten aufzunehmen. Sonst hätte er auch den Austausch etwa mit Ultrarechten und jüdischen Siedlern in der West Bank suchen müssen -„des Friedens“ willen. Hätte auch sie als „Freunde“ ins Parlament laden müssen, statt eines Mannes der offen die antisemitische Meinung vertrat, dass die Juden ihr Brot mit Kinderblut backen. Statt unparteiisch zu sein, arbeitete Corbyn zum Beispiel für das iranische Press TV, und verkündete dort unter anderem, dass hinter einer Terrorattacke in Ägypten 2012 die Hand Israels stecke.

Schwäche liegt in Parteiführung

Labour tut, als hänge das Programm zur sozialen Revolution nur von der Gestalt eines einzigen Mannes und seiner direkten Unterstützer*Innen ab. Als offensichtlich wurde, dass antisemitisch denkende Personen innerhalb der Partei sich plötzlich trauten, über zionistischen Einfluss und eine Vorherrschaft der Rothschilds zu lamentieren, tat sich die Partei schwer. Unter dem Druck der Öffentlichkeit führte Labour schließlich eine – unbefriedigende – Untersuchung durch, versuchte darin aber überraschend, über mehr als nur Antisemitismus zu sprechen und druckste bei der Verabschiedung einer Richtlinie zum Antisemitismus herum. Unter anderem gab es den direkten Versuchen Corbyns, die Definition aufzuweichen.

Labour steckt mit Corbyn in einem Personenkult fest, dessen sich die Partei entledigen muss. Das Problem ist nicht Labours Sozialprogramm, sondern es liegt in den Schwächen der Parteiführung und den Schwächen der Partei, sich und ihr Programm von ihrer Parteiführung zu differenzieren. Hätte Labour deren Schwächen so erkannt, wie es Menschen auf den Straßen Großbritanniens tagtäglich, und gerade nun vor den Wahlen tun, – darunter übrigens viele ehemalige Labourunterstützer*Innen -, gäbe es schon lange eine Antidote gegen das Gift.

Der Oberrabbiner beendet seine Warnung mit einer Frage:Was wird das Ergebnis dieser Wahl über den moralischen Kompass unseres Landes aussagen. Er fordert die Briten auf, mit ihrem Gewissen zu Wählen, weil die Seele der Nation auf dem Spiel stehe.

Bei der Auswahl ist jedoch guter Rat teuer: bei den Tories tut sich Boris Johnson mit rassistischen und diskriminierenden Äußerungen hervor, von der konservativen Klimapolitik gar nicht erst zu sprechen, während die Liberaldemokratin Jo Swinson neulich selbstsicher verkündete, die britischen Atomwaffen im Fall der Fälle anzuwenden zu wollen.

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Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
Auslandskorrespondent Großbritannien
Seit 2012 für die taz im ständigen Einsatz. In München geboren und aufgewachsen, machte er sein Abitur in Israel. Seit 1991 lebt er im Herzen Londons, wo er zunächst drei Hochschulabschlüsse absolvierte, unter anderem an der SOAS, wo er Politik und Geschichte studierte. Nach einer Rundfunkausbildung war er zunächst für DW im Einsatz. Neben dem Journalistischen war er unter anderem als qualifizierter Pilateslehrer, Universitätsassistent und für das britische Büro des jüdisch-palästinensischen Friedensdorfes Wahat al-Salam ~ Neve Shalom tätig. Für die taz bereist er nicht nur die abgelegensten Ecken Großbritanniens, sondern auch die Karibik und die Kanalinseln. Sein Buch über die Schoa "Soll sein Schulem. Verluste, Hass, Mord, Fragen der Identität aus autobiografischer Sicht," soll Ende 2024 oder Anfang 2025 erscheinen.
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19 Kommentare

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  • Wie kann es also sein, dass Großbritanniens Oberrabbiner, Ephraim Mirvis, zwei Wochen vor der Wahl von einem von Oben genehmigten Gift bei Labour spricht?

    Ganz einfach, wenn dieser Oberrabbiner den Tories nahesteht und ein guter Freund des Gegenkandiaten ist

  • Angesichts des "hätte auch mit anderen den Austausch suchen müssen", bin ich doch ein kleines bisschen überrascht, dass die diversen jüdischen Stimmen, die sich gegen die Antisemitismusvorwürfe und vor allem auch gegen die Einlassung des Oberrabbiners ausgesprochen haben, von Herrm Zylbersztajn mit nicht einem Wort erwähnt werden.

  • 2G
    2422 (Profil gelöscht)

    Inzwischen reicht es also, wenn einer ultrarechte Siedler nicht als Freunde bezeichnet, um zum Antisemiten gestempelt zu werden. So weit kommt es, wenn eine Richtlinie von jedem, der Kritik an Israel, insbesondere an der Siedlungspolitik äußert, fordert, auch die übrigen Ungerechtigkeiten in der Welt zu benennen, sonst handele es sich um doppelte Standards. Und das wird nicht nur von Staatsvertretern wie Corbyn gefordert, sondern von jedem von uns. In diesem Sinne ist es natürlich antisemitisch, wie Zylbersztajn auch prompt beklagt, dass Corbyn rechte Siedler nicht als Freunde bezeichnet. Doch wenn es dabei nur um Corbyn ginge. Nein, jeder von uns soll sich ausgewogen zur israelischen Politik äußern, sonst wird ihm Antisemitismus vorgeworfen. Das führt zu der Absurdität, dass auch Juden, die sich kritisch äußern, kurzerhand in diesen Topf geworfen werden. Am schlimmsten macht sich die Kritik von angeblichen Doppelstandards aber in den Medien bemerkbar: Die Kritik am Siedlungsbau, der ungehindert vorwärts geht, ist inzwischen weitgehend verstummt. Kein Wunder, wenn man gleichzeitig die rechten Siedler küssen soll. Medien aber müssen kritisieren, das gehört zu unseren westlichen Werten. Sie müssen deswegen manchmal auch unausgewogen sein, sonst gibt es in unseren Medien nur noch Lippenbekenntnisse wie in der ehemaligen DDR, Und gerade Länder wie Israel müssen kritisiert werden, wenn sie diese Werte in den Dreck ziehen: wie Israel dass in den Besetzten Gebieten tut! Und wenn ich Israel wegen dieser Politik anders kritisieren sollte als etwa den Iran, dann deshalb, weil es für mich zu dieser westlichen Gemeinschaft zählt. Und weil ich mich für meinen Freund eben eher schäme als für meinen Feind.

    • @2422 (Profil gelöscht):

      Ich versichere Ihnen, dass Sie keinen Siedler küssen müssen.



      Was sind eigentlich "Länder wie Israel"? Unser Nato-Partner Türkei eventuell? Oder ganz andere?



      Und, vor allem: warum MÜSSEN "Länder wie Israel" kritisiert werden? Können, ok, dürfen, ja, aber müssen? Das scheint mir doch ein ganz persönliches Müssen zu sein - Ihr persönliches Müssen.

      • 2G
        2422 (Profil gelöscht)
        @Henriette Bimmelbahn:

        Eigentlich geht es aus dem Zusammenhang hervor, aber für Sie erkläre ich es noch einmal: Länder wie Israel, deren offizielle Regierungspolitik die Menschenrechte bestimmter Bevölkerungsgruppen (im Falle Israel besonders die der Palästinenser und Beduinen) in den Dreck zieht. Weil ich daran glaube, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, ist das für mich in der Tat ein persönliches Müssen.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @2422 (Profil gelöscht):

      "Die Kritik am Siedlungsbau, der ungehindert vorwärts geht, ist inzwischen weitgehend verstummt. "

      Leben Sie in einer Höhle?

      • 2G
        2422 (Profil gelöscht)
        @88181 (Profil gelöscht):

        Richtig, Komforthöhle mit WLAN und allem drum und dran... Und ich lese nicht nur die TAZ.

        • 8G
          88181 (Profil gelöscht)
          @2422 (Profil gelöscht):

          Sehen Sie, da geht es mir genauso.

          Und wenn Sie mir die Liebe tun und mir nur einen Artikel oder Kommentar aus der deutschen Medienlandschaft, der auch nur etwas Verständnis für die israelische Position in Sachen Westjordanland zeigt, dann bekommen Sie einen Schoko-Osterhasen.

  • Corbyn ist nicht konsequent gegen Antisemitismus in seiner Partei vorgegangen; da war er verdruckst und da gibt es nichts zu beschönigen.



    Wiedermal sind aber die britischen Medien ein Problem, da außer dem Guardian und dem Independent keiner weiter auf Johnsons rassistischen und homophoben Äußerungen geschweige denn seiner Lügerei herumreitet.



    Wenn ich Engländerin wäre, würde ich Labour wählen, aber mit großen Bauchschmerzen und wegen eines möglichen zweiten Referendums.

    Es ist Not gegen Elend in Großbritannien und mir tun die Leute leid angesichts dieser "Wahl".

    • @cazzimma:

      "Not gegen Elend" trifft es gut. Ich bin froh nicht vor einer solchen Wahl zu stehen.

  • Besagter Rabbi erinnert daran, dass klerikale Prediger des öfteren vor Sozialdemokraten warnen. In der BRD der 50er Jahre verkündeten Hirtenbriefe vom abendländischen Untergang, sollte die SPD regieren.



    Es sind eben Männer des Glaubens, nicht des Wissens.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Programme werden überschätzt. Das zeigen die deutschen Grünen doch gerade sehr eindrucksvoll.

    Auch wenn ich den britischen Humor sehr liebe: Ich bin froh, kein Brite sein zu müssen.

    Als Kritiker kann man sich nichts mehr wünschen, als Deutscher zu sein: man kann sich vom Deutschtum ständig abgrenzen.

    Ein wunderbarer Zeitvertreib. Schwarzbraun ist die Haselnuss ...

  • Sie meinen den Oberrabiner, der das Massaker in Gaza 2014 rechtfertigt hat? Auf dessen Unterstützung kann Corbyn gut verzichten...

  • Es gibt ca. 300.000 jüdische Bürger des UK, das sind gerade mal 0,4% oder 0,5% der Bevölkerung, an denen können die schlechten Umfragen für Lab nicht liegen...

    Nach den aktuellen Zahlen wird die Wahl ein Debakel für Labour, die Umfragen der letzten Tage.

    Savanta ComRes: Con 42%, Lab 31%



    Kantar: Con 45%, Lab 27%



    Survation: Con 42%, Lab 28%



    Opinium: Con 44%, Lab 28%

    www.mirror.co.uk/n...r-general-20070947

    Labour hat mit Corbyn 2017 noch 40% geholt, das schlechteste Lab Ergebnis seit dem II WK waren 1983 27,6%. Sollte ein Ergebnis unter 30% kommen, wird Corbyn ganz erhebliche Probleme bekommen.

    Und seien wir mal ehrlich, es geht gegen BoJo, der ist nicht Thatcher!

    • @Sven Günther:

      Die Wahlen sind Brexit-Wahlen. Johnson ist da eindeutig, Corbyn ziemlich vage,was ihn % kostet...

      • @agerwiese:

        Das glaubt ja Corbyn und Teile seine Labour Führung eben nicht.

        Teile der Labour Wählerschaft haben für den Brexit gestimmt, die sollen nicht verprellt werden, auch sind Corbyn Pläne einer Verstaatlichung der öffentlichen Versorgung mit EU Recht nicht vereinbar, er kann Dinge die er verspricht nicht in der EU umsetzen.

        Darum dieses verschieben in die Zukunft, man will von beiden Seiten Stimmen bekommen.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Sven Günther:

      Also mir fehlt die Fantasie zu sagen, Labour würde wegen der ganzen antisemitischen Vorfälle nicht gewählt werden.

      Eigentlich denkt man doch, dass die Leute Corbyn trotzdem wählen, oder eben genau deswegen.

      Aber ich habe die Chose auch schon lange nicht mehr richtig verfolgt, das macht alles so einen sinnlosen Eindruck.

    • @Sven Günther:

      just another ethno-supremacist fuckery.