Wahlprogramm der Konservativen in UK: Johnson begräbt Tory-Sparpolitik
Neben dem Brexit versprechen die Konservativen mehr Staatsausgaben ohne Steuererhöhungen. Damit grenzen sie sich von Labours Linkskurs ab.
Berlin taz | Großbritanniens konservativer Premierminister Boris Johnson hat sein Programm für die Wahlen am 12. Dezember vorgestellt. Er sprach am Sonntag bei der Präsentation des Wahlprogramms mit dem Titel „Den Brexit vollbringen, Großbritanniens Potenzial freisetzen“ vom Bestreben, dem Land „Selbstvertrauen und Sicherheit“ zurückzugeben.
Das Wahlprogramm markiert den endgültigen Bruch der Tories mit ihrer Sparpolitik unter Premierminister David Cameron. Das staatliche Gesundheitssystem soll den größten Finanzierungsschub seiner Geschichte bekommen, die Regierung will 50.000 neue Pflegekräfte und 20.000 neue Polizisten einstellen sowie Milliarden in Verkehrsinfrastruktur, Bildung und Technologie investieren. Höhere Einkommenssteuern, Sozialabgaben und Mehrwertsteuer schließt Johnson aus; für Geringverdiener gibt es Steuer- und Abgabenerleichterungen.
Im britischen Wahlkampf sind die Konservativen bislang die klaren Favoriten, mit steigender Tendenz – im Durchschnitt der Umfragen lagen sie am Sonntag bei 42,4 Prozent, gefolgt von Labour auf 29,6. Das reicht laut Prognosen für eine deutliche absolute Mehrheit.
Alle anderen großen Parteien haben ihre Wahlprogramme vergangene Woche vorgestellt. Labour verspricht einen staatlichen Investitionsfonds von 400 Milliarden Pfund, eine Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich und kostenlose Zahnbehandlung, Kinderbetreuung, Universitätsausbildung und Internet.
Noch nie lagen die Programme so weit auseinander
Außerdem will die Partei Sozialausgabensteigerungen von 83 Milliarden Pfund im Jahr, die Verstaatlichung von Eisenbahnen, Strom- und Wasserversorgung sowie von Teilen der Telekommunikation und Arbeitnehmeranteile an allen großen Unternehmen. Gegenfinanziert werden soll all dies durch Steuererhöhungen auf Spitzeneinkommen. Das Labour-Programm wurde weithin mit Skepsis aufgenommen.
Noch nie lagen die Wirtschaftsprogramme der beiden großen Parteien so weit auseinander, waren sich Kommentatoren gestern einig. Die Labour-Opposition reagierte auf das Tory-Programm prompt mit dem Vorwurf, Boris Johnson sei nicht zu trauen und seinen Versprechungen auch nicht. Der konservative Thinktank Institute of Economic Affairs hinterfragte die Kombination von Ausgabensteigerungen und Steuersenkungen.
Beim letzten Wahlkampf 2017 war die Veröffentlichung des Tory-Wahlprogramms der Moment, an dem Theresa Mays Sinkflug in den Umfragen begann, der am Ende einen als sicher geglaubten hohen Sieg in einen Verlust der Parlamentsmehrheit verwandelte. Daher wird genau beobachtet werden, ob über dieses Wahlprogramm kontrovers diskutiert wird.
Britische Wahlkampfexperten sagen: Wenn ein Wahlprogramm nach 48 Stunden niemanden mehr interessiert, hat es funktioniert – Sorgen muss eine Partei sich machen, wenn ihr Programm Debatten auslöst. Diesmal ist das eher bei Labour der Fall.
Leser*innenkommentare
Gast
Gast
Ich wundere mich, dass das magere Manifest der Tories einen eigenen Artikel bekommt, während das opulente Labour-Manifest der TAZ keine Meldung wert war. Da sollte man ruhig mal reinsehen: labour.org.uk/manifesto/ Ich wünschte, dass sich Parteien in Deutschland ähnlich entschlossen für den Umbau unseres Landes engagieren würden.
Die Behauptung, das Wahlprogramm der Tories würde keine Debatte auslösen, ist gewagt. Fragwürdig sind die Versprechen von Johnson (Boris, nicht Dominic), mehr Pflegekräfte und Polizisten einstellen zu wollen. Der Personalnotstand ist selbstgemacht und geht in beiden Bereichen auf die Sparmaßnahmen der Tories zurück. Jahrelang wurde die Insel von der Regierungspartei kaputt gespart - marode Schulen, viele Obdachlose und lange Wartezeiten in den Notaufnahmen der Krankenhäuser sind nur ein paar Beispiele dafür. Jetzt kurz vor der Wahl den "endgültigen Bruch mit der Sparpolitik" zu versprechen, erscheint mir wenig glaubwürdig. Besonders wenn man sich ansieht, wie oft Boris Johnson bereits beim Lügen erwischt wurde, ohne dass es bisher besondere Konsequenzen für ihn gehabt hätte. Dabei kämpfen die Tories mit allen Mitteln: Während der TV Debatte zwischen Corbyn und Johnson änderte die Partei den Namen eines Twitter-Accounts in "Factcheck UK" um die Aussagen von Corbyn mit Lügen zu widerlegen. Als Labour ihr "Manifesto" präsentierten, brachten die Tories zeitgleich eine Seite mit dem Namen "labourmanifesto.co.uk" an den Start, die aussieht, als wäre sie von Labour, aber Gegenargumente und falsche Beschuldigungen gegen Corbyn enthält. Allein diese Methoden lassen mich zweifeln, ob die Tories sich noch im Bereich der Demokratie bewegen, oder ob Boris den Absprung in Richtung einer von Trump inspirierten populistischen Regierungsform sucht.
83191 (Profil gelöscht)
Gast
Wow. Bei der Größenordnung des staatlichen Investitionsfonds den Labour fordert frage ich mich, ob Labour bewusst sich selbst torpediert (400 Mrd. entsprechen ca. 50% des Staatshaushaltes)
Dann wären Sie ja nicht Schuld am Brexit. In diesem Zusammenhang solche massiven Versprechungen zu machen halte ich für unnütz. Hätten Sie sich auf die Verhinderung des Brexit fokussiert und diese Investitionen ins eigene Land gemäßigter angegeben, wäre der Erfolg wahrscheinlicher.
Unabhängig davon ist, wie sinnvoll die Maßnahmen sind.
zzzap
Was soll diese Überschrift?