Umgang mit LSBTIQ in der Altenpflege: Auch im Alter fehlt Diverses
Hannover gibt mit einer Broschüre Führungskräften in der Altenpflege Methoden an die Hand, Angestellte für Unterschiedlichkeiten zu sensibilisieren.
Die Biografie älterer LSBTIQ sei eine besondere, sagt Juliane Steeger. Sie ist eine der Beauftragten für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt der Stadt und hat den Leitfaden mitentwickelt. „Viele Menschen haben noch erlebt, wie Männer für sexuelle Handlungen rechtlich verfolgt wurden, sie haben die HIV-Krise mitbekommen“, erklärt sie. Viele Betroffene wurden zwar entschädigt – so ein Unrecht dürfe aber nicht erneut geschehen.
Außerdem habe es sogenannte Schwesternehen gegeben: Nach dem Krieg seien viele Frauen zusammengezogen, ohne offen lesbisch zu leben. „Diese Leute wohnen jetzt versteckt in Einrichtungen und können nicht sein, wie sie sind“, sagt Steeger. Das bringe eine psychische Beeinträchtigung mit sich.
Bereits 2010 hatte die Stadt beschlossen, das Thema der LSBTIQ auch im Umgang mit Senior*innen zu behandeln. So wurde ein Arbeitskreis mit verschiedenen Beratungsstellen, Trägern von Pflegeeinrichtungen und der Verwaltung gegründet. Gemeinsam mit dem Fachbereich Senioren der Stadt und den Beauftragten für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt wurde die Broschüre entwickelt, finanziert durch Fördermittel des Landes.
Biografiearbeit ist wichtig
Um eine Sensibilität für die besonderen Bedarfe der immer noch verwundbaren Zielgruppe LSBTIQ zu schaffen, handele ein Teil des Leitfadens von den geschichtlichen Rahmenbedingungen der Lebensgeschichten. Biografiearbeit sei ein wesentlicher Bestandteil der vorgestellten Methoden, so Steeger. „Es ist wichtig, den Mitarbeitenden nahezubringen, was es heißt, LSBTIQ zu sein.“ Das Thema Sexualität werden in den Pflegeeinrichtungen im Allgemeinen sehr stiefmütterlich behandelt – eine Aufmerksamkeit für LSBTIQ sei hier ein Anfang, der von der Beauftragten der Stadt geleistet werden kann.
Juliane Steeger, Beauftragte für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Hannover
Weiter werden Ansätze der kultursensiblen Pflege und das Diversity-Konzept vorgestellt, die ein „Verständnis im Umgang mit der Unterschiedlichkeit von Menschen“ fördern sollen. Eine offene Umgangsweise mit den wahrgenommenen Unterschieden ermögliche den Pflegenden, mit Fremdheitsgefühlen umzugehen, heißt es weiter. „Es gibt in der Praxis immer wieder Verunsicherungen bei diesem Thema“, weiß Uwe Hildebrandt, Sprecher des Sozialministeriums Niedersachsen. „Lesbische, schwule, bi-, trans- und intersexuelle Menschen müssen, auch wenn sie pflegebedürftig werden, von Diskriminierungen verschont bleiben.“ Bei der Umsetzung der Konzepte hilft ein Schulungsteil mit Lerninhalten und Vermittlungsvorschlägen.
Auch Annette Mattfeldt vom Rat-&-Tat-Zentrum für queeres Leben in Bremen sieht Handlungsbedarf beim Umgang mit LSBTIQ im institutionalisierten Bereich: „Wichtig ist eine Sensibilisierung für verschiedene Identitäten und ein respektvoller Umgang mit Diskriminierungserfahrungen.“ Gerade in Einrichtungen, in denen Menschen in einer gewissen Abhängigkeit leben, brauche es besondere Unterstützung, damit diese ihre Identität nicht verlieren.
Das sei schwierig, da dem Pflegepersonal ohnehin schon viel abverlangt werde. Die Ressource Zeit spiele zudem eine große Rolle. Mattfeldt hat selbst in der Altenpflege gearbeitet und weiß um die Ansprüche. „Meine Erfahrungen bei Fortbildungen in Bremen haben gezeigt, dass es trotzdem die Bereitschaft gibt, die Lebenshintergründe der Menschen zu berücksichtigen“, sagt Mattfeldt. Dazu brauche es aber entsprechende Informationen. „Das Thema muss daher verlässlich als ein Bestandteil in der Ausbildung etabliert werden.“
Bei der Fachtagung, in deren Rahmen die Broschüre von Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann vorgestellt wurde, seien die Unterschiede zwischen den Problemen der verschiedenen LSBTIQ-Generationen deutlich geworden, erzählt Steeger. „Die Älteren sagen, ihr habt es heute ja ganz einfach.“
Das stimme nicht, sagt sie – selbst Mitte 30 – und erinnert an die Probleme mit gleichgeschlechtlichen Ehen und der Adoption von Kindern. Die Herausforderungen seien schlichtweg verschieden. Aber auch die Gemeinsamkeiten kamen zutage: „Wir werden heute immer noch gefragt, ob wir Geschwister sind.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung