„Was muss denn noch passieren?“

Warum wurde der Anschlag auf Ferat Kocak nicht verhindert? Im Interview erzählt er, was er von den Erklärungen der Behörden hält

Ferat Kocak ist Kommunalpolitiker der Linken, hat 2017 für den Bundestag kandidiert und engagiert sich in der prokurdischen HDPFoto: F.Boillot/snapshot-photography/Imago

Interview Malene Gürgen

taz: Herr Kocak, in der Sitzung des Innenausschusses am Montag ging es erneut um den Brandanschlag, den mutmaßlich rechte Täter 2018 auf Ihr Auto verübten. Wie viel von dem, was gestern besprochen wurde, war neu für Sie?

Ferat Kocak: Sehr viel. Die Frage ist ja, warum die Sicherheitsbehörden mich nicht gewarnt oder den Anschlag verhindert haben, obwohl sie nachweislich wussten, dass die Tatverdächtigen mir hinterherspioniert haben. Die Antworten, die gestern auf diese Frage gegeben wurden, unterscheiden sich deutlich von denen, die es bisher gab.

Inwiefern?

Bislang hieß es immer, die Polizei hätte nur gewusst, dass der Halter eines roten Smarts ein mögliches Anschlagsziel ist, aber nicht, welcher. Jetzt sagen sie, sie hätten das schon vor dem Anschlag auf drei Personen eingrenzen können, ich war auch darunter. Aber sie hätten gedacht, dass ich nicht der Richtige sein kann, weil ich nicht gegen rechts oder für Flüchtlinge aktiv wäre. Ich meine: Hä?

Der Verfassungsschutz wusste bereits lange vor dem Anschlag, dass Sie von den tatverdächtigen Neonazis aus­spio­niert werden.

Ja, und zwar nicht nur aus den abgehörten Gesprächen, von denen wir schon etwas länger wissen. Die standen offenbar auch schon 2017 vor meiner Haustür – das sagte jedenfalls gestern der Mann vom LKA. Das wusste ich bisher aber nicht, auch meine Anwältin wusste das nicht. Ich finde das schockierend, dass ich über so etwas nicht einmal im Nachhinein informiert wurde.

Die Begründung, warum die Behörden nicht verstanden hätten, dass der von Neonazis ausspionierte Ferat Koçak und Ferat Kocak, Halter eines roten Smarts, identisch sind, lautet: Ihr Name sei einmal Koçak und einmal Kocak geschrieben worden, deshalb habe es da keinen Treffer gegeben.

Ich schreibe mich doch selbst meistens Kocak, ich benutze das c mit Strich gar nicht. Trotzdem stellt er die Behörden offenbar vor unüberwindbare Hindernisse.

Neben dieser Reihe von Pannen wurde im Innenausschuss deutlich, dass der Verfassungsschutz aus Gründen des Quellenschutzes nicht wollte, dass die Informationen verwendet werden, um Sie zu schützen. Wie fühlt sich das an?

Ich frage mich: Was muss denn passieren, damit mein Leben oder das anderer Menschen als schützenswert erachtet wird – schützenswerter als die Möglichkeit des Verfassungsschutzes, sich Informationen zu beschaffen? Dass das Feuer vom Auto nicht auf das Haus übergegangen ist, in dem meine Familie schlief, war schließlich nur Glück.

Ist die Art, wie sich die Sicherheitsbehörden in diesem Fall offenbar verhalten haben, aus Ihrer Sicht Ausdruck von Inkompetenz oder vermuten Sie Absicht?

Eins von beidem ist es auf jeden Fall. Aber um das zu klären, brauchen wir den Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus, den ich und viele andere Betroffene fordern. Denn es ist doch klar: Zu meinem Fall ist mittlerweile so viel über das Behördenversagen bekannt, weil er so viel in der Öffentlichkeit steht. Bei den anderen Anschlägen wissen wir ja gar nicht, was da vielleicht auch noch überall für Fehler begangen wurden.

Bisher unterstützt nur die Linkspartei Ihre Forderung nach einem Untersuchungsausschuss. Rechnen Sie sich dafür trotzdem noch Chancen aus?

Ganz klar: Die Grünen müssen sich jetzt bewegen. Warum haben Berlins Parteien Angst, sich mit möglichen rechten Strukturen in den Sicherheitsapparaten zu beschäftigen? Das muss ihnen doch ein Anliegen sein, dass da so viel wie möglich aufgeklärt wird.