Leichenfund in Großbritannien: Cannabisanbau als Migrationsziel?

Manche der 39 Toten kamen wahrscheinlich aus Zentralvietnam. Großbritannien lockt mit lukrativer Arbeit auf Drogenplantagen.

Menschen trauern vor Hanois Kathedrale: Mit Kerzen haben sie die Zahl 39 geformt.

In eine Kathedrale in Hanoi trauern Menschen um die 39 Toten Foto: Kham/reuters

BERLIN taz | Unter den 39 Toten, die letzten Mittwoch in einem Kühltransporter nahe London gefunden wurden, waren vermutlich illegale Einwanderer aus Vietnam. Offiziell identifiziert ist aber noch niemand. Großbritannien gilt als Wunschland von Migranten aus Zentralvietnam. Denn dort können sie auf Cannabisplantagen viel Geld verdienen.

Erste Hinweise auf Vietnamesen wurden bereits letzten Mittwoch von Eltern, die ihre Kinder vermissen, an die britische BBC herangetragen. Der Sender berichtet auch in vietnamesischer Sprache und hat in Vietnam wie in der Diaspora viele Hörer.

Der BBC zufolge soll die 26-jährige Pham Thi Tra Mai nur Stunden vor dem Leichenfund eine SMS an ihre Mutter in Vietnam gesendet haben: „Es tut mir leid, Mama. Meine Reise ins Ausland war nicht erfolgreich. Mama, ich liebe dich so sehr! Ich sterbe, weil ich nicht mehr atmen kann.“

Ihrer Familie zufolge soll die junge Frau 30.000 britische Pfund für die illegale Reise nach Großbritannien gezahlt haben. Nach dem Bericht wandten sich auch andere Familien an die BBC. Darunter waren Angehörige von Menschen, die Vietnam gerade erst verlassen hatten, als auch von anderen, die zuletzt in Russland oder Deutschland lebten, aber in Großbritannien auf höhere Verdienste hofften. Der Kontakt zu ihnen war zuletzt abgebrochen.

Pater in Vietnam hilft Angehörigen

Am Samstag gab es in einer katholischen Gemeinde der zentralen Provinz Nghe An, aus der mehrere Menschen vermisst werden, einen Gedenkgottesdienst mit 500 Teilnehmern. Der Pater Anton Dang Huu Nam, der in Kontakt zu verzeifelten Angehörigen steht, schickte den britischen Behörden Fotos von 20 Vermissten.

Beamte von Vietnams Ministerium für öffentliche Sicherheit sicherten Genmaterial von Menschen, die Angehörige vermissen. Premierminister Nguyen Xuan Phuc kündigte am Samstag an, „Fälle zu untersuchen, in denen vietnamesische Bürger illegal ins Ausland gebracht wurden und Gesetzesverstöße strikt zu ahnden“. Der Vizeaußenminister sprach am Sonntag von einer „schwierigen Untersuchung“.

Bisher hat Vietnam die illegale Migration aus den verarmten zentralen Provinzen Nghe An, Ha Tinh und Quang Binh, aus denen auch jetzt die Opfer stammen sollen, eher gefördert. Die Provinzen liegen in dem vom Wirtschaftsboom abgehängten und stark vom Klimawandel betroffenen Zen­tralvietnam. Weil der schmale Landstrich zwischen Meer und Gebirge versalzt und vom Meer verschluckt wird, schwinden die Lebensgrundlagen.

Seit einer Generation sehen junge Menschen dort den Ausweg in der Auswanderung. Migranten schicken ihren Familien Geld, das für die Kaufkraft der armen Region wichtig ist. Einige der Auswanderer kehren nach Jahren zurück und investieren in eigene Geschäfte.

Vietnams Regierung sah Migration bisher positiv

Die Staatsmedien feiern diese Erfolgsgeschichten und spornen im Ausland lebende Vietnamesen an, Geld nach Hause zu schicken. Ohne Unterstützung von Beamten der Provinzverwaltungen wäre die Migration kaum möglich. Oft sind Schleuserorganisationen identisch mit „Reisebüros“, die im Staatsauftrag Vertragsarbeiter in die Golfstaaten oder nach Japan schicken.

Das Geld für die Schlepperkosten und die Familien daheim können die Migranten oft nur illegal verdienen. Das geht am besten in Großbritannien im Indoor-Drogenanbau in verlassenen Bauernhöfen, wobei es hier auch zu Sklaven- und Kinderarbeit kommt.

Bringen die Migranten dort zwei oder drei Ernten ein, bevor sie entdeckt werden, haben sie die Schleuserkosten eingespielt. Auf dem Weg dorthin bleiben viele auch in Deutschland hängen und arbeiten hier in Nagelstudios oder Restaurants.

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