Soll muslimischen Frauen im Justizdienst das Tragen von Kopftüchern erlaubt werden?

Debatte um Neutralität im Gerichtssaal: Eine Petition wehrt sich gegen ein geplantes Gesetz in Niedersachsen, das religiöse Symbole bei Richter*innen und Staatsanwält*innen verbieten soll

Umstrittenes Stück Stoff: Kopftuch im Gerichtssaal Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Von Simone Schmollack

ja,

Ein Stück Stoff hat vermutlich wenig Einfluss auf Urteile oder Anklagen

wo bitte ist es denn genehm? Als was dürfen Frauen mit Kopftuch arbeiten, ohne dass wir, die christlich-atheistische Mehrheitsgesellschaft, uns an ihnen stören? Als Putzfrauen? Oder sollen sie lieber bei den Kindern zu Hause bleiben, weil das noch besser dem Klischee entspricht? Wenn auch der Staat hoch gebildete muslimische Frauen diskriminiert, warum sollten es dann Unternehmen anders machen?

Die österreichische Genderforscherin Doris Weichselbaumer hat 2016 den Praxistest gemacht. Sie schrieb 1.474 Bewerbungen für eine Studie über die Diskriminierung von Migrantinnen. Inhaltlich waren sie alle gleich. Sandra Bauer war die erfolgreichste Bewerberin. Meryem Öztürk hatte es mit ihrem türkischen Namen schon schwerer. Trug sie zusätzlich ein Kopftuch, musste sie 4,5-mal so viele Bewerbungen schreiben wie Bauer, um zum Gespräch eingeladen zu werden. Deutlich schwieriger wurde es zudem, wenn es um höher qualifizierte Berufe ging.

Auch der Vorstoß in Niedersachsen diskriminiert vor allem muslimische Frauen. Dass auch zwei Kreuze in Gerichtssälen in Vechta und Cloppenburg abgehängt werden müssen – mit denen die CDU Jahrzehnte lang kein Problem hatte –, ändert daran nichts. Die Partei bedient eine antimuslimische Stimmung in der Gesellschaft. Es wäre jedoch eine zu eindeutige und offensichtliche Diskriminierung gewesen, ein Verbot nur für das Kopftuch zu fordern.

Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Stück Stoff einen Einfluss auf Urteile oder Anklagen hat, sehr gering. Die betroffenen Frauen sind studierte Juristinnen. Sie haben sich bewusst dafür entschieden, für den deutschen Rechtsstaat zu arbeiten. Es gelingt ihnen sicher nicht besser oder schlechter, möglichst objektiv zu urteilen, als Christ*innen, die ihr Kreuz unter der Richterrobe tragen – oder ihr Parteibuch nah am Herzen.

Denn ja, das ist erlaubt. Eine Richter*in darf AfD-Mitglied sein. Wo bleibt die breite Debatte? Statt Musliminnen, die ohnehin in der Schule, bei der Wohnungs- und Arbeitssuche diskriminiert werden, auszuschließen, muss der Staat Frauen mit Kopftuch nur an einem messen: wie gut sie ihren Job machen. Andrea Maestro

„Kein Kopftuchverbot in Niedersachsen“. So knapp wie präzise ist eine Petition auf der Internetkampagnenplattform „OpenPetition“ überschrieben, die sich gegen eine aktuelle Gesetzesinitiative der niedersächsischen Landesregierung richtet. Dem Gesetzentwurf aus dem Justizministerium zufolge sollen Richter*innen und Staatsanwält*innen im Gerichtssaal künftig keine religiösen Symbole und Kleidungsstücke tragen dürfen, weder ein christliches Kreuz noch die jüdische Kippa oder ein muslimisches Kopftuch.

Das Gesetz soll die „religiöse, weltanschauliche und politische Neutralität der Justiz“ ausdrücken und stärken, begründet Justizministerin Barbara Havliza, CDU, den Vorstoß: „Jeder im Gericht muss den Eindruck haben, ein Richter oder Staatsanwalt sei völlig frei von religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen.“

„Im Gerichtssaal sollen weder Kreuz noch Kippa und Kopftuch erlaubt sein“

Anlass für den Gesetzentwurf ist die Beschwerde muslimischer Referendarinnen, die als Sitzungsbeteiligte auch im Gerichtssaal ein Kopftuch tragen wollten. Das jedoch verstoße gegen das Neutralitätsgebot der Justiz, so Havliza. Zudem sollen mit einer einheitlichen Regelung regionale Unterschiede vermieden werden. Neben den Regierungsfraktionen unterstützen die Oppositionsparteien FDP und AfD den Entwurf, während die Grünen ihn ablehnen. Damit breche man „unnötig einen gesellschaftlichen Konflikt vom Zaun“, kritisiert Helge Limburg, Vizefraktionschef der Grünen im Niedersächsischen Landtag, das Vorhaben. Kritik am Gesetz kommt ebenso von Islamverbänden: Damit schließe man muslimische Frauen aus vom Richter*innenamt aus.

nein,

Menschen müssen sich auf neutrale Urteile verlassen können

denn Kopftücher haben im Gerichtssaal, an einem Ort mit streng gebotener Neutralität, nichts zu suchen. So wie auch die jüdische Kippa, das christliche Kreuz und ein Turban der Sikhs in einem Justizgebäude nichts verloren haben. Religiöse Symbole sollten ebenso in staatlichen Schulen und Kitas, die auf politische und weltanschauliche Neutralität setzen, keinen Raum haben. Oder anders formuliert: Kinder müssen sich frei und ohne religiöse Bevormundungen entwickeln und Menschen vor Gericht auf politisch wertfreie sowie weltanschaulich neutrale Urteile verlassen können.

Sicher, wie ein Mensch tickt, sieht man ihm nicht an. So müssen nach außen neutral erscheinende Richter*innen nicht unbedingt neutral sein, weder religiös noch politisch. Im Gegenteil, manche können sogar recht stramme Nazis sein – so wie der eine oder andere Ex-Richter und Ex-Lehrer, die sich bei der AfD engagieren. Und Menschen mit Kreuz, Kippa, Kopftuch, Turban können überaus neutral urteilen. Weil sie berufliche Tätigkeit und privaten Glauben streng voneinander trennen können. Und doch: Religiöse Symbole sind aufgeladen und eben alles andere als neutral.

Stellen Sie sich vor, Sie sind ein getrennter Vater und streiten vor Gericht um mehr Zeit mit Ihren Kindern. Am Hals der Richterin (oder des Richters) baumelt ein Christenkreuz – auf das Sie gebannt starren, auch als die Richterin (oder der Richter) verkündet: Die Kinder sollen vorrangig bei der Mutter bleiben und Sie dürfen weiterhin Wochenendpapa spielen. Was denken Sie? Wird schon richtig sein, ist ja schließlich ein neutrales Urteil. Oder möglicherweise: Die (oder der) hat doch nur so entschieden, weil im katholischen Familienkanon eher der Mutter eine sorgende Rolle zukommt. Oder andersherum: Eine Richterin mit Kopftuch verknackt Sie wegen Schwarzfahrens zu 80 Tagen Haft. Sind Sie sicher, dass Sie das Urteil als neutral empfinden?

Ein Gerichtssaal und Prozessbeteiligte müssen allein deshalb absolute Neutralität ausstrahlen, um jegliche religiöse, rassistische oder sonstige Fehlinterpretationen von Urteilen zu vermeiden. Neutralität ist auch angesagt, weil es immer weniger Christen und zunehmend mehr Muslime und Atheisten in Deutschland gibt.Simone Schmollack

Die Petition benötigt 5.000 Unterschriften, um angenommen zu werden. Bislang haben 1.218 Menschen unterschrieben, davon 156 in Niedersachsen.