Gesamtrussischer Ökoprotest: Umweltschützer ohne Zuhörer
In Russland sind Aktivisten gegen Mülldeponien und Autobahnen auf die Straße gegangen. Doch sie blieben meist ungehört.
![maritimer Schrott auf einem Floß maritimer Schrott auf einem Floß](https://taz.de/picture/3689781/14/23803550.jpeg)
Zum „ersten Mal in diesem Jahrhundert“ riefen Bürgerinitiativen zum „gesamtrussischen Ökoprotest“ am 22. September auf. Nur Moskau zog den Protest um einen Tag vor.
In der russischen „speakers corner“ hatten sich vor allem Umweltorganisationen aus dem europäischen Teil des Landes versammelt. Die Vertreter der Mülldeponie in Urdoma im Kreis Archangelsk waren zahlreicher als andere vertreten. Denn dieses Datum war auch dem einjährigen Kampf gegen den Bau der Deponie in Schies bei Urdoma im hohen Norden gewidmet.
300 Demonstranten kamen insgesamt zusammen. Die meisten von ihnen waren Vertreter von Umweltinitiativen aus dem Umland Moskaus. Neugierige und interessierte Neuzugänge fanden sich kaum unter den Zuhörern, und fast jeder Teilnehmer war mit einer eigenen Botschaft erschienen.
Frei reden fernab des Zentrums
Hier lässt sich ungehindert frei reden, aber die Warnungen erreichen meist nur jene, die ohnehin schon zu den besser Informierten zählen. Das ist auch der Grund, warum das Freilaufgehege weitab vom Stadtzentrum Moskaus eingerichtet wurde. Wirkung und Reichweite bleiben beschränkt, während die Behörden gleichzeitig darauf verweisen können, demokratische Rechte zu wahren.
In ganz Russland gingen am Wochenende an 20 Orten Menschen auf die Straße. Die Initiatoren versuchen, verschiedene Aktivitäten über Regionen hinaus zu vernetzen. Vor allem in den letzten drei Jahren nahmen Bürgerproteste in der Provinz deutlich zu. Nur wehrte sich bislang jede Interessengruppe gegen Missstände auf eigene Faust.
Sehr engagiert ist der Kreis Archangelsk. Neben der geplanten Mülldeponie in Schies war die Region im August noch Ort eines mysteriösen Vorfalls. Russlands Atombehörde gab Anfang August bekannt, dass es beim Testlauf eines Raketenmotors im Dorf Njonoksa in der Nähe von Sewerodwinsk zu einem Unfall mit flüssigem Treibstoff gekommen sei. Später wurde offiziell eingeräumt, dass in der Region an der Barentssee erhöhte Radioaktivität gemessen wurde. Sieben Menschen starben bei dem Unfall.
Westliche Experten vermuten, dass es beim Testen eines durch eine Radionuklidbatterie betriebenen Marschflugkörpers zur Explosion gekommen sei. Der Marschflugkörper „Burewestnik“ gilt als neue Wunderwaffe, die Präsidenten Wladimir Putin 2018 ankündigte. Das beunruhigt Einwohner im Norden. Ärzte fühlen sich an den nuklearen Fallout im AKW Tschernobyl 1986 erinnert. Auch damals wurden Ärzte nicht über Hintergrund und Ausmaß der Katastrophe informiert.
Bei den aktuellen Protesten am stärksten vertreten waren die Gegner von Mülldeponien aus dem Umland Moskaus. Dort sind mehrere neue Anlagen geplant, die jedoch nur knapp 40 Prozent der giftigen Abfälle verarbeiten können, klagen die Aktivisten. Es gebe sicherere Anlagen, die seien den Verantwortlichen jedoch zu kostspielig.
Auch Gegner eines großflächigen Ausbaus von Autobahnen rund um die Hauptstadt hatten sich unter die Protestierenden gemischt. Das Treffen war ein erster Versuch, sich auszutauschen und Gemeinsamkeiten zu entdecken. Die Hoffnung der Teilnehmenden ist, künftig enger zusammenzuarbeiten.
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