Kinofilm „Gelobt sei Gott“: Sträfliches Schweigen in Lyon

Mit der katholischen Kirche knallhart ins Gericht gegangen: In François Ozons Film „Gelobt sei Gott“ ist nichts frei erfunden.

Ein Mann sitzt in einer Kirche

Szene aus Francois Ozons Film „Gelobt sei Gott“ mit Melvil Poupaud in der Hauptrolle Foto: Pandora

Mit den Vorschusslorbeeren eines Silbernen Bären der diesjährigen Berliner Filmfestspiele und einem Publikumserfolg in Frankreich (mit mehr als einer Million verkaufter Kinotickets laut Boxoffice) kommt François Ozons Film „Gelobt sei Gott“ (Original­titel: „Grâce à Dieu“) jetzt ab der kommenden Woche in die deutschen Kinosäle. Allein schon wegen des Themas Pädophilie von Priestern wird dieser mehr als zweistündige Film wie schon in Frankreich Anlass zu heftigen Debatten bieten oder sogar Anstoß erregen. Und das ist ebenfalls im Voraus bereits ein großer Pluspunkt dieses 2018 gedrehten Spielfilms.

Nicht von ungefähr hatte Ozon ursprünglich erwogen, einen Dokumentarfilm zu drehen, bevor er dann vor allem aus rechtlichen Überlegungen das Format einer „Fiktion“ wählte. Doch obschon alle Rollen von Schauspielern und Schauspielerinnen übernommen werden, ist in „Gelobt sei Gott“ so gut wie nichts erfunden. Aus diesem Grund hat der Regisseur und Drehbuchautor auch ausdrücklich darauf verzichtet, die Namen der Hauptpersonen zu ändern.

Es geht um den Fall des pädophilen Priesters Bernard Preynat, der sich in den 80ern und 90ern in der Diözese Lyon laut eigenen Geständnissen und den Anschuldigungen seiner Opfer vermutlich an mehreren Dutzend Knaben sexuell vergangen hat. Wie am Ende des Films erwähnt wird, wartet der heute 74-jährige Preynat als Angeklagter auf einen Prozess, dessen Datum immer noch nicht festgelegt worden ist. Mit großer Verspätung hat sich aber bereits ein kirchliches Gericht mit ihm befasst und ihm in diesem Sommer die Priesterwürde entzogen, was der im Kirchenrecht vorgesehenen Maximalstrafe entsprechen soll.

Vor ein weltliches französisches Gericht zitiert wurde hingegen schon sein Vorgesetzter, Kardinal Philippe Barbarin (68). Er wurde wegen seines sträflichen Schweigens zu sechs Monaten Haft verurteilt. Der Kardinal, der bis dahin eine führende Figur der katholischen Kirche in Frankreich war, hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Als Zeichen seiner Reue hat er dem Vatikan seinen Rücktritt angeboten. Der Papst hat dies abgelehnt, Barbarin aber aller bisherigen Amtspflichten in Lyon entbunden.

„Gelobt sei Gott“. Regie: François Ozon. Mit Melvil Poupaud, Denis Ménochet u. a. Frankreich 2019, 137 Min. Ab 26. 9. im Kino

Und da die Geschichte aus strafrechtlicher Sicht weder für Preynat noch für den Kardinal abgeschlossen ist, erzählt Ozon, wie sich Opfer der sexuellen Aggression in einer Vereinigung, „La Parole Libérée“ („Das befreite Wort“), organisiert haben, um sich gemeinsam Gehör bei der Kirchen­hierarchie, bei der Justiz und in der Öffentlichkeit zu verschaffen.

Ihr Hauptgegner war dabei zuerst die eigene Scham. Sie hatten es mehr oder weniger erfolgreich verdrängt, dass sie – in den meisten Fällen während kirchlich organisierter Pfadfinderlager und anderer Freizeitaktivitäten – als 8- bis 10-Jährige von diesem scheinbar so kinderliebenden und auch von den Eltern überaus geschätzten Priester sexuell missbraucht worden waren.

„Papa, glaubst du noch an Gott?“

Als Hindernis erwies sich zudem die Verjährungsfrist für sexuelle Gewalt gegen Minderjährige. Sie wurde – nicht zuletzt unter dem Schock öffentlich und gerichtlich bekannter Fälle von pädophilen Serientätern wie Preynat – 2018 auf 30 Jahre ab der Erreichung der Volljährigkeit verlängert, damit die Opfer die Möglichkeit haben, auch nach langer Zeit noch Klage einzureichen.

Diesbezüglich liefert Ozons Film Betroffenen eine praktische Anleitung und vor allem eine Ermutigung. Ohne die Hartnäckigkeit der im Selbsthilfeverein „La Parole Libérée“ organisierten Gruppe wäre der Priester wahrscheinlich nie öffentlich entlarvt worden. Auch die Rechnung der kirchlichen Vorgesetzten, die ihn über Jahre lediglich versetzt und nicht einmal dafür gesorgt haben, dass er bei der Fortsetzung seiner Aktivitäten keinerlei Kontakt mit Minderjährigen hatte, und die offensichtlich hofften, dass die Zeit alle Wunden heile und alles vergessen und vergeben werde, wäre ohne die unnachgiebige Forderung nach gerichtlicher Aufarbeitung wohl aufgegangen.

Die Stärke des Films liegt aber nicht allein in dieser Botschaft, sondern in der Darstellung der Spannungen und Konflikte, die sich für die mit dem Widerstand der Kirche konfrontierten Personen und ihre Familien ergeben. Der Unternehmer Alexandre, der nach einigem Zögern alles ins Rollen bringt, ist und bleibt ein gläubiger Katholik und Vater von fünf Kindern, seine Frau Marie unterstützt ihn. Sein ältester Sohn fragt ihn am Ende: „Papa, glaubst du noch an Gott?“ Er bekommt keine Antwort.

François dagegen hat sich von der Kirche losgesagt und möchte am liebsten in einer öffentlichen Kampagne mit allen heuchlerischen Klerikern abrechnen. Emmanuel leidet an epileptischen Anfällen und hat seit (oder wegen) Preynats traumatisierenden Aggressionen seinen Platz in der Gesellschaft nie gefunden, während umgekehrt Gilles ein angesehener Chirurg ist.

Das Image der Diö­zese

Ozon gewährt den Zuschauern einen Blick in die familieninternen Spannungen. Da ist ein Vater, der von solchen „alten Geschichten“ nichts wissen will, aber auch die Mutter eines anderen, die sich mit vollem Engagement dem Kampf für die Enthüllung der vollen Wahrheit anschließt. Diese sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten finden aufgrund einer gemeinsamen Geschichte zusammen. Ihre Solidarität macht diesen Film mehr als sehenswert.

Was diese Personen besonders zusammenschweißt, ist der mit vermeintlichen Sympathien für die Opfer kaschierte Widerstand des Kardinals, der zuletzt einräumen muss, dass er von Preynats sündigen Verfehlungen viel früher wusste, als er zunächst gestehen wollte. „Mauvaise foi“ (wörtlich: schlechter Glaube) heißt in Frankreich diese Form vorsätzlicher Leugnung. Ein anderer Kirchenmann aus Lyon meinte im Film als Erklärung: „Wissen Sie, Preynat und Barbarin, das ist eine lange Geschichte.“

Das Hauptanliegen des Kardinals ist das Image seiner Diö­zese. Er entlarvt sich bei einer von ihm organisierten Pressekonferenz, bei der er schließlich zum Preynat-Skandal Stellung nehmen muss und dann gegenüber den Medien wörtlich sagt, die erwähnten Fälle „sind, gelobt sei Gott, verjährt“. Er hat damit den Filmtitel geliefert. Sein Ziel war es also, dass es nie zu einem Prozess kommen sollte. Deswegen musste er sich selber vor dem Richter zur Rechenschaft ziehen lassen.

Ozon ist es mit diesem Film gelungen, ein sehr schmerzliches und zugleich brisantes Thema zur Debatte zu stellen. Ein antiklerikales Plädoyer ­gegen die Kirche und die Religion ist „Gelobt sei Gott“ dennoch nicht – auch wenn sich dies manche Zuschauer beim Verlassen des Kinosaals gewünscht hätten.

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