piwik no script img

CDU einig mit AfD

Die CDU-Fraktion in Niedersachsen will ein Schächtverbot. Muslim*innen und Jüd*innen protestieren. Auch die Agrarministerin hält ein Verbot für rechtlich derzeit nicht umsetzbar

Muss ausbluten: geschlachtetes Lamm für muslimische Kund*innen

Von Simone Schmollack und Andrea Maestro

Muss die niedersächsische Landesregierung der AfD mitteilen, in welchem Schlachthof in diesem Jahr Tiere ohne Betäubung geschächtet wurden? Darüber hätte gestern eigentlich der Staatsgerichtshof in Bückeburg verhandeln sollen. Doch es wurde ein ungewöhlich kurzer Verhandlungstermin – denn die AfD-Fraktion tauchte nicht auf. Nun ist es ungewiss, wie es weitergeht.

Anlässlich des islamischen Opferfestes hat eine kommunale Veterinärbehörde in Niedersachsen eine Ausnahmegenehmigung für das betäubungslose Schächten erteilt. Maximal 200 Schafe hätten die Antragssteller*innen am 11. und 12. August schächten dürfen, heißt es aus dem Landwirtschaftsministerium. Aus Datenschutzgründen gibt die Sprecherin weder den Schlachthof noch die muslimische Gemeinde preis, die die Genehmigung bekommen hat.

Für das Schächten gelten strenge Regeln. Trotz Religionsfreiheit dürfen Tiere nur in Einzelfällen, mit Genehmigung und in einem Schlachthof getötet werden. Bilder von Schafen, die bei Feierlichkeiten im Staub einer Festwiese geschächtet werden, gibt es in Niedersachsen nicht. Töten darf die Tiere nur ohne Betäubung, wer einen Sachkundenachweis erbringt. Und es muss eine Amtstierärzt*in anwesend sein, „damit die Schlachtung so schnell und schonend wie möglich stattfindet“, heißt es aus dem Ministerium.

Schon 2002 hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass solche Ausnahmen verfassungsgemäß sind und unter die Religionsfreiheit fallen. Eigentlich ist also alles eindeutig geregelt, Streit gibt es dennoch jedes Jahr, wenn das Opferfest wieder ansteht. Es ist das höchste Fest der Muslim*innen, dauert vier Tage und fand in diesem und im vergangenen Jahr im Sommer statt. Für das Fest wird üblicherweise ein Tier geopfert, hierzulande meist Ziegen und Schafe. In den islamischen Ländern können das aber auch Kühe, Kamele und Wasserbüffel sein. Das zubereitete Fleisch wird mit der Familie gegessen, der Kreis der Konsument*innen ist in der Regel groß, zum Essen kommen auch entfernte Verwandte und mitunter auch Nachbar*innen. Eine Regel besagt zudem, das Fleisch ebenso an Arme, Obdachlose und andere Hungrige zu verteilen.

Das alles muss man wissen, um zu verstehen, wie wichtig den Muslim*innen dieses Fleisch und die Art und Weise ist, wie die Tiere getötet werden. Der Islam schreibt das Schächten vor. Dabei wird den Tieren mit einem speziellen Messer die Kehle und damit Hauptschlagader, Luft- und Speiseröhre durchtrennt. Danach blutet das Tier aus, der Verzehr von Blut ist im Islam und im Judentum verboten.

Dass nun auch die niedersächsische CDU-Landtagsfraktion das Schächten komplett verbieten lassen will, bringt Muslim*innen und Jüd*innen gegen die Christdemokraten auf – und es freut vor allem jene, die Muslim*innen hierzulande nicht gern sehen: die AfD. Seit einem Jahr setzen sich die Rechtspopulist*innen lautstark für das Tierwohl ein. Im vergangenen Jahr zog die Partei mit der Kampagne #MähToo durch Niedersachsen, nachdem der Landtag ihren Antrag zum Schächtverbot abgelehnt hatte.

Tritt man der AfD ausnahmsweise wohlwollend gegenüber und nimmt ihr den Einsatz fürs Tierwohl ab, könnte man sagen: Ganz falsch liegt sie hier nicht. Denn Tiere leiden, wenn sie getötet werden. Selbst bei einem einzigem scharfen Schnitt haben sie Schmerzen, so jedenfalls sagt es der Deutsche Tierschutzbund. Die Bundestierärztekammer bezeichnet Schächten als „klaren Fall von Tierquälerei“.

Ditib Niedersachsen auf Facebook

Doch das Bild der „empathischen AfD“ revidiert sich schlagartig, hört man auf die Zwischentöne. Die AfD-Fraktionsvorsitzende Dana Guth posiert auf einem Foto mit dem Schild: „Wer halal-geschlachtetes Fleisch für seine Religion braucht, sollte in sein Land gehen, wo kein Tierschutz besteht.“ Auch wenn Muslim*innen nicht dezidiert genannt sind, dürften vor allem sie sich angesprochen fühlen. Sie sind das AfD-Feindbild Nummer eins.

Und jetzt spielt ausgerechnet die Niedersachsen-CDU, die zwar alt, weiß, männlich und konservativ, aber eben nicht rechtspopulistisch ist, den Rechtspopulist*innen in die Hände. Schon möglich, dass die CDU es ernst meint mit dem Satz: „Das Wohl unserer Mitgeschöpfe liegt uns am Herzen.“ Sie treiben mit ihrem Vorstoß dennoch einen Keil zwischen sich und die niedersächsischen Muslim*innen und Jüd*innen.

„Dies führt nur zu weiterem Vertrauensverlust und einer Spaltung der Gesellschaft“, schreibt der muslimische Verband Ditib in einer Stellungnahme auf Facebook. „Eigentliche Probleme wie der stetige Anstieg von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit werden leider gänzlich nicht angegangen.“

Die Muslim*innen hätten auch nicht versucht, eine Ausweitung der Ausnahmeregelungen zu erwirken. Sie hielten sich „an die derzeitige Gesetzeslage“. Und weiter: „Gerne hätten wir uns einen vorherigen Austausch mit der CDU gewünscht, um diese Irritation zu verhindern.“ Es sei nicht nachvollziehbar, dass die CDU Themen von der AfD übernehme.

Für die Forderung nach einem Verbot nimmt die Fraktion sogar einen Eklat mit ihrem Koalitionspartner in Kauf. SPD-Ministerpräsident Stephan Weil spricht sich weiterhin für Ausnahmegenehmigungen für das religiöse Schächten aus. Ohnehin wundert es, dass sich gerade CDU-Fraktionschef Dirk ­Toepffer so eindeutig für ein Schächtverbot ausspricht. Er gilt als Großstadtliberaler. Als hannoverscher Oberbürgermeisterkandidat vor einigen Jahren wollte er seine Partei für eine schwarz-grüne Politik öffnen. 2011 sagte er: „Jeder in der CDU sollte mal eine Moschee besuchen.“ Danach bekam er monatelang Hassmails aufgebrachter Bürger*innen.

Dass die CDU-Fraktion mit dem Vorstoß durchkommt, ist trotz ­Toepffers Initiative unwahrscheinlich. In einem Artikel im Weser-Kurier nahm CDU-Agrarministerin Barbara Otte-Kinast ihm bereits den Wind aus den Segeln. Wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts sei ein Verbot derzeit rechtlich nicht möglich. Das Problem sieht jedoch auch sie: „Die heutigen gesellschaftlichen Anforderungen an Tierschutz und Tierwohl kollidieren mit der Religionsfreiheit.“ Sie wolle mit den Religionsgemeinschaften einen Dialog führen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen