Großes Vorbild Berlin

Eine Münchner Initiative kämpft für ein Volksbegehren, um die grotesken Mieten auf dem Wohnungsmarkt zu begrenzen. SPD und Linke sind mit dabei, die Grünen noch nicht

Kann sich fast niemand mehr leisten: die Münchner Innenstadt Foto: Sina Schuldt/dpa

Aus München Patrick Guyton

Man braucht gar nicht auf die angesagten Viertel in München zu schauen wie Schwabing oder Haidhausen. Wer sich dort die Miete nicht mehr leisten kann, zieht raus, so die Annahme. Doch gerade ein Blick ins Münchner Umland offenbart die Dramatik der Situation: Ein WG-Zimmer etwa im südwestlich von München gelegenen Planegg, 16 Quadratmeter, wird für 840 Euro warm angeboten. 1.500 Euro kalt kostet eine 75 Quadratmeter große Dreizimmerwohnung in Fürstenried-West am Münchner Stadtrand. Sie befindet sich in einem hässlichen Hochhaus in einer recht unwirtlichen Gegend.

Um solche Verwerfungen auf dem entfesselten Wohnungsmarkt zu verhindern, holt der Mieterverein München nun zum großen Schlag aus: Die Organisation strebt ein Volksbegehren für einen bayerischen Mietenstopp an. Künftig soll gesetzlich vorgeschrieben werden, dass Mieterhöhungen in laufenden Verträgen „grundsätzlich verboten“ sind, heißt es in dem Entwurf. Bei Neuvermietungen darf die neue Höhe nicht über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. „Der Markt wird immer brutaler“, sagt Mieterverein-Vize Simone Burger. „Es trifft immer mehr Menschen mit normalem Einkommen, die sich das Leben nicht mehr leisten können.“ Motto des Volksbegehrens: „Uns glangt’s! Mieten-Stopp in Bayern!“

Offenbar ist man im Freistaat nach dem äußerst erfolgreichen Volksbegehren für mehr Artenschutz („Rettet die Bienen!“) auf den Geschmack gekommen, mit dieser Art der Gesetzgebung die Parlamentsmehrheit aus CSU und Freien Wählern (FW) auszuhebeln. Damit gibt es in Deutschland nun drei verschiedene Initiativen, um auf dem Mietmarkt wieder bezahlbare Preise durchzusetzen. In Berlin sollen große Immobilienkonzerne mit einem Volksbegehren enteignet werden, der Name der Aktion: „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Zugleich plant die rot-rot-grüne Berliner Landesregierung, für fünf Jahre einen „Mietendeckel“ einzuführen, der Mieterhöhungen verhindert.

„Das bayerische Modell ist ähnlich wie das des Berliner Senats“, sagt der Bielefelder Jura-Professor Franz Mayer im Gespräch mit der taz. Zusammen mit seinem Kollegen Markus Artz ist er maßgeblich an den zwei Gesetzentwürfen beteiligt. Die beiden betreten damit juristisches Neuland. Denn bisher galt die Ansicht, dass das Mietrecht keine Länder-, sondern Bundesangelegenheit ist, geregelt im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Mayer aber meint: „Im föderalen Gefüge sind grundsätzlich erst einmal die Länder für alles zuständig.“ Die Frage sei, ob sich bei diesem Thema aus dem Grundgesetz eine „Sperre“ ergebe. Er sagt: „Das ist nicht der Fall.“

Die Initiatoren möchten, das ist der große Unterschied, den Mietenstopp nicht im bürgerlichen, sondern im öffentlichen Recht auf Landesebene festschreiben. Letzteres regelt das Verhältnis zwischen dem Staat und den Bürgern. Doch um von der Seite des Staates in den Mietmarkt einzugreifen, bedarf es eines guten Grundes. Den sieht Mayer gegeben: „Man muss sich fragen: Droht etwas aus dem Lot zu geraten, wenn sich etwa Erzieher, Postboten oder Polizistinnen die Stadt nicht mehr leisten können?“ Dann könne man aus „übergeordneten Gemeinwohlgründen“ die Mietpreise reglementieren. Zudem beruft sich die bayerische Initiative auch auf die Verfassung des Freistaats, in der steht: „Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung.“

840 Euro Miete für ein 16 Quadratmeter großes WG-Zimmer in Planegg nahe München

Anders als in Berlin soll der Stopp nicht überall, sondern in 162 Städten und Gemeinden gelten – nämlich dort, wo die Staatsregierung einen „angespannten Wohnungsmarkt“ festgestellt hat. Vorgesehen ist der Stopp zunächst für die Dauer von sechs Jahren. Verstöße können mit einer Geldbuße bis zu 500.000 Euro geahndet werden. Wohnungen, die in diesem Jahr erstmals neu vermietet werden, sind vom Mietenstopp ausgenommen. Damit will man verhindern, dass niemand mehr neue Wohnungen baut. Auch soziale Vermieter werden geschont – sie dürfen die Miete bis auf 80 Prozent der örtlichen Vergleichsmiete erhöhen.

Der größte Unterschied zwischen Bayern und Berlin besteht im Weg zum Gesetz: Für ein Volksbegehren braucht man im Freistaat zuerst 25.000 Unterschriften. Im zweiten Schritt müssen sich mindestens 10 Prozent der Wahlberechtigten auf den Rathäusern dafür eintragen, das sind knapp eine Million Menschen. Dann kommt es zu einer Abstimmung. Die schwierigste Hürde ist aber der Bayerische Verfassungsgerichtshof. Die Staatsregierung würde das Gesetz, so meint Justizminister Georg Eisenreich (CSU), mit Sicherheit als verfassungswidrig einstufen und das höchste Gericht anrufen. Daran sind schon manche Volksbegehren gescheitert. Jura-Professor Franz Mayer vermutet, dass das Thema am Ende wohl das Bundesverfassungsgericht beschäftigt.

Noch wird an dem Gesetzentwurf gefeilt, Unterstützer sind bisher die Landes-SPD, der Münchner DGB, die Bayern-Linke und der Sozialverband Deutschland. Die wichtigen Grünen halten sich bisher zurück, sie warten auf weitere Informationen und wollen bis Ende September entscheiden. Startschuss für das Unterschriftensammeln soll nach der Wiesn sein, die am 6. Oktober endet.