Rechte Prepper-Gruppe „Nordkreuz“: Betroffene tappen weiter im Dunkeln

Nach zwei Jahren werden Personen auf der „Nordkreuz“-Feindesliste nun doch benachrichtigt. Mit einem rätselhaften Schreiben.

Ein Mann steht vor Mikrofonen

Der Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns, Lorenz Caffier, äußert sich im Juni zu „Nordkreuz“ Foto: dpa

Seinen Sinneswandel verkündete Lorenz Caffier (CDU), der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, per Pressemitteilung. Sein Landeskriminalamt werde nun „Personen aus Asservaten des GBA-Verfahrens“ informieren, heißt es darin. Das Landeskriminalamt habe die ersten Schreiben an rund 1.200 Personen und Institutionen „aufgrund des offenbar mittlerweile entstandenen öffentlichen Informationsbedürfnisses“ versandt. Was er mit dieser sperrigen Meldung meint, die Caffier am Montag verschicken ließ: das Verfahren gegen Mitglieder der rechten Prepper-Gruppe „Nordkreuz“.

Als die Briefe (eine pdf-Datei des Schreibens finden Sie hier) bei den Betroffenen eintreffen, erreicht die taz ein Anruf aus Rostock. Der Empfänger eines Briefs fragt: Was haben diese Beschuldigten über mich gesammelt? Und: Bin ich in Gefahr? Er wendet sich nicht an die taz, damit wir berichten können. Er weiß nur nicht, wohin sonst mit seinen Fragen.

Die Bundesanwaltschaft ermittelt seit knapp zwei Jahren gegen einen Kriminalpolizisten und einen Anwalt aus Mecklenburg-Vorpommern, die geplant haben sollen, Politiker, Aktivisten und Engagierte aus dem linken Spektrum zu töten. Es geht um rechtsextremen Terror. Die taz berichtet seither über die Beschuldigten und ihr Netzwerk aus Preppern, die sich auf den Tag X vorbereiten. Sie hatten sich unter anderem in Chatgruppen organisiert. Bei den Ermittlungen wurde auch eine Materialliste gefunden, darauf: Leichensäcke und Ätzkalk. Auch gegen den Gründer dieser Gruppen wird ermittelt, in einem gesonderten Verfahren. Derzeit sitzt er in Untersuchungshaft, weil er mehr als 60.000 Schuss Munition und mindestens eine illegale Waffe gehortet hat.

Bei Razzien im August 2017 hatten die Ermittler der Bundesanwaltschaft zwei Ordner gefunden, darin hatten der beschuldigte Anwalt und der Kriminalpolizist Ausdrucke von Webseiten gesammelt, Personen recherchiert. Die Ermittler hatten bereits damals empfohlen, die Betroffenen zu informieren.

Da­ten von rund 25.000 Personen

Wie geht man mit den Betroffenen um, deren persönliche Daten auf Feindeslisten stehen? Das NSU-Kerntrio hatte eine Liste mit Feinden angelegt. Franco A., der Bundeswehrsoldat, der, als syrischer Flüchtling getarnt, geplant haben soll, Anschläge zu verüben, soll eine erstellt haben. Auch der Name des ermordeten CDU-Politiker Walter Lübcke wurde auf einer Liste gefunden.

Sollten Betroffene darüber informiert werden oder verunsichert das unnötig? Wer könnte eine solche Aufgabe übernehmen?

Insgesamt wurden bei den „Nordkreuz“-Beschuldigten Da­ten von rund 25.000 Personen gefunden. Der Großteil davon stammt aus dem Hack eines Onlineversandhandels, der vielerorts kursiert. Nach taz-Informationen haben die Beschuldigten zu einer dreistelligen Zahl an Personen selbst Daten gesammelt. Sie stammen aus ihrem direkten Umfeld. 29 dieser Personen aus Mecklenburg-Vorpommern wurden vor wenigen Wochen vom Bundeskriminalamt als Zeugen befragt, darunter sind Landtagsabgeordnete und Menschen, die sich für Geflüchtete engagieren. Von ihnen wurden zu Informationen aus dem Internet weitere Daten handschriftlich hinzugefügt, etwa Geburtsdaten oder Meldeadressen.

Der Fraktionsvize der Grünen im Bundestag Konstantin von Notz schlug schon vor zwei Wochen in der taz ein Hilfsangebot für Betroffene vor. Jetzt konkretisiert er: „Das Bundesinnenministerium muss endlich dokumentieren, dass es die enormen Herausforderungen durch militanten Rechtsextremismus ernst nimmt und entschlossen bekämpft.“ Er spricht von einer Task Force, die im Bundesinnenministerium angesiedelt sein sollte. Dort sollten alle Informationen, auch die aus den Ländern, zusammenlaufen.

Lorenz Caffier, der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, geht mit den Briefen an Betroffene also genau jenen Schritt, er informiert, um Verunsicherung zu nehmen. Er könnte damit ein Exempel statuieren.

Informationspolitik ein „schlechter Scherz“

Der Brief, der im Namen des LKA-Direktors Ingolf Mager verschickt wird, liest sich allerdings sperrig und verklausuliert. Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens des Generalbundesanwalts gegen zwei Beschuldigte aus Mecklenburg-Vorpommern seien „Materialsammlungen“ zu Personen und Institutionen gefunden worden. „Darunter auch personenbezogene Daten zu Ihrer Person.“ Die Beschuldigten seien „der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ verdächtig, erfährt man außerdem.

Später heißt es noch: „Zum jetzigen Ermittlungsstand sind (…) keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass konkrete Straftaten gegen Sie geplant waren oder sind.“ Es fällt allerdings kein Wort darüber, um welches Ermittlungsverfahren es sich handelt, genauso wenig wie darüber, wer die Beschuldigten sind. Wer also nicht zufällig die Medienberichte zu den „Nordkreuz“-Preppern, dem „Hannibal“-Netzwerk und den kürzlich gefunden Munitionsdepots verfolgt hat, bekommt keinen Anhaltspunkt, in welchem Kontext über ihn Daten gesammelt wurden. Und welche.

Es wird nicht erwähnt, dass die Beschuldigten bei anderen Betroffenen bereits Adressen recherchiert hatten. taz-Recherchen hatten sogar ergeben, dass ein Grundriss einer Privatwohnung in der Sammlung auftaucht, die der polizeiliche Staatsschutz vor Jahren angefertigt hatte. Es ist die Wohnung eines Mannes, der wegen einer Morddrohung 2015 kurzzeitig unter Polizeischutz stand. Solche sensiblen Daten finden die Ermittler. Aus diesem Gesamtkontext heraus bezeichnet auch die taz die Sammlung als Feindesliste. Der Chef des LKA zitiert im Brief stattdessen das Bundeskriminalamt: „Der derzeit in der medialen und öffentlichen Diskussion verbreitete Begriff der „Feindes-“ oder gar „Todesliste“ ist daher konsequent zurückzuweisen.“

Auch der Landtagsabgeordnete Peter Ritter von der Linkspartei erhielt den Brief vom LKA. Er nennt die Informationspolitik des Innenministers einen „schlechten Scherz“ und ein „völliges Desaster“. Zeitgleich mit den Briefen hat das Innenministerium auch die Antwort auf eine Kleine Anfrage Ritters zu den Feindeslisten verschickt. Sie liegt der taz vor.

Caffier sieht keinen Grund zur Beunruhigung

Darin informiert das Landesinnenministerium, dass einer der beiden Tatverdächtigen „in den Monaten Februar und März 2017 entsprechende Abfragen im Einwohnermeldesystem des Landes Mecklenburg-Vorpommern tätigte“. Es ist der beschuldigte Kriminalpolizist, der seinen Dienstrechner für diese Abfragen genutzt haben soll. Das Innenministerium teilt mit, dass „Gefährdungsaspekte eher ausgeschlossen“ wurden. Es bestätigt aber auch, dass das ermittelnde Bundeskriminalamt nur Tage, nachdem die Feindeslisten gefunden wurden, angeregt hatte, die Betroffenen zu informieren. Das war vor zwei Jahren.

Noch im Januar hatte ein Staatssekretär Caffiers im Innenausschuss in Schwerin gesagt, Medienberichte über etwaige Namenslisten müssten „nichtzutreffend und schlicht falsch“ sein.

Auch jetzt sieht Caffier keine Anlass für Beunruhigung. In der Antwort auf die Kleine Anfrage schreibt sein Ministerium, solche Sammlungen seien ein normaler Vorgang: „Es gibt die weitgehend einheitliche Einschätzung, dass das (reine) Sammeln von Informationen zu politisch anders Denkenden im Bereich der politischen Auseinandersetzung, insbesondere im rechts- und linksextremistischen Bereich, nicht unüblich ist. Dies geht in der Regel nicht mit einer unmittelbaren Gefährdungslage einher.“

Die Personen, die nun erfahren, dass sie in einer Datensammlung von Rechten wiederfinden, haben sich größtenteils zivilgesellschaftlich engagiert. In Vereinen, Parteien, bei So­zial­trägern. Für Lorenz Caffier ist das offenbar eine „politische Auseinandersetzung“ von links und rechts.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Illustration: taz/Infotext-Berlin (Montage)

Hannibals Schattennetzwerk

Hintergründe zum Prozess gegen Franco A.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Alle Artikel zum Thema

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.